Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Starkes Wachstum, hohe Rendite? Darum dürfen chinesische Aktien in keinem Depot fehlen
Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist ein Schwellenland: China. Trotz eines enormen Wirtschaftswachstums hinken Chinas langfristige Aktienrenditen hinterher. Dennoch gehören die Papiere in jedes Depot.
In den vergangenen Wochen lief es gar nicht rund an Chinas Aktienmärkten. Die Zentralregierung zieht bei der Regulierung von Technologie- und Bildunternehmen die Zügel an und droht mit Strafzahlungen und Marktbeschränkungen. Als nächstes traf es dann Gaming-Aktien.
Eine staatliche Wirtschaftszeitung verurteilt Onlinespiele als "elektronische Drogen" und "Opium fürs Gehirn". Die Folge: Chinesische Technologieaktien geraten weltweit stark unter Druck. Vor allen bei an den US-Börsen gelisteten Papieren ist das Minus groß. Hier droht nämlich zusätzlich ein De-Listing – eine weitere mögliche Sanktion der USA gegen China, der Handelsstreit lässt grüßen.
Die Börsenexpertin
Jessica Schwarzer ist Finanzjournalistin, Bestsellerautorin und langjährige Beobachterin des weltweiten Börsengeschehens. Die deutsche Aktienkultur ist ihr eine Herzensangelegenheit. Zuletzt ist ihr jüngstes Buch "Warum wirklich jeder entspannt reich werden kann" erschienen. Bei t-online schreibt sie alle zwei Wochen über Investments und Finanztrends, die eine breit gestreute Basis-Geldanlage ergänzen. Sie erreichen sie auf LinkedIn, Twitter, Facebook und Instagram.
Das spüren auch einige Aktienindizes: Der "Golden Dragon China Index", in dem die 98 größten chinesischen Tech-Aktien in den USA gelistet sind, verlor im Juli mehr als 20 Prozent. Einen solchen Absturz hatte es zuletzt in der globalen Finanzkrise gegeben. Auch mit dem "Hang Seng Tech Index", der die wichtigsten in Hongkong gelisteten chinesischen Tech-Werte zusammenfasst, ging es um 17 Prozent abwärts.
Viele haben chinesische Aktien – sie wissen es nur nicht
Damit nicht genug. Die zweitgrößte Volkswirtschaft patzt auch noch mit ihrem Wirtschaftswachstum. "Nur" 7,9 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal gestiegen. Das ist eine sportliche Zahl, vergleicht man sie mit hiesigen Wachstumszahlen. Aber es war eben mehr erwartet worden, nämlich 8,1 Prozent. Börsianer reagieren mitunter recht empfindlich auf Enttäuschungen.
Warum Sie das alles als Anleger interessieren sollte? Weil wir erstens von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt sprechen und einem sehr wichtigen Handelspartner Deutschland. Und weil Sie zweitens wahrscheinlich viel mehr chinesische Aktien im Depot haben, als Sie denken. Aber dazu später mehr.
Dass die Börse über ein stolzes Wirtschaftswachstum von 7,9 Prozent nicht jubelt, ist eigentlich verrückt. Auch langfristig wird das sportliche Wirtschaftswachstum von der Börse übrigens nicht goutiert. Noch verrückter: Eigentlich sollte man doch denken, dass sich die Aktienmärkte in einem Land mit solch beeindruckenden Wachstumszahlen ebenfalls blendend entwickeln. Tun sie aber nicht, weder kurz-, noch mittel- oder gar langfristig. Nun könnten wir stundenlang nach Gründen suchen: China ist eine Planwirtschaft, der Kapitalmarkt wenig entwickelt und so weiter und so fort.
Wirtschaftswachstum ist keine Garantie für Rendite
Gerd Kommer, mit dem ich wöchentlich im Wechsel diese Kolumne schreibe, hat mich allerdings auf ein spannendes Phänomen aufmerksam gemacht: Wirtschaftswachstum und Kapitalmarktrenditen haben wenig miteinander zu tun. Oder um es mit seinen Worten zu sagen: "Hohes Wirtschaftswachstum ist nicht zwangsläufig mit hoher Rendite verknüpft." Das musste ich erstmal sacken lassen.
An der Börse wird natürlich die Zukunft gehandelt, hohes Wachstum in der Vergangenheit zählt nicht. Dass es aber so weiter geht, zählt dann doch, ist aber schon eingepreist, steckt also drin in den Kursen. Negative Überraschungen, und mögen sie noch so klein sein, hingegen sind nicht eingepreist – es sind ja schließlich Überraschungen. Sie sorgen dann für einen Kursausschlag. Mehr dazu, warum Wirtschaftswachstum und Aktienmarktrenditen nicht viel mit einander zu tun haben, erklärt Ihnen Gerd Kommer an dieser Stelle übrigens kommende Woche.
Für China bedeutet das: "In den vergangenen rund 30 Jahren dürfte kein Land auf der Welt ein höheres durchschnittliches Wirtschaftswachstum pro Kopf gehabt haben als China. Trotzdem waren die langfristigen Aktienrenditen in China alles andere als spektakulär", rechnet Kommer. Ich persönlich plädiere für einen sehr langen Anlagehorizont, daher fasziniert mich der Zeitraum über fast 30 Jahre, genauer vom 31. Dezember 1992 bis zum 29. Juli 2021.
Klumpenrisiko China
Für diesen Zeitraum hat der Aktienindex MSCI China tatsächlich nur eine magere Rendite vorzuweisen. Pro Jahr hat er im Schnitt 2,3 Prozent zugelegt. Zum Vergleich: Der MSCI Germany, also der breite deutsche Aktienmarkt, legt pro Jahr eine durchschnittliche Rendite von 8,5 Prozent aufs Parkett – bei einem deutlich geringeren Wirtschaftswachstum.
Auch der MSCI World, in dem Aktien aus 23 Industrieländern gelistet sind, schafft 9,1 Prozent. Noch besser war der Schwellenländerindex MSCI Emerging Market mit 7,8 Prozent.
Genau über diesen Umweg landen viele chinesischen Aktien im Depot vieler europäischer Anleger. Denn der MSCI Emerging Markets ist unter Privatanlegern ziemlich beliebt. Man könnte sogar von einem Klumpenrisiko sprechen. Denn die Gewichtung chinesischer Aktien im globalen Schwellenländer-Index ist in den vergangenen Jahren extrem gewachsen.
Der MSCI Emerging Markets bildet zwar die Wertentwicklung von rund 1.400 Aktien aus 27 Schwellenländern ab, aber der Anteil Chinas ist enorm. Waren es noch vor ein paar Jahre weniger als 20 Prozent, sind es heute eben fast 40 Prozent. Ist das gefährlich? Will man das? Die Fragen müssen Sie sich selbst beantworten.
Fakt ist: Die Gewichtung spiegelt letztendlich nur die ökonomischen Realitäten wider. An China führt kein Weg vorbei – schließlich ist China ist in den vergangenen Jahrzehnten zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Dass sich dieser Umstand in der Marktkapitalisierung reflektiert ist also logisch. Auch wenn das manchen Anleger überraschen mag.
Warum ist China überhaupt ein Schwellenland?
China ist zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und steigt trotzdem nicht in die "erste Liga" der Indexanbieter auf. Es gilt noch immer als aufstrebendes Schwellenland und nicht als Industrieland. Das hat mehrere Gründe, denn: Ob Emerging Market oder Developed Market, darüber entscheidet nicht die Größe der Volkswirtschaft und auch nicht die Marktkapitalisierung.
Vielmehr achten die Indexanbieter wie MSCI noch auf einige andere Kriterien, die entscheidend dafür sind, ob ein Land an der Börse schon als Industrienation gilt. Es sind Kriterien wie der Free Float, aber auch die Liquidität und die Handelbarkeit. Wie gut oder einfach ist der Marktzugang für ausländische Investoren? Es geht um stabile rechtliche Rahmenbedingungen.
Bei vielen dieser Punkte hat China im Vergleich zu den Ländern im MSCI World noch kräftig Nachholbedarf und bleibt deshalb bis auf weiteres im MSCI Emerging Markets. Auch das Bruttonationaleinkommens pro Kopf spielt eine Rolle, ob ein Land in den MSCI World aufsteigen darf. In China hat sich der Wohlstand in der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten enorm gesteigert – für den MSCI World reicht es aber immer noch nicht.
Und trotzdem: Chinesische Aktien gehören in jedes Depot. Am besten decken Sie die Anlageklasse wirklich über einen ETF auf den MSCI Emerging Markets ab. Den gibt es beispielsweise von Ishares , Xtrackers und Lyxor .
So investieren Sie breit gestreut in 1.400 Aktien aus 27 Schwellenländern – auch wenn der Anteil Chinas enorm ist. Auch in den kommenden Jahren sollten die Emerging Markets schneller wachsen als die Industrienationen. Ihre Börsen haben Potenzial, auch wenn die Rendite nicht mit dem Wirtschaftswachstum mithält. Trotzdem ist das eine Anlageklasse, die nicht fehlen sollte.
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