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Drahtseilakt Corona: Ab wann ist das deutsche Gesundheitssystem überlastet?


Drahtseilakt Corona
Ab wann ist das deutsche Gesundheitssystem überlastet?

dpa, Wilhelm Pischke

19.10.2020Lesedauer: 3 Min.
Universitätsklinikum Essen: Blick in ein Stationszimmer mit Beatmungsgerät fuer schwererkrankte Covid-19 Patienten.Vergrößern des Bildes
Universitätsklinikum Essen: Blick in ein Stationszimmer mit Beatmungsgerät fuer schwererkrankte Covid-19 Patienten. (Quelle: imago-images-bilder)

Ein Gespenst geht um: die Überlastung des Gesundheitswesens durch Corona. Doch wie viele Neuinfektionen hält unser Land aus? Die Antwort darauf ist entscheidend – und schwer zu beantworten.

Die schockierenden Bilder aus Norditalien sind vielen noch im Gedächtnis. Im März waren dort Intensivstationen mit der hohen Zahl der Corona-Patienten überfordert, Krematorien kamen mit der Arbeit nicht mehr nach. Jetzt, wo sich das Coronavirus wieder rasant verbreitet, kommt die Angst vor einer ähnlichen Situation auch in Deutschland zurück. Es gehe darum "unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten", sagte jüngst Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch wann ist dieses System "überlastet"?

"Entscheidend für diese Frage ist die Zahl der stationär und insbesondere intensivmedizinisch behandlungsbedürftigen Patienten", sagt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).

Immer mehr Patienten im Krankenhaus

Hinsichtlich der Kapazitäten an Intensivbetten sei Deutschland in einer weltweit einmaligen Versorgungssituation. Von mehr als 30.000 Intensivbetten sind laut Deutscher Interdisziplinärer Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) derzeit etwa 9.000 (Stand Sonntag) frei. Zudem gibt es weitere 12.000 Betten, die im Notfall aktiviert werden können. "Zusätzlich haben wir gezeigt, dass wir circa 150.000 bis 200.000 normale Betten frei machen können", erklärt Baum.

Ihm bereitet eher die ausreichende Versorgung mit geschultem Personal Sorge. Eine entsprechende Auslastung der Betten "würde maximale innerbetriebliche Personalumsetzungen und Konzentrationen in die vordringlich zu versorgenden Bereiche erforderlich machen."

Noch ist es auf den Intensivstationen vergleichsweise ruhig. Rund 770 Corona-Patienten wurden zuletzt (Stand Sonntag) laut DIVI dort behandelt. Zum Vergleich: Mitte April waren es zeitweise mehr als 2.500. Doch die Werte steigen. "Wir haben deutlich zunehmende Zahlen von Covid-Patienten im Krankenhaus", sagt Baum. Vor zwei Wochen wurden nur rund 420 Corona-Patienten intensivmedizinisch betreut.

"Multiple Brandherde"

Ein wichtiger Faktor ist auch, ob die Gesundheitsämter Ausbrüche zurückverfolgen und potenziell Infizierte warnen können. Das kann einer weiteren Ausbreitung vorbeugen. Das System ist allerdings fragil, wie das Beispiel des Berliner Bezirks Neukölln zeigt, der mit besonders vielen Neuinfektionen kämpft. "Wir haben nicht mehr einen Brandherd, sondern multiple Glutnester – nicht Dutzende, sondern Hunderte", sagte Neuköllns Amtsarzt, Nicolai Savaskan, dem Tagesspiegel vergangene Woche. Bei 70 Prozent der Fälle sei der Infektionsherd nicht mehr zu finden.


Das Bundesgesundheitsministerium kann nicht abschätzen wie viele Neuinfektionen unser Gesundheitssystem aushält. "Die Anzahl der schweren Verläufe hängt zwar davon ab, wie hoch die Fallzahlen insgesamt sind, aber andere Faktoren spielen hier auch eine große Rolle, zum Beispiel wie viele Menschen aus Risikogruppen betroffen sind", teilte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

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Zuletzt gab es laut Robert Koch-Institut wieder vermehrt Corona-Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Ältere und Vorerkrankte sind besonders anfällig für einen schweren Verlauf.

Grippewelle als Unsicherheitsfaktor

Der bislang vergleichsweise milde Verlauf der Pandemie dürfte nicht dazu verleiten, die Gefahren zu unterschätzen, sagt Uwe Janssens, Präsident der DIVI. Die Belegung der Intensivbetten hänge im kommenden Winter von vielen Faktoren ab, die im vergangenen Frühjahr kaum eine Rolle spielten. Dazu gehört die kommende Grippewelle – und wie stark sie angesichts der Corona-Maßnahmen einschlagen werde.

Untersuchungen des Robert Koch-Instituts legen nahe, dass Hygienemaßnahmen, das Abstandhalten und das Tragen von Masken auch die Verbreitung der Grippe eindämmen.

Für 2020 sei das schnelle Abklingen der Influenzaaktivität und eine um mindestens zwei Wochen kürzere Dauer der Grippewelle auffällig gewesen, hieß es in der RKI-Studie. Derzeit könne man noch nicht abschätzen, wie stark die Grippewelle in der kommenden kalten Jahreszeit wüten werde, hieß es dazu jüngst in einem RKI-Bericht. Eine starke Grippewelle würde die Zahl der belegten Intensivbetten nach oben treiben.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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