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Mehr Gehalt wegen Inflation? "Chefs können nicht Preise der Ölscheichs kompensieren"


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Mehr Lohn wegen Inflation?
"Die Chefs können nicht die Preise der Ölscheichs kompensieren"


Aktualisiert am 05.11.2021Lesedauer: 3 Min.
Eine Kundin im Supermarkt (Symbolbild): Die hohe Inflation spüren Verbraucher auch beim Einkaufen.Vergrößern des Bildes
Eine Kundin im Supermarkt (Symbolbild): Die hohe Inflation spüren Verbraucher auch beim Einkaufen. (Quelle: imago-images-bilder)

Eine Umfrage zeigt: Weil vieles teurer wird, wollen die Deutschen mehr Gehalt von ihren Chefs fordern. Der Ökonom Peter Bofinger warnt: Die höhere Inflation darf nicht die Basis für Tarifabschlüsse sein.

Deutschland steuert auf ein Jahr der Gehaltserhöhungen zu. Bis Ende 2022 stehen Tarifabschlüsse für rund 10 Millionen Menschen in Deutschland an. Und geht es nach der Mehrheit der abhängig Beschäftigten, müsste das Lohn-Plus sehr üppig ausfallen. Grund dafür: die Inflation.

Wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für t-online ergab, wollen rund 66 Prozent der abhängig Beschäftigten mehr Gehalt fordern, wenn die Preise weiter steigen. Nur 22 Prozent lehnen dies ab – 12 Prozent der Befragten zeigten sich unentschieden.

Damit könnte es zu einer ökonomisch gefährlichen Entwicklung kommen, die vielen Volkswirten Sorge bereitet: die sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Damit ist ein Phänomen gemeint, bei dem die Preise allein deshalb weiter steigen, weil alle glauben, dass es so kommt.

Steigende Energiepreise treiben Inflation an

Erklären lässt sich das so: Erwarten viele Menschen, dass die Preise wie momentan durch eine hohe Energienachfrage steigen, wollen sich die Arbeitnehmer den Verlust ihrer Netto-Kaufkraft durch mehr Brutto vom Chef ausgleichen lassen. Der wiederum muss die so steigenden Personalkosten wieder hereinholen – indem er die Preise für seine Produkte erhöht. Das treibt abermals die Inflation an und führt zu neuerlichen Lohnforderungen. Und so weiter.

Den früheren Wirtschaftsweisen Peter Bofinger wundern die Ergebnisse der aktuellen t-online-Umfrage kaum. Nicht zuletzt wegen der medialen Berichterstattung zur Teuerung sei es normal, dass viele Menschen jetzt mehr Gehalt wollten. Gleichzeitig weist er im Gespräch mit t-online darauf hin, dass die derzeitige, durch Einmaleffekte wie die Mehrwertsteuersenkung im Vorjahr verzerrte Inflationsrate nicht als Basis für Tarifabschlüsse genommen werden kann.

Dabei spiele zudem eine wichtige Rolle, dass es derzeit vor allem die Preise für Energie, also Benzin, Gas und Öl, sind, die die Inflation in Deutschland auf zuletzt 4,5 Prozent trieben – und weniger die Preise für andere Dinge des täglichen Bedarfs. "Die Arbeitnehmer können nicht erwarten, dass ihre Chefs die hohen Preise der Ölscheichs kompensieren", sagt Bofinger. "Das ist wenn überhaupt eine staatliche Aufgabe."

Staatliche Entlastungen bei den Heizkosten

Konkret könne etwa die Ampelkoalition in spe dafür sorgen, dass zusätzlich zum Wohngeld für Menschen mit besonders niedrigen Einkommen, ein Extra-Energiegeld für Bedürftige gezahlt wird, damit die Wohnung im Winter nicht kalt bleibt. Das gab es bereits in den Jahren 2009 und 2010.

"Alternativ zu einem Heizkostenzuschuss könnte der Staat auch über die Einkommensteuer für Entlastungen bei den Bürgern sorgen", sagt Bofinger. "Zum Ausgleich für die steigenden Energiekosten könnte man etwa den steuerlichen Grundfreibetrag temporär für ein Jahr anheben, um vor allem die einkommensschwächeren Bürger zu entlasten."

Diese Idee von derlei einmaligen Entlastungen lässt sich auch auf mögliche Tarifabschlüsse übertragen, wie zuletzt im Bauhauptgewerbe geschehen. Die rund 900.000 Beschäftigten bekommen laut der noch nicht final verabschiedeten Einigung im kommenden April 2,2 Prozent mehr Geld im Westen sowie 2,8 Prozent mehr Lohn im Osten. Ab April 2023 sind es abermals 2 Prozent (Westen) und 2,7 Prozent (Osten). Hinzu kommen zu beiden Zeitpunkten Einmalzahlungen in Höhe von 400 Euro und 450 Euro.

Experten erwarten deutlichen Rückgang der Inflation

"Angesichts der Inflation sind solche Einmalzahlungen deutlich sinnvoller", sagt auch Bofinger. "Sie sorgen dafür, die Spitzen bei der Inflationsrate auszugleichen, während moderate Zuwächse beim dauerhaften Lohn die Teuerung nicht unnötig antreiben."

Mit "unnötig" meint der Experte erneut die Lohn-Preis-Spirale. Wenn diese vermieden werden kann, stelle auch die jetzt zwischenzeitlich hohe Inflation kein anhaltendes Problem dar. Denn: Eine Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) unter Experten und Ökonomen ergab unlängst, dass die meisten mit einer Normalisierung der Teuerungsrate ab Januar rechnen.

Obwohl die Inflation in Deutschland und im Euroraum derzeit so hoch ist wie seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr, gehen die meisten Geld-Profis momentan davon aus, dass sie 2022 im Mittel wieder auf 1,9 Prozent fällt. Ein vertretbares, normales Maß, das die EZB seit Jahren als Zielmarke verfolgt.

"Kein Wunder, dass viele Menschen Panik kriegen"

Bofinger: "Das spielt in der öffentlichen Debatte jedoch kaum eine Rolle. Stattdessen befeuert ein Zeitungsartikel nach dem nächsten die Angst vor immer weiter steigenden Preisen. Kein Wunder, dass viele Menschen dann auch Panik kriegen – obwohl sie unbegründet ist."

t-online hatte zuletzt eine weitere Umfrage in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse die These des Ökonomen zu bestätigen scheinen. Gefragt nach ihren Inflationserwartungen gaben fast 70 Prozent der Teilnehmer an, dass sie im kommenden Jahr mit noch schneller steigenden Preisen rechneten.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Peter Bofinger
  • Civey-Umfrage für t-online
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