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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Chef der Bundesbank Das steckt hinter dem Weidmann-Rücktritt
Jens Weidmann tritt von der Spitze der Bundesbank zurück. Er dürfte von der Geldpolitik der EZB frustriert gewesen sein. Doch sein Rückzug kommt zu einem kritischen Zeitpunkt.
Eigentlich wäre sein Vertrag noch bis 2027 gelaufen. Doch Jens Weidmann, seit 2011 Chef der Deutschen Bundesbank, der Notenbank des Landes, hat gekündigt – besser gesagt: Er hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um seine Entlassung gebeten. Aus persönlichen Gründen tritt er zum Jahresende ab.
Weidmann gilt als geldpolitischer Falke. Den ultralockeren Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) hat er stets kritisiert. Auch fand er es jederzeit falsch, dass die EZB und die Regierungen der Euro-Staaten zuletzt den Anschein einer Zusammenarbeit erweckten – etwa, indem die Zentralbank Staatskredite aufkaufte und die Staatsverschuldung billig machte, indem sie die Zinsen auf Nullniveau beließ. Denn: Die EZB soll eigentlich unabhängig von der Politik arbeiten.
Hat ihn all das so sehr gestört, dass er jetzt aufgibt und geht? Fest steht: Sein Abgang kommt zu einem Zeitpunkt, da Deutschland und Europa an einem geldpolitischen Scheideweg stehen. Die Inflation ist zurück, zumindest laut Statistik. Im September stieg sie im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 4,1 Prozent. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht in Sicht – auch weil die EZB bislang noch keine Aussagen zu einem möglichen Gegensteuern gemacht hat, jüngst eher beschwichtigte.
Die EZB steht schon bald unter Zugzwang
Zugegeben, bis jetzt sind die anziehenden Preise vor allem Corona-Effekten geschuldet. Denn die Pandemie hatte vor allem Energie deutlich im Preis gedrückt, in Deutschland kam dann die gesunkene Mehrwertsteuer hinzu, die das Einkaufen im vergangenen Jahr günstiger machte.
Allerdings ist die Gefahr einer länger anhaltenden Inflation real – allein, weil mehr Menschen Angst davor haben könnten. Steigen jetzt die Inflationserwartungen, werden Arbeitnehmer bald höhere Löhne anfordern. Die ersten Gewerkschaften haben bereits angekündigt, wegen der Teuerung mehr Lohn durchsetzen zu wollen.
Eine gefährliche Entwicklung, da Deutschland so in eine Lohn-Preis-Spirale rutschen könnte. In dem Fall müsste die EZB einschreiten und glaubhaft darlegen, ihre Zinsen anzuheben und ihren ultralockeren Kurs zu beenden.
Danach sieht es momentan aber nicht aus. Offiziell sieht die Zentralbank keine Gefahr einer steigenden Inflation – auch nicht in der wachsenden Erwartung einer Inflation.
Ein Zeichen der Perspektivlosigkeit
Das mag ein Grund für den Rückzug Weidmanns gewesen sein. Als Bundesbank-Chef sitzt er im Rat der EZB, war ihr dienstältestes Mitglied. In der Vergangenheit dürfte er sich an Christine Lagarde des Öfteren die Zähne ausgebissen haben. Dass er ausgerechnet jetzt geht, da die EZB im Kampf gegen die Inflation bald in Zugzwang geraten könnte, lässt sich als Zeichen seiner Perspektivlosigkeit deuten.
Wer ihm nachfolgen wird, ist jetzt noch völlig offen. Über den Chef der Bundesbank, Deutschlands wichtigstem Staatsbanker, entscheidet zuallerletzt die Politik.
Gut möglich, dass die Ampelkoalition in spe nach Weidmann keinen scharfen EZB-Kritiker mehr an die Spitze der Notenbank setzen wird. Gerade im Falle eines Finanzministers Christian Lindner wäre das ein Signal der Besänftigung an die übrigen EU-Staaten, die fürchten, der FDP-Chef könnte in Brüssel für eine strengere Schuldenpolitik eintreten.
Damit wird sich erst in den nächsten Jahre zeigen, ob die Entscheidung Weidmanns die richtige für Deutschland war: ob die Falken künftig am Boden bleiben.
- Eigene Recherche