Künstlicher Schlaf Wann Patienten aus einer Narkose aufwachen können
Viele Patienten haben vor einer Vollnarkose Angst. Ohne Bewusstsein zu sein und in einen künstlichen Schlaf versetzt zu werden, behagt den wenigsten. Doch viele Operationen lassen sich nur unter einer Vollnarkose durchführen. t-online.de hat einen Experten gefragt, welche Sorgen berechtigt sind und ob man während einer Operation wirklich aufwachen kann.
Bei einer Vollnarkose ist die Signalübertragung zwischen den verschiedenen Hirnarealen und den Nervenfasern unterbrochen. Hinzu kommt, dass unter dem künstlichen Schlaf deutlich weniger Informationen produziert werden, da bestimmte Hirnbereiche weniger aktiv sind.
Narkose hemmt die Erregbarkeit der Nervenzellen
"Niemand weiß zu 100 Prozent, was bei einer Vollnarkose genau mit dem Bewusstsein passiert", sagt Professor Götz Geldner, Präsident des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA). "Was wir wissen, ist, dass die eingesetzten Substanzen die Erregbarkeit der Nervenzellen herabsetzen und dadurch wichtige Impulse nicht mehr weitergeleitet und verarbeitet werden können", erklärt der Mediziner, der auch Direktor der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Klinikum Ludwigsburg-Bietigheim ist.
Drei Wirksubstanzen bringen den künstlichen Schlaf
Bei einer Vollnarkose spielen drei Wirkgruppen zusammen: Schlafmittel (Hypnotika), Schmerzmittel (Opioide) sowie muskellähmende Medikamente (Muskelrelaxantien). Diese Kombination sorgt dafür, dass der Patient das Bewusstsein verliert und keinen Schmerz mehr wahrnehmen kann. Muskelrelaxanzien sind vor allem bei Operationen wichtig, bei denen sich der Patient auf keinen Fall bewegen darf.
Der größte Teil der Narkosemedikamente wird intravenös verabreicht, also über die Venen injiziert. Die Substanzen können zum Teil aber auch über eine Maske oder einen Tubus inhaliert werden. Damit die Atmung auch weiterhin funktioniert, wird der Patient über einen Schlauch in der Luftröhre künstlich beatmet.
Anästhesist kennt die Stressreaktionen des Körpers
Während des Eingriffs überwacht der Anästhesist (Narkosearzt) unter anderem Herzschlag, Blutdruck sowie den Sauerstoffgehalt im Blut. "Diese Informationen geben wichtige Hinweise zu der Tiefe der Narkose. Bei manchen Patienten wird die Narkosetiefe zudem mit der Messung der Hirnströme (EEG) überwacht. Bei Bedarf wird die Dosierung der Medikamente erhöht – oder aber verringert", erklärt Geldner.
"Warnzeichen, dass die Narkose zu flach ist, sind unter anderem eine erhöhte Herzfrequenz, erhöhte Blutdruckwerte, Schwitzen sowie ein roter Kopf. All das weist auf Stressreaktionen im Körper aufgrund des Eingriffs hin. Der Körper merkt, dass etwas mit ihm geschieht, auch wenn der Patient es nicht bewusst wahrnimmt."
Aus diesem Grund lassen sich nach einem Eingriff vermehrt Stresshormone im Körper nachweisen. Diese werden allerdings weniger aufgrund der Narkose ausgeschüttet als durch den Eingriff selbst. Je größer die Operation ist, desto mehr Stresshormone werden freigesetzt – und desto länger braucht der Körper, bis er diese wieder abgebaut hat.
Wann Patienten eventuell aus der Narkose aufwachen können
Das Risiko, dass ein Patient während der Operation aufwacht, bei Bewusstsein ist und sich nicht bemerkbar machen kann, ist laut dem Experten extrem gering. Meist verraten die Überwachungsmaschinen frühzeitig, wenn die Narkose nicht tief genug ist. "Kommt es doch zu einem Aufwachen, Awareness genannt, verspürt der Patient aber trotzdem meist keine Schmerzen. Denn das Ausschalten des Bewusstseins wird mit anderen Substanzen herbeigeführt als das Aussetzen des Schmerzempfindens."
Das Risiko aufzuwachen bestehe eventuell dann, wenn die Narkose gezielt leicht dosiert werden müsse, etwa bei einem Kaiserschnitt, bei dem das Kind nichts von den Substanzen abbekommen soll. Oder wenn der Kreislauf nicht zu stark belastet werden darf, etwa bei Herzoperationen. Dann aber werden die Patienten schon im Vorfeld über das bestehende Awareness-Risiko informiert.
Drohen durch eine Narkose Langzeitschäden im Gehirn?
Die Angst vor Langzeitschäden im Gehirn aufgrund einer Narkose ist laut Geldner unbegründet. Zwar würden Nervenzellen absterben, aber das seien nicht mehr als bei einem Alkoholrausch. Möglich sind aber Verwirrungszustände einige Tage nach der Narkose. Vor allem ältere Menschen sind davon betroffen. Wie stark diese ausgeprägt sind, hängt vom Allgemeinzustand des Patienten, der Operation und der Menge der Narkosemedikamente ab. In den meisten Fällen reguliere sich das nach wenigen Tagen oder teilweise Wochen wieder, beruhigt der Experte.
Übelkeit und Erbrechen nach Vollnarkose häufig
Wesentlich häufiger treten Übelkeit und Erbrechen nach einer Narkose auf. Vor allem Frauen haben damit zu kämpfen. Auch wer unter Reiseübelkeit leidet, gehört zu der Risikogruppe. Ebenso Patienten die am Bauch oder an den Ohren operiert werden. Nichtrauchern wird eher schlecht als Rauchern. "Hat ein Patient mehrere Risikofaktoren, geben wir bereits während der Narkose ein Mittel, um dem vorzubeugen", sagt Geldner. "Im Durchschnitt sind etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten von Übelkeit und Erbrechen nach einer Narkose betroffen – sofern man nicht mit entsprechenden Präparaten entgegensteuert."
Sterberisiko bei Narkosen extrem gering
Und wie groß ist das Risiko, nach einer Vollnarkose überhaupt nicht mehr aufzuwachen? Laut dem Experten nicht größer als bei den Risiken im Alltag auch. Passieren könne immer etwas, aber das sei auch auf der Autobahn, im Flugzeug oder im Beruf möglich. "Dass Sie bei einem Spaziergang im Gewitter vom Blitz getroffen werden, ist fünf Mal wahrscheinlicher als durch eine Vollnarkose zu sterben", sagt Geldner. Bei großen und schweren Operationen sei der Eingriff selbst das relevante Risiko, nicht die Narkose an sich.
Die Narkose beziehungsweise die Dosierung der Substanzen wird gezielt auf den einzelnen Patienten abgestimmt und Risikofaktoren soweit wie möglich umgangen. So kann beispielsweise bei einem Pollen-Allergiker die Operation auch stattfinden, wenn die Hauptpollenzeit vorbei ist – sofern der Eingriff nicht drängt. "Generell wird der Gesundheitszustand vor dem Eingriff immer genau überprüft und die Narkose dementsprechend abgestimmt. Dadurch sind Komplikationen eher selten", so der Experte.
So bereiten sich Patienten auf die Narkose vor
Doch nicht nur der Anästhesist muss sich sorgfältig auf die Narkose vorbereiten. Auch der Patient selbst kann dazu beitragen, dass alles reibungslos verläuft. So ist es wichtig, dass er zwei Stunden vor der Operation nichts mehr trinkt. Auch essen darf er sechs Stunden vor dem Eingriff nichts mehr. Sobald der Magen gefüllt wird, bildet er Magensäure. Diese kann in die Lunge gelangen, wenn der Beatmungsschlauch gelegt wird. Dann drohen Verätzungen.
Müssen aufgrund anderer Erkrankungen Medikamente eingenommen werden, wird frühzeitig besprochen, welche reduziert oder ganz abgesetzt werden. Auch Allergien, Unverträglichkeiten sowie ein Substanzmittelgebrauch beziehungsweise -missbrauch sollten dem Arzt immer mitgeteilt werden.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.