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Kommentar: Mein Körper gehört mir und das Internet auch


Paragraph 219a gehört abgeschafft
Mein Körper gehört mir – und das Internet auch!

Meinungt-online, Annemarie Munimus

08.12.2017Lesedauer: 3 Min.
Eine ungewollte Schwangerschaft stellt eine Frau vor große Herausforderungen: Eine davon ist die Informationsbeschaffung im Netz.Vergrößern des Bildes
Eine ungewollte Schwangerschaft stellt eine Frau vor große Herausforderungen: Eine davon ist die Informationsbeschaffung im Netz. (Quelle: cindygoff/Thinkstock by Getty-Images-bilder)

– Ein Kommentar von Annemarie Munimus –

Sollen Ärzte im Netz über Abtreibung informieren dürfen – oder verhindert der Paragraph 219a wirklich die Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen? In dieser Debatte geht es um nicht weniger als die Grundrechte von Frauen.

Die Ärztin Kristina Hänel wurde gerade vom Amtsgericht Gießen wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Auf ihrer Webseite informiert die Gießener Ärztin darüber, dass in ihrer Praxis auch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Über einen Link konnten Frauen zudem Informationen zu einem Schwangerschaftsabbruch beziehen.

Die Anklage stützt sich dabei auf den Paragraphen 219a des Strafgesetzbuches (StGB). Dieser verbietet das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus einem finanziellen Vorteil heraus, oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" passiert.

Die Vorsitzende Richterin begründete: "Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache".

Zwei Grundrechte werden Frauen vorenthalten

Der Fall der Gießener Ärztin löst nun eine neue Debatte über das Abtreibungsrecht sowie den Paragraphen 219a aus. In diesem Zusammenhang muss über zwei fundamentale Rechte diskutiert werden, die Frauen in Deutschland bisher noch nicht uneingeschränkt genießen: das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.

Der Paragraph 218 Strafgesetzbuch macht einen Schwangerschaftsabbruch zu einer Straftat, die unter bestimmten Umständen rechtmäßig oder zumindest straffrei bleibt. Hier kann man bereits argumentieren, dass der Staat damit die Intimsphäre, körperliche Integrität und das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen einschränkt.

Durch den Paragraphen 219a wird zusätzlich noch die informationelle Selbstbestimmung von Frauen eingeschränkt, weil bestimmte Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch vorenthalten oder schwer zugänglich gemacht werden. So zum Beispiel die Frage, welcher Arzt den Abbruch vornehmen kann.

Information ist nicht gleich Werbung

Die Berufsordnung für Ärzte regelt, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht kommerzialisiert oder normalisiert werden dürfen (Paragraph 27). Diejenigen, die die Abbrüche vornehmen, sollten dies nicht zur persönlichen Bereicherung tun.

Es muss aber legitim sein, dass Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, sachliche berufsbezogene Informationen darüber bereitstellen. Diese Informationen sollten auch im Internet auffindbar sein.

Im Jahr 2017 muss es für Frauen möglich sein, sich über alle Fragen ihrer Gesundheit im Internet zu informieren. Dazu gehören auch alle relevanten Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen.

Natürlich finden sich im Internet bereits Informationen zum Thema. Soziale Träger wie Pro Familia bieten diese an und auch die einschlägigen Medien haben Ratgeber.

Gibt man allerdings bei Google "Wo abtreiben in Berlin" ein, findet man keine Adressen von Ärzten, die den Eingriff durchführen. Auf der Seite von Pro Familia steht: "Wenn Sie mehr wissen wollen oder Fragen haben, wenden Sie sich an eine Ärztin, einen Arzt oder eine Pro Familia-Beratungsstelle."

In einem Internetforum erfährt man, dass man erst zu Pro Familia muss und dort dann eine Auskunft über Kliniken und Ärzte erhält, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Auf relevante Fragen finden sich im Netz keine Antworten: Führt mein Arzt Schwangerschaftsabbrüche durch? Hat er Erfahrung mit der Beratung und mit dem Eingriff?

Der deutsche Staat erschwert mit dem Paragraphen 219a die Informationsbeschaffung für Frauen, die sich womöglich in einer Notlage befinden. Er gibt die Informationshoheit an einen sozialen Träger ab und beschneidet damit das Recht auf Informationsfreiheit und freie Arztwahl (76 SGB V). Zum Vergleich: In Frankreich gibt es sämtliche Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch sowie die Adressen von Ärzten, die diesen durchführen, auf einer Regierungswebseite.

Schluss mit der Entmündigung

Es geht nicht darum, auf Sonderangebote für Schwangerschaftsabbrüche aufmerksam zu machen oder daraus womöglich eine lukrative Diensteinteilung zu machen.

Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Schwangerschaftsabbruch eine Option ist oder nicht, beginnt für eine Frau nicht erst im Arztzimmer. Sie beginnt in dem Moment, wenn eine Schwangerschaft festgestellt wird und diese ungewollt ist.

Das Gericht sollte Frauen zutrauen, dass sie selbstständig zwischen Werbung und Information differenzieren können.

Hänels Anwältin kündigte an, das Urteil mit einer Revision anfechten zu wollen: "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Richterin den Unterschied von Information und Werbung nicht kennt", sagte die Verteidigerin. Die Ärztin hatte vor dem Urteil angekündigt, notfalls auch vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Dabei kann sie sich über Unterstützung von über 137.000 (Stand 8.12.2017) Unterzeichnern ihrer Online-Petition "Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch" freuen.

Gesetzliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland: Frauen in Deutschland bleiben bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche nach Paragraf 218 StGB straffrei, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen durchführen lassen.
Vor einer Abtreibung ist eine Beratung Pflicht. Nach Ende der zwölften Woche muss es spezielle Gründe für den Abbruch geben. Das kann beispielsweise eine absehbare unzumutbare Belastung der werdenden Mutter durch eine Behinderung des Ungeborenen, Lebensgefahr für die Schwangere oder eine Schwangerschaft nach einem Sexualverbrechen sein.
Beratungsstellen: Pro Familia, Diakonisches Werk, Deutsches Rotes Kreuz. Auch Frauenärzte bieten die Pflichtberatung an. Der Arzt, der den Eingriff vornimmt, darf jedoch nicht zuvor die Beratung durchgeführt haben. Zwischen dem Gespräch und dem Eingriff müssen drei Tage Bedenkzeit liegen.

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Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland ist seit 1996 rückläufig. Im dritten Quartal 2017 wurde ein leichter Anstieg der Zahlen verzeichnet: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gibt es einen Anstieg um zwei Prozent auf 76.900.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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