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Pflege in Corona-Zeiten: "Ich habe es nur mit Gottes Hilfe geschafft"


Pflege in Corona-Zeiten
"Ich habe es nur mit Gottes Hilfe geschafft"

InterviewVon den chrismon-Redakteuren U. Ott und N. Husmann

27.12.2020Lesedauer: 11 Min.
Interview
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Corona: Pflegeheime wollen Weihnachtsbesuche ermöglichen. (Symbolfoto)Vergrößern des Bildes
Corona: Pflegeheime wollen Weihnachtsbesuche ermöglichen. (Symbolfoto) (Quelle: imagebroker/imago-images-bilder)

Corona hat vieles verändert. Auch die Pflegeheime in Deutschland. Viele Bedürftige starben – und sterben – an Covid-19. Übersehen die Kirchen in der Pandemie die Not der Alten?

Dieses Gespräch erschien zuerst auf chrismon.de.

Heimleiterin Larissa Weis und Pastor Thomas Lunkenheimer haben in Minden erlebt, was Corona in einem Pflegeheim anrichten kann. Cord Aschenbrenner – seine Mutter lebt in einem Heim in Hannover – hat Verständnis, dass ältere Menschen besonders geschützt werden müssen – aber er kritisiert, dass die Kirchen im Frühjahr zugesehen haben, wie alte Menschen vereinsamen.

chrismon: Herr Aschenbrenner, was haben die Kirchen in der Corona-Pandemie falsch gemacht?

Cord Aschenbrenner: Polemisch gesagt, haben sie sich zu lange damit aufgehalten, wie man Gottesdienste im Internet streamt – und zu spät auf die Heime geschaut. Man kann Menschen, die alt, hilflos und manchmal dement sind, nicht einfach isolieren. Das ist unmenschlich für die Bewohner, aber auch für ihre Verwandten. Dagegen hätten die Bischöfinnen und Bischöfe früh protestieren müssen, dann wäre das früher ein Thema geworden – und nicht erst im Frühsommer. Das hatten die Kirchen einfach oft nicht im Blick. Zugang zur Politik hätten die Kirchenoberen wohl gehabt, viele Ministerpräsidenten sind bekennend katholisch oder evangelisch, die Kanzlerin ist Pfarrerstochter.

Cord Aschenbrenner, Jahrgang 1959, ist Journalist und Autor. Er schreibt regelmäßig für die "Süddeutsche Zeitung", in der Ende Juli 2020 sein viel beachteter Text "Stilles Leid" erschien. Darin kritisierte er, dass Bewohner von Pflegeheimen in der Corona-Krise vereinsamten. Cord Aschenbrenner lebt in Hamburg, seine Mutter in einem Pflegeheim in Hannover. Cord Aschenbrenner ist Autor des Buches "Das evangelische Pfarrhaus. 300 Jahre Glaube, Geist und Macht: eine Familiengeschichte".

Und Ihr Großvater war Pastor. Mit welchem Gefühl blicken Sie in diesem Jahr auf Weihnachten?

Cord Aschenbrenner: Ich hoffe, dass es mit Corona nicht zu schlimm kommt und dass wir wenigstens im Freien Weihnachtsgottesdienste feiern können.

Thomas Lunkenheimer, Jahrgang 1966, ist Pfarrer und Theologischer Vorstand der Diakonie Stiftung Salem in Minden/Westfalen, zu der 80 unterschiedliche Einrichtungen gehören, in der rund 2800 Menschen mit und ohne Behinderungen arbeiten. Die Diakonie Stiftung Salem unterstützt mehr als 3.000 Menschen im Evangelischen Kirchenkreis Minden und betreibt sechs Pflegeheime für ältere Menschen.

Thomas Lunkenheimer: Mir tut es in der Seele weh, dass wir nicht singen können. Das Krippenspiel fällt leider auch aus, weil wir Maria und Josef nicht als getrennt lebendes Paar präsentieren wollen. Aber das erste Weihnachten hat auch nicht unter idealen Voraussetzungen stattgefunden. Deshalb freue ich mich auch in diesem Jahr darauf.

Larissa Weis: Bewohner, Mitarbeiter und Familien haben immer zusammen gefeiert, jeder hat ein Geschenk bekommen. 109 Bewohner, mit Familienbesuch waren wir 150 Menschen. Das wird leider so nicht gehen. Aber wir wollen es auf jeden Fall schaffen, dass alle Bewohner einen Weihnachtsbesuch bekommen können, müssen es aber entzerren.

Larissa Weis, Jahrgang 1974, leitet das "Haus Morgenglanz", eines von sechs Pflegeheimen für ältere Menschen in der Diakonie Stiftung Salem. Im Mai 2020 kam es im "Haus Morgenglanz" zu einem Corona-Ausbruch. 22 Mitarbeitende und 22 Bewohner:innen erkrankten, vier kamen ums Leben.

Wie war das im Frühjahr, als Sie merkten: Corona kommt?

Weis: Wir haben einen Krisenstab gebildet, unseren Pandemieplan überarbeitet und wir dachten: Wir sind sicher, uns kann es nicht treffen. Aber Anfang Mai wurde ein Mitarbeiter positiv getestet. Das Virus hat sich ausgebreitet. Es hat den Bereich getroffen, in dem Menschen mit Demenz leben. Demente können Sie nicht isolieren. Wir mussten in Kauf nehmen, dass Bewohner sich gegenseitig anstecken. Menschen mit Demenz verstehen nicht, warum sie im Zimmer bleiben müssen. Wir haben mit den Ärzten und dem Gesundheitsamt beschlossen, dass sich für sie so wenig ändert wie möglich, auch wenn wir natürlich versucht haben, beim Essen mehr Distanz zu wahren.

Wie viele Menschen waren infiziert?

Weis: 22 Mitarbeiter und 22 Bewohner. Vier Bewohner sind verstorben. Zwei waren bereits in palliativer Behandlung, das bedeutet, dass sie auch ohne die Infektion bald am Lebensende angekommen wären. Sie sind mit Covid-19, zwei sind am Virus gestorben.

Was war für Sie hier bei der Diakonie in Minden das Schlimmste in dieser Zeit?

Lunkenheimer: Dass die Presse uns unterstellte, wir würden osteuropäische Leiharbeiter beschäftigen, was sich negativ auf die Qualität der Pflege auswirke. Das wurde nie richtiggestellt. Anfangs war es auch schwer mit den Behörden, die wenig mit uns sprachen, sondern über uns verfügten. Aber das hat sich verbessert. Komplett abgeschottet waren unsere Bewohner nie.

In anderen Pflegeeinrichtungen wurden Demenzkranke sediert …

Weis: Wenn das Gesundheitsamt und auch die Angehörigen nicht Verständnis für die besondere Situation dementer Menschen aufgebracht hätten, hätten wir das vielleicht auch tun müssen.

Aschenbrenner: Wie haben Sie mit den Angehörigen kommuniziert?

Weis: Wir haben mehrfach Briefe an alle Angehörigen geschrieben. Und zwei Mitarbeiter freigestellt, die den persönlichen Kontakt mit den Angehörigen gehalten haben. Wie war die Temperatur? Was hat sie gegessen? Wie geht's ihm psychisch? Wenn wir gemerkt haben, dass ein Bewohner anfängt, sein Mittagessen abzulehnen, haben wir Angehörige angerufen und gesagt: Sie müssen unbedingt vorbeikommen! Und dann standen die Besucher da, mit Schutzmaske, Kittel und Visier – aber es hat geholfen. Wir haben auch viel mit Videotelefonie gearbeitet.

Wie ging es Ihnen im März, Herr Aschenbrenner?

Aschenbrenner: Ich ahnte, dass es schlimm kommen würde. Mitte März habe ich mich von meinen Eltern verabschiedet, sie waren beide im Heim. Zu meinem Vater sagte ich: "Es kann sein, dass ich jetzt länger nicht komme." Es war absehbar, dass die Einrichtung schließen würde. Mein Vater lag im Mai im Sterben, meine Geschwister, ich und unsere Familien durften uns unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen – mit Kittel und Maske – eine Viertelstunde verabschieden, nacheinander an zwei Tagen. Da war er leider schon weit weg. Zwei Tage später ist er nachts allein gestorben. Zu meiner Mutter hatten wir in der Zeit keinen Zugang. Wir konnten ihr nicht vom Tod unseres Vaters berichten. Als wir im Juli zu ihr durften, ging es ihr besser, als wir befürchtet hatten. Sie hat mich erkannt. Meine Mutter leidet unter Demenz, hat aber helle Momente. Also wird sie sich schon gefragt haben, warum niemand kommt.

Wie haben Sie Ihrer Mutter beigebracht, dass Ihr Vater gestorben ist?

Aschenbrenner: Wir wollten ihr im Mai nicht am Telefon erzählen, dass ihr Ehemann, unser Vater gestorben ist, zudem hört sie sehr schlecht. Also haben wir es beim ersten Besuch im Juli getan. Es hat gedauert, bis sie es realisiert hat. Seither fühlt sie sich noch einsamer.

Wie ging es Ihnen?

Aschenbrenner: Hilflos. Man weiß einfach nicht, was man machen soll. Ich hatte auch Verständnis für die Situation der Mitarbeiter, die sich die Krankheit nicht ins Haus holen wollen. Aber es war sehr, sehr schwer erträglich. Und manchmal fühlte ich auch – ja, Zorn!

Lunkenheimer: Man hat Vorschriften, aber auch Freiräume, und die wurden in Deutschland unterschiedlich genutzt. Wir haben häufig Gespräche am Fenster ermöglicht. Endlich waren hässliche Feuerschutztreppen nützlich. Angehörige konnten im Garten stehen, Bewohner auf der Treppe. Sterbende wurden bei uns jederzeit begleitet, und nie nur eine Viertelstunde, sondern ohne Zeitbeschränkung, dafür aber mit Schutzkleidung. Das war der Preis. Im Fall einer sterbenden Frau mussten wir eine harte Entscheidung treffen. Von ihr hätte gern die ganze Familie Abschied genommen, auf einmal, als Gruppe. Das war nicht möglich. Aber zu zweit oder zu dritt durften die Angehörigen kommen.

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Herr Aschenbrenner, gibt es für die Zukunft die Aussicht auf eine bessere Kommunikation?

Aschenbrenner: Eine leitende Mitarbeiterin des Heims meiner Mutter sagte mir am Telefon, es gebe Pläne, falls es zu einer neuen Schließung käme. Aber welche? Das wollte oder konnte sie mir nicht sagen. Ich habe ihr vorgeschlagen, dass wenigstens eine Person aus der Familie benannt wird, die regelmäßig mit Schutzkleidung zu Besuch kommen kann, damit Menschen wie meine Mutter nicht wieder völlig in die Isolation geraten. Ich weiß nicht, ob es so kommt. Das Heim ist in kirchlicher Trägerschaft, ökumenisch, die Mitarbeiter sind weder stur noch böswillig. Sie haben eher Angst, etwas falsch zu machen.

Hatten Sie auch mal Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen?

Weis: Ich hatte Glück mit meinem Krisenteam. Ich habe mich jeden Tag per Video mit den beiden Vorständen ausgetauscht und durfte meine Ängste benennen.

Welche Ängste waren das?

Weis: Menschen zu schaden, wenn ich eine falsche Entscheidung treffe – Bewohnern, Angehörigen, aber auch Mitarbeitern. 20 Mitarbeiter einfach so innerhalb einer Woche freizustellen und Ersatz zu bekommen, das war nicht einfach. Mein Fehler war, dass ich die Pflegedienstleitung komplett auf diesen Wohnbereich geschickt habe, der betroffen war. Sie war mittendrin, und ich war ganz allein im Haus. Ich musste alles allein entscheiden. Das Gesundheitsamt rief an, die Angehörigen, die Mitarbeiter, schnell musste ich mich umorientieren – wenn ich heute daran denke, sage ich: Das habe ich nur mit Gottes Hilfe geschafft.

Sind Ihre Kolleginnen und Kollegen wieder gesund?

Weis: Alle sind wieder da, vier von ihnen leiden unter Spätfolgen. Eine Kollegin war schon zwei Mal im Krankenhaus, sie ist über 60 und hat das nicht so weggesteckt.

Kirche ist auch Seelsorge. Sind da auch Fehler passiert?

Aschenbrenner: Die Gemeindepfarrer wurden oftmals einfach nicht in die Heime reingelassen. Ich glaube, sie haben auch nicht sehr darum gekämpft, sondern sich gefügt. Manche aber auch nicht!

Lunkenheimer: Zu Geburtstagsbesuchen oder zum Kaffeetrinken kamen die Gemeindepfarrer auch zu uns nicht mehr. Aber zur Sterbebegleitung haben wir das immer ermöglicht. Es gab Kolleginnen und Kollegen aus dem Kirchenkreis, die kleine Andachten geschrieben und in den Briefkasten geworfen haben. Mitarbeitende haben das vorgelesen, das kam super an. Herr Aschenbrenner, was Ihre Kritik an den Bischöfinnen und Bischöfen angeht, gebe ich Ihnen recht, die Kirchen haben zu wenig hingeguckt. Andererseits: Wir haben hier 2.800 Mitarbeitende, die über sich hinausgewachsen sind und Trost gespendet haben, wo der Gemeindepfarrer oder die -pfarrerin es nicht konnten. Und diese Diakonie-Mitarbeitenden sind auch Kirche.

Gab es Beschwerden, die direkt an Sie gerichtet waren, Frau Weis?

Weis: Ja, ganz unterschiedliche. Auf der einen Seite gab es Leute, die sagten: "Wenn meine Mama sich infiziert, sehen wir uns vor Gericht! Sie müssen alles tun, damit sie kein Corona bekommt, und wenn es Wegsperren ist!" Auf der anderen Seite gab es auch unter Angehörigen Verschwörungsgläubige, die sagten: "Corona existiert nicht, was machen Sie für ein Theater im Haus Morgenglanz!"

Dürfen Sie Ihre Mutter nun wieder in den Arm nehmen, Herr Aschenbrenner?

Aschenbrenner: Darf ich das eigentlich? Ich glaube nicht. Aber ich nehme ihre Hand. Meine Mutter ist eine Pastorentochter alten Schlages, die nicht so viel Aufhebens von sich und ihren Gebrechen macht. Sie kann damit umgehen.

Frau Weis, woran merkt man, dass ein Mensch bald stirbt und Sie die Angehörigen informieren müssen?

Weis: Manchmal kündigen Bewohner es an: "Ich werde bald gehen und ich möchte meine Kinder noch mal sehen." Die Vitalzeichen verändern sich, der Gesichtsausdruck auch. Wir kennen die Menschen ja auch oft lange und können sehen, wenn sie sich so verändern, dass es Zeit ist, die Verwandten zu informieren.

Verlieren in der Pandemie mehr alte Leute den Lebensmut?

Weis: Nein, unsere Bewohner haben uns Mut gemacht, auch als wir im Mai den Ausbruch hatten. Der Heimbeirat war bei mir und sagte: "Wir desinfizieren Handläufe und die Knöpfe im Fahrstuhl!" Viele Bewohner erzählten uns, dass sie die Einschränkungen als nicht so schlimm empfinden, sie hätten ja schon schlimmere Zeiten erlebt. Ein Bewohner fragte mich, ob sein Sohn mich angerufen hat. Ich sagte: Ja, wir haben gesprochen. Darauf erwiderte er: "Nehmen Sie das nicht so ernst, ich habe schon versucht, ihn zu beruhigen!" Manchmal ging es den Bewohnern gut, aber den Angehörigen schlecht. Dann haben wir gesagt: Die müssen sich jetzt einfach sehen!

Lunkenheimer: Wir haben Angehörigen auch angeboten, ein zweites Bett aufzustellen.

Wer Angehörige in einem Pflegeheim hat, hat manchmal ein schlechtes Gewissen, dass er oder sie sich nicht selbst kümmern kann. Nimmt das in Corona-Zeiten zu?

Lunkenheimer: Es gab auch Beschwerden von Leuten, die zu Besuch kommen wollten, die aber in den vergangenen Jahren nur sehr selten hier waren – wenn überhaupt.

Aschenbrenner: Wir haben die Entscheidung, dass unsere Mutter in ein Pflegeheim zieht, damals noch mit unserem Vater getroffen. Nein, es gibt kein schlechtes Gewissen.

"Von der Herberge zur Todesfalle", lautete eine Schlagzeile nach dem Corona-Ausbruch in Wolfsburg. Arbeiten Sie in einer Todesfalle, Frau Weis?

Weis: Es ist sehr belastend, so etwas zu lesen. Anfangs habe ich bei unserem Ausbruch alles gelesen, auch jeden Kommentar. Nach drei Tagen habe ich damit aufgehört. Ich wollte das nicht mehr wissen. Mich hat das mehr belastet als die Situation vor Ort. Wir hatten, bei aller Sorge, auch noch Freude. Die Bewohner haben geraten, wer da im Vollschutz ins Zimmer kommt. Die Kommentare haben den Eindruck erweckt, wir hätten alles falsch gemacht.

Lunkenheimer: Dass es unser Haus getroffen hat, war Zufall. Das war keine Nachlässigkeit des Kollegen, der als Erstes infiziert war. Das kann passieren. Wir können die Mitarbeitenden ja nicht alle einsperren. Die machen sich sowieso schon Sorgen. Wir haben ein Hygienekonzept, daran halten wir uns.

Was ist, wenn Sie morgens mit Halskratzen aufwachen, Frau Weis?

Weis: Schwierig. Dann muss man den gesunden Menschenverstand einschalten. Wo war ich? Wie wahrscheinlich ist es, dass ich dort einen Corona-Kontakt hatte? Ich bin Allergikerin, wenn meine Tablette nicht gegen die Symptome hilft, muss ich aufpassen. Ich habe eine große Verantwortung. Im Zweifel muss ich mich testen lassen. Im Sommer waren wir im Urlaub, in Italien, ich musste raus. Alle haben gesagt: "Um Gottes willen, Italien!" Wir hatten ein Häuschen gemietet und waren für uns. Trotzdem habe ich mich zwei Mal testen lassen, bevor ich wieder zur Arbeit gegangen bin.

Bei Ihnen arbeiten auch junge Menschen. Nehmen die sich ganz stark zurück?

Weis: Ja! Und es ist nicht so, dass wir das vorschreiben. Aber sie haben gesehen, was Corona anrichten kann. Dabei ist gar nicht sicher, dass der Mitarbeiter der Auslöser war. Es kann auch ein Arztbesuch gewesen sein oder eine Neuaufnahme.

Lunkenheimer: Fast hätte die Einrichtung evakuiert werden müssen. Das wäre der Worst Case, erst recht für die Dementen. Dass es nicht passierte, war den Mitarbeitenden zu verdanken. Die hätten sich alle krankschreiben lassen können. Vor ihnen habe ich Hochachtung!

Weis: Der Vorschlag des Gesundheitsamtes war, alle 22 Infizierten ins Krankenhaus zu verlegen. Die Angehörigen haben sich dagegen ausgesprochen, weil sie wussten, dass es ihnen bei uns gutgeht. Die Mitarbeiter, die damals im Urlaub waren, sind zurückgekommen. Freiwillig!

Haben Sie im März auf dem Balkon geklatscht?

Aschenbrenner: Nein, das war mir zu symbolisch und zu albern. Aber im Heim meiner Mutter habe ich den wenigen, die mir begegnet sind, meine Hochachtung ausgesprochen. Sie waren erschöpft und ausgepowert.

Lunkenheimer: Auch wenn der Personalschlüssel hier in Nordrhein-Westfalen besser ist als zum Beispiel in Niedersachsen, muss die Politik handeln. Wir als Träger allein können es nicht, wenn es keine gesetzliche Regelung zur Refinanzierung gibt, damit wir mehr Personal einstellen können.

Aschenbrenner: Hat die Politik das verstanden?

Lunkenheimer: Nein! Die macht oft bloß Symbolpolitik. Der 1.500-Euro-Bonus verursacht einen enormen Verwaltungsaufwand, weil wir tagesgenau gucken müssen, wer genau wann und wo gearbeitet hat. Klar, ich gönne den Leuten das Geld! Jens Spahn stellt 13.000 Pflegekräfte in Aussicht. Das hört sich gewaltig an. Aber umgerechnet sind es bei uns 0,2 Stellen pro Einrichtung.

Können Ihre Bewohner Besuch auch noch bekommen, wenn die Pandemie schlimmer wird? Sind Corona-Schnelltests eine Chance für mehr Normalität?

Lunkenheimer: Vom Land kam gerade die Anweisung, wir sollten solche Tests beschaffen. Man muss die aber fachmännisch durchführen. Wenn mir einer sagt, ob die Kassen das bezahlen, ob ich dafür Fachkräfte einsetzen und deren Stunden abrechnen kann – klar, sofort! Aber solche Angaben fehlen in den Verordnungen leider oft.

Weis: So, wie es im März und April war, darf es aber nie mehr kommen!

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte im Frühjahr: "Wir werden nach Corona alle miteinander viel verzeihen müssen." Wen werden Sie am Jahresende um Verzeihung bitten?

Weis: Die Mitarbeitenden, weil ich ihnen in bestimmten Situationen viel abverlangt habe. Zum Beispiel, an Covid-19 erkrankte Bewohner zu pflegen – mit der Gefahr, sich selbst anzustecken. Einige haben sich auch infiziert. Die Bewohner, dass ich nicht sofort und nicht immer Zeit für sie hatte, um Gespräche mit ihnen zu führen. Und die Angehörigen, dass ich das Verständnis für die Situation vorausgesetzt habe.

Lunkenheimer: Manchmal habe ich Mitarbeitenden Unrecht getan, weil ich zu ungeduldig war. Der Umgang in der angespannten Situation war nicht immer von der Achtsamkeit geprägt, die wir uns auf die Fahnen schreiben.

Aschenbrenner: Im Stillen vielleicht den einen oder anderen Bischof. Wer jetzt institutionelle Verantwortung trägt, hat es bestimmt nicht leicht.

Diese Geschichte erscheint in Kooperation mit dem Magazin "chrismon". Die Zeitschrift der evangelischen Kirche liegt jeden Monat mit 1,6 Millionen Exemplaren in großen Tages- und Wochenzeitungen bei – unter anderem "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Die Welt", "Welt kompakt", "Welt am Sonntag" (Norddeutschland), "FAZ" (Frankfurt, Rhein-Main), "Leipziger Volkszeitung" und "Dresdner Neueste Nachrichten". Die erweiterte Ausgabe "chrismon plus" ist im Abonnement sowie im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel erhältlich. Mehr auf: www.chrismon.de

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