Stärkung für Körper und Geist Wie Kneipp-Kuren helfen, die innere Mitte zu finden
Wasserdoktor, Wundermacher, Wickelmeister: Pfarrer Sebastian Kneipp half Armen genauso wie Prinzen. Auch heute erfreuen sich die nach ihm benannten Kneippkuren großer Beliebtheit. Das Wassertreten ist dabei nur eines von fünf Säulen seiner Gesundheitslehre, deren Ziel es ist, Körper und Geist in Einklang zu bringen.
An der neuen Seepromenade in Bad Segeberg fällt das Wassertretbecken sofort auf. Zwei mal elf Meter, gefüllt mit eiskaltem Wasser und der Länge nach durchzogen von einem Handgeländer. Hier tummeln sich Kneippianer.
"Normalerweise treffen wir uns hier immer donnerstags und marschieren im Storchengang ein paar Runden durchs Becken", erzählt Elisabeth Juhls. "Das ist gut für die Durchblutung", sagt die Vorsitzende des Kneipp-Vereins in Bad Segeberg. Für die 72-Jährige ist das Kneippen so selbstverständlich wie das Zähneputzen.
Die fünf Säulen der Kneipp'schen Gesundheitlehre
Kneippen sei viel mehr als Wassertreten oder eiskalte Kniegüsse, erklärt Juhls. Neben der Hydrotherapie beruht die Kneippsche Philosophie auf vier weiteren Säulen: Heilkräuter, Bewegung, bewusste Ernährung und die sogenannte "innere Ordnung".
Am Beginn von Kneipps Erfolgsgeschichte steht sein eigenes Leiden. Als junger Theologiestudent an Tuberkulose erkrankt und von den Ärzten schon verloren geglaubt, fiel ihm ein entscheidendes Buch in die Hände: "Unterricht von Krafft und Würckung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen (...)", verfasst von Johann Siegmund Hahn. Von da an marschierte Kneipp, damals in Dillingen lebend, täglich an die nahe Donau und nahm kurze Bäder im eiskalten Fluss.
Wasserkur mit ganzheitlichem Ansatz
Beflügelt vom eigenen Heilerfolg, entwickelte der angehende Theologe die "Wasserkur" weiter: kalte und warme Güsse und Bäder, Wickel, Waschungen –dazu viel Bewegung, gesundes Essen und die Kraft der Heilkräuter. Heimlich behandelte er zunächst Kommilitonen, später sogar an Cholera erkrankte Menschen. Sein Erfolg gab ihm Recht, und doch: Kneipp war kein Mediziner. Nach seiner Priesterweihe 1852 wurde er nicht nur einmal als Kurpfuscher verspottet und gar verklagt.
Doch was tat Kneipp? Er stellte dem an Gicht erkrankten Richter kurzerhand eine passende Kuranweisung aus. Er wollte helfen. Sein erstes Buch "Meine Wasserkur", welches sich später als Plagiat herausstellte, und das zweite, 1889 erschienene Werk "So sollt ihr leben" verbreiteten seine Gesundheitslehre, in viele Sprachen übersetzt, in die äußersten Winkel Europas.
Das Herz der Kneippkur liegt im Allgäu. Kein anderer Ort ist so stark durch den Pfarrer und Wassertherapeuten Kneipp geprägt wie das bayerische Bad Wörishofen. Von den heute über 100 Kurhotels erzählt vor allem eines seine Geschichte: das Sebastianeum, 1891 eigens von Kneipp eröffnet.
Insbesondere seit Papst Leo XIII. ihn 1893 zum "Monsignore" und päpstlichen Geheimkämmerer ernannte, setzte ein wahrer Kneipp-Tourismus ein. Hotels wurden gebaut, Bad Wörishofen wuchs und entwickelte sich zum Kurort. Zehntausende pilgerten jedes Jahr ins Allgäu, darunter Prinzen, Fürsten und Herzöge.
Kälte statt Kaffee als Wachmacher
Wie sehr die Kneippkur bis heute ihre Gültigkeit behalten hat, weiß Joachim Bohmhammel. Der therapeutische Leiter und ausgebildete Kneipp-Bademeister ist seit 22 Jahren am Sebastianeum tätig. Vom Blutdruck- bis zum Burnout-Patienten, von der Atemwegserkrankung bis zur Schlafstörung, er hilft Heilsuchenden mit individuell auf sie zugeschnittenen Wasseranwendungen. Mal seien es warme, mal kalte Güsse, die über Brust oder Beine, Gesicht oder Arme fließen.
Die Menschen seien von vielfältigen Symptomen geplagt, doch der Auslöser sei fast immer Stress, berichtet der 57-Jährige. Die Hydrotherapie wirke durch ihre Wärme- und Kältereize hervorragend auf das vegetative Nervensystem: "Ein kalter Armguss macht wach, ein Knieguss hilft beim Einschlafen." Viele Anwendungen ließen sich nach der Kur zu Hause oder in Vereinen weiter durchführen.
Wassertreten erfreut sich große Popularität
Der Bad Segeberger Kneipp-Verein ist nur einer von zahlreichen Gruppen. Vom Norden bis in den Chiemgau sind etwa 1.200 Vereine unter dem Dach des Kneipp-Bunds organisiert. Daneben gibt es Hunderte öffentlich zugängliche Kneipp-Wassertretbecken in Deutschland. Viele weitere Anlagen verstecken sich in Parks, Seen, Wäldern und Bächen.
Zwar wurde auch Kneipp nicht unsterblich, doch er hinterließ sein Erbe. Die deutsche Unesco-Kommission nahm das Kneippen 2015 ins Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes auf. Kneipp war überzeugt: "Wer nicht jeden Tag etwas für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern." Im Mai 2021 jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa-tmn