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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experten zu Post-Covid So können Patienten die fatalen Folgen von Corona bekämpfen
Viele Corona-Infizierte leiden oft noch Monate nach der eigentlichen Erkrankung an den Folgen.
Auch mehr als ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist es für die Forschung ein Rätsel, wer warum wie stark an Covid-19 erkrankt. Mittlerweile können die Covid-Patienten der Lungenfachärztin Dr. Jördis Frommhold zufolge allerdings in drei Gruppen untergliedert werden:
- Jene, die einen milden Akutverlauf erleiden und danach vollständig gesunden – sozusagen die "echten Genesenen".
- Covid-Patienten, die einen schweren Akutverlauf hatten, auf der Intensivstation lagen, künstlich beatmet werden mussten. Diese Patienten benötigen im Anschluss immer eine Reha, um ihre Leistungsfähigkeit wiederherzustellen.
- Und schließlich gibt es die sogenannten "Post-Covid"- oder "Long-Covid"-Patienten
Die dritte Gruppe hatte einen leichten bis mittelschweren Akutverlauf und leidet danach noch lange Zeit an Folgeerscheinungen der Krankheit. Welche Beschwerden das sind, wie Covid-Patienten geholfen werden kann und warum vor allem die Entwicklung bei jungen Menschen besorgniserregend ist, erklären Dr. Jördis Frommhold, Chefärztin an der Median Klinik Heiligendamm, und Dr. Konrad Schultz, Chefarzt der Klinik Bad Reichenhall der Deutschen Rentenversicherung, im Interview mit t-online.
Herr Dr. Schultz, Ihre Reha-Klinik wurde im Verlauf der Pandemie bereits zweimal zur Akutklinik für Covid-Patienten: Wie ist die Lage aktuell?
Dr. Konrad Schultz: Das ist richtig. Wir wurden in der ersten Pandemiewelle per Anordnung zum "Covid-Hilfskrankenhaus" mit Isolierstation für noch infektiöse Covid-Patienten herangezogen. Aufgabe war die Entlastung der umliegenden Akutkrankenhäuser. Damals hatten wir über knapp zwei Monate bis zu 15 Covid-Patienten auf dieser Isolierstation. Der normale Reha-Betrieb musste aufgrund der Vorgaben bis auf wenige Patienten eingestellt werden. Auch in der zweiten Welle wurden wir von November 2020 bis Februar erneut für diese Aufgabe herangezogen. Diesmal allerdings mit einem parallel nur mäßig reduzierten Reha-Betrieb, der aber komplett von der Isolierstation abgetrennt war, sodass es hierdurch nie zu einer Infektion bzw. Gefährdung der Reha-Patienten kam. Insgesamt haben wir seit Ausbruch der Pandemie etwa 110 Covid-Akutpatienten versorgt.
Frau Dr. Frommhold, Ihre Klinik hingegen hat sich als eine der ersten in Deutschland um Post-Covid-Patienten gekümmert: Mit welchen Beschwerden kommen die Menschen zu Ihnen?
Dr. Jördis Frommhold ist Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen und Allergien in der Median Klinik Heiligendamm, wo sie zudem als Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologie sowie Notfallmedizin arbeitet. Kürzlich wurde sie zur "Frau des Jahres" in Mecklenburg-Vorpommern ernannt.
Dr. Jördis Frommhold: Am 14. April 2020 haben wir den ersten Post-Covid-Patienten bei uns aufgenommen. Mittlerweile haben wir rund 500 Patienten damit behandelt – allein in der zweiten Märzwoche gab es 30 neue Fälle, mittlerweile sind wir seit Monaten überbelegt – mehr als die Hälfte der Betten mit Covid-Patienten. Die Patienten der zweiten Gruppe leiden unter Leistungsminderung, falscher Atemtechnik, neurologischen Symptomen wie Taubheitsgefühlen oder Gedächtnisproblemen.
Bei der dritten Gruppe gibt es sehr unterschiedliche Symptome, einige zeigen sich jedoch immer wieder. Dazu gehört die sogenannte Fatigue, also eine starke Erschöpfung, manchmal auch eine falsche Atemtechnik. Diese Gruppe hat zudem sehr ausgeprägte neurologisch-kognitive Einschränkungen wie beispielsweise Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen. Das sind häufig Patienten in anspruchsvollen Berufen, die durch diese Einschränkungen teilweise berufsunfähig sind. Andere Probleme sind aber auch massiver Haarausfall, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Blutdruckstörungen.
Wie können diese Folgen erklärt werden?
Frommhold: Ich denke, dass diese ganzen Symptome möglicherweise immunologisch bedingt sein könnten. Aber wir haben auch Patienten behandelt, die sehr auffällige Antikörper gebildet haben – beispielsweise gegen die Haarwurzeln oder auch im Nervenwasser, was dann auch die kognitiven Einschränkungen erklären könnte. Aber das ist alles noch in der Forschung.
Wie geht es den Menschen, die nach einer Covid-Infektion zu Ihnen, Herr Dr. Schultz, kommen?
Schultz: Patienten, die nach überstandener Akutinfektion zu uns kommen und auch nicht mehr infektiös sind, haben wir seit April 2020 regelmäßig. Mittlerweile waren es etwas mehr als 220 Patienten. Die Patienten, die direkt oder kurze Zeit nach Akut-Krankenhausbehandlung zu uns kommen – also die Gruppe zwei, von der Frau Dr. Frommhold in ihrer Kategorisierung spricht – sind noch erheblich krank und leiden meist unter Atemnot, Muskelschwäche und zudem häufig unter körperlicher und seelischer Erschöpfung. Sie haben oft Sorgen und Ängste, wie es weitergeht und ob sie wieder gesund werden. Häufig entwickeln sie auch Symptome einer Depression. Dazu kommt noch ein großes Spektrum weiterer Symptome wie Geruchs- oder Geschmacksstörungen, eingeschränkte Konzentrations- und Merkfähigkeit, aber auch Albträume, Schmerzen oder Reizhusten.
Dr. Konrad Schultzcoremedia:///cap/blob/content/89748872#data ist Chefarzt der Klinik Bad Reichenhall, einem Zentrum für Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd mit lungenheilkundlichem Schwerpunkt, in dem seit einem Jahr regelmäßig auch Post-Covid-Patienten behandelt werden. Während der Corona-Krise wurde die Klinik zweimal zeitweise zur Akutklinik für Covid-Patienten mit eigener Isolierstation herangezogen.
Die kleinere Gruppe, die erst Wochen oder Monate später und zumeist nach einer eher leichteren und ambulant durchgemachten Akutphase zu uns kommt – oder um in der Einteilung von Frau Dr. Frommhold zu bleiben, die dritte Gruppe – sind die Patienten, die oft als "Long-Covid"-Erkrankte bezeichnet werden: Diese Patienten klagen meist noch über eine starke, aber oft auch sehr wechselnde allgemeine Müdigkeit sowie Leistungsabfall und Schwäche. Positiv ist: Auch die Beschwerden dieser Patienten bessern sich während der Reha zu einem großen Teil. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn fassbare Symptome wie Atemnot oder Muskelschwäche im Vordergrund stehen und wir auch entsprechende Untersuchungsergebnisse finden. Schwieriger wird es, wenn eine isolierte Fatigue bei dem Erkrankten besteht, also diese starke Erschöpfung und Müdigkeit, ohne dass wir eine Ursache für diese Symptome finden.
Welche sind die häufigsten Langzeitfolgen von Covid-19 bei Ihnen in der Klinik?
Schultz: Das kommt darauf an, was man unter "Langzeit" versteht. Die Patienten, die direkt nach dem Krankenhausaufenthalt zu uns kommen, leiden zumeist unter Atemnot, Kraftlosigkeit und Erschöpfung sowie häufig auch unter Sorgen, Ängsten und Depressionen. Die Patienten, die erst nach längerer Zeit zu uns kommen, sind hingegen oft von der Fatigue betroffen, also dieser oft stark wechselnden Müdigkeit mit psychischer, aber auch körperlicher Erschöpfung. Das sind beispielsweise oft jüngere Frauen, die durchaus leistungsorientiert sind und unbedingt wieder arbeiten möchten, sich dazu im Moment aber nicht in der Lage sehen. Insgesamt gesehen sind die Patienten bei uns aber im Schnitt knapp 60 Jahre alt.
Wird Covid-19 mit seinen Folgen immer noch unterschätzt?
Frommhold: Ich glaube es wird insofern unterschätzt, als dass immer wieder davon ausgegangen wird, dass wir irgendwann diese Pandemie vollständig überstanden haben. Es ist einfach so: Die Menschheit muss sich damit abfinden, dass Pandemien auf unbestimmte Zeit angelegt sind. Und das erfordert flexibles Umdenken von jedem Einzelnen. Und das denke ich, wird unterschätzt. Die Erkrankung selbst vielleicht nicht – aber die naive Vorstellung, dass irgendwann wieder alles so wird wie es vorher war. Das wird so nicht funktionieren.
Und ich glaube, dass es fatal ist, wenn wir immer nur von Infizierten, Genesenen und Toten sprechen – denn das wird der Gruppe der Kranken-Genesenen überhaupt nicht gerecht. So lange wir diese Genesenen nicht weiter konkret unterscheiden und beziffern, wird es keine Akzeptanz für dieses Krankheitsbild geben.
Herr Dr. Schultz, Sie führen eine Studie zur Post-Covid-Rehabilitation durch: Wie läuft die Studie ab und welche ersten Ergebnisse gibt es?
Schultz: Die Studie ist Ende April 2020 gestartet und wird derzeit zur Publikation vorbereitet. Seit April 2020 haben wir über 200 Post-Covid-Patienten bei uns behandelt. In die Studie wurden 108 von denen, die 2020 bei uns aufgenommen wurden, einbezogen. Bei diesen Patienten wurden bei Aufnahme und Entlassung umfassende Untersuchungen durchgeführt, wie beispielsweise körperliche Leistungstests, Lungenfunktionstests, Erhebungen der Laborwerte, Fragebögen zum Befinden und zur psychologischen Belastung wie Angst und Depression. Diese Kurzzeitdaten liegen bereits vor.
Die Ergebnisse nach drei und sechs Monaten stehen noch aus. Die positive Nachricht ist, dass sich zum Ende der Rehabilitation im Durchschnitt fast alle Messparameter statistisch signifikant verbessert haben, unter anderem die körperliche Leistungsfähigkeit und das Leitsymptom der Atemnot. Die allermeisten Patienten haben deutlich weniger Atemnot und sind körperlich leistungsfähiger. Zudem besserte sich auch das psychische Befinden. Was besonders erfreulich ist: Auch bei der Erschöpfung sehen wir deutliche Verbesserungen.
Wie werden die Patienten bei Ihnen behandelt?
Schultz: Schwerpunkt sind die nicht-medikamentösen "rehabilitativen" Therapien. Dazu gehört das körperliche Ausdauer- und Krafttraining sowie ein spezielles Atemmuskeltraining, welches sehr individuell auf die Patienten abgestimmt werden muss, die Atemphysiotherapie, aber auch andere Techniken der Physiotherapie wie beispielsweise das Faszientraining. Weitere Therapiekomponenten sind unter anderem Gedächtnistraining, Gesprächsgruppen, Kreativ- sowie Ergotherapie und Ernährungsberatungen. Die Patienten werden bei Bedarf auch psychologisch betreut. Es handelt sich also um ein breites Spektrum an nicht-medikamentösen Therapien. Die Patienten haben zudem fast immer Nebenerkrankungen wie erhöhten Blutdruck oder Diabetes, die wir, wenn erforderlich, natürlich auch medikamentös behandeln.
Wie gut wirkt die Behandlung bei den Patienten?
Frommhold: Die zweite Gruppe lässt sich wirklich sehr gut behandeln – also auf einer Skala der Leistungsfähigkeit von eins bis zehn kommen diese Patienten häufig mit Werten zwischen zwei und vier zu uns und gehen mit einem Wert zwischen sieben und acht. Auch bei der dritten Gruppe haben wir gute Behandlungsmöglichkeiten – häufig müssen diese Patienten allerdings erst einmal eine Krankheitsbewältigung durchmachen.
Ihnen wird dann erst einmal vermittelt, dass sie nicht allein sind mit ihrer Erkrankung und den Folgen und dass es Hilfe gibt. Das ist schon ganz viel wert, deshalb ist es mir wichtig, dass man Akzeptanz für die drei Verläufe von Covid-19 schafft. Die neurologisch-kognitiven Störungen sind allerdings langwierig – wir machen Ergotherapie, Koordinationstherapie, integrative Ansätze – aber das ist viel schwieriger behandelbar als die anderen Symptome.
Welche Therapie ist besonders effektiv?
Schultz: Wenn man die Patienten befragt, sagen sie in der Regel: "Alles!" Also das ganze Spektrum im Zusammenspiel ist entscheidend. Hier ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Auch der Austausch mit Leidensgenossen ist ein wichtiger Punkt.
Frommhold: Post-Covid ist tatsächlich sehr interdisziplinär. Natürlich kann man bestimmte Symptome identifizieren und entsprechend behandeln. Letztlich stellen wir unsere Behandlungen aber für jeden Patienten individuell zusammen. Kernbaustein sind alle Atemtherapien. Aber auch Ausdauer- und Krafttraining und der große Komplex der psychologischen Unterstützung. Und dazu kommt der Baustein der neurologisch-kognitiven Therapie. Es sind viele verschiedene Aspekte, die reinspielen, und jeder Patient muss individuell gesehen werden.
Wie ist die Stimmung bei Ihren Post-Covid-Patienten? Sind sie beunruhigter, gestresster als andere Reha-Patienten?
Schultz: Dadurch, dass Covid-19 in allen Medien präsent ist und weiterhin vieles unklar ist, sind die Patienten häufig in ihrer Selbstsicherheit stark angegriffen. Die Patienten haben also berechtigte Sorgen: Wie geht es weiter, kann ich irgendwann wieder arbeiten, werde ich wieder so gesund wie vor Covid-19 oder bleiben Schäden? Insofern sind die Patienten natürlich beunruhigter.
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Gibt es auch da Unterschiede zwischen den Patientengruppen?
Frommhold: Ja, natürlich: Gruppe 2 hat häufig extreme psychische Belastungen aufgrund der Schwere der Erkrankung. Diese Patienten haben eine Nahtoderfahrung hinter sich, mit einer unbekannten Krankheit, sie wussten nicht, wie es weitergeht und im Krankenhaus gab es um sie herum nur vermummte Gestalten – das ist alles sehr beängstigend. Diese Patienten klagen teilweise auch über sehr lebhafte Albträume. Natürlich spielt aber auch die Frage eine Rolle, wie es weitergeht, ob das Leistungsniveau wieder steigt.
Die Gruppe 3 hat andere Erfahrungen gemacht. Viele dieser Patienten haben eine Arzt-Odyssee hinter sich, haben zig auffällige Symptome, die aber nicht ernstgenommen werden. Sie spüren oft eine ganz große Hilflosigkeit und wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll.
Studien zeigen, dass mittlerweile auch immer mehr junge Menschen unter Covid-19-Spätfolgen leiden. Beunruhigt Sie das?
Frommhold: Ja, auf jeden Fall. Unsere jüngste Patientin ist 19 – und ich bekomme vermehrt auch Anfragen von besorgten Eltern, die beispielsweise von Konzentrationsproblemen bei ihren Kindern berichten. Die machen sich schon berechtigt Sorgen. Das mittlere Alter lag sonst bei unseren Patienten zwischen 30 und 60 – seit dem Herbst kommen auch immer mehr Patienten zwischen 20 und 40 dazu. Tatsächlich werden die Jungen also mehr. Was mir zusätzlich Sorgen macht, ist die Situation für Kinder und Jugendliche. Denn da haben wir noch keinen Überblick, wie sehr die betroffen sind.
Gibt es trotz allem auch einen Hoffnungsschimmer?
Frommhold: Als positiven Ausblick können wir sagen: Reha hilft. Also wir haben Behandlungsmöglichkeiten, mit denen wir auch etwas erreichen können. Wir bräuchten allerdings noch mehr Aufklärungsstationen, um aufzuzeigen, was bei welchen Symptomen die Optionen sind. Wir können etwas anbieten – und das ist für viele Menschen ein absoluter Hoffnungsschimmer. Und selbst, wenn Symptome zurückbleiben, sind Bewältigungsstrategien wichtig.
Und zuletzt noch eine Gratulation: Frau Dr. Frommhold, Sie wurden gerade zur Frau des Jahres in Mecklenburg-Vorpommern gekürt – was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ich bin darauf natürlich total stolz und freue mich aber auch, dass meine Arbeit gewürdigt wird. Mir ist es aber genauso wichtig, den Long-Covid-Patienten ein Gesicht und auch eine Stimme zu geben. Jeder Mensch hat das Recht auf Aufklärung und so findet das Krankheitsbild dann auch Akzeptanz.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Frommhold und Herr Dr. Schultz!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.