Reaktion auf Corona-Gipfel Wirtschaft kritisiert Beschlüsse – "Jo-Jo-Effekt" befürchtet
Enttäuschung bei Deutschlands Firmenchefs: Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom Mittwochabend gehen vielen nicht weit genug. Der Ökonom Marcel Fratzscher befürchtet indes Schlimmes.
Die Wirtschaft reagiert mit Unverständnis und Enttäuschung auf die neusten Corona-Beschlüsse. Besonders der Einzelhandel kritisierte die Ergebnisse scharf.
Diese seien eine "Katastrophe", erklärte der Handelsverband Deutschland (HDE) am Donnerstag. Denn faktisch werde der Lockdown für die große Mehrheit der Nicht-Lebensmittelhändler bis Ende März verlängert und es drohten weitere zehn Milliarden Euro Umsatzverluste, warnte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.
Laut den jüngsten Beschlüssen soll ab dem kommenden Montag der Einzelhandel in Regionen mit einem Inzidenzwert von unter 50 wieder öffnen dürfen. Bei Inzidenzwerten zwischen 50 und 100 dürfen Kunden nur nach vorheriger Terminbuchung kommen. Ein Notbremsen-Mechanismus soll die Öffnungen rückgängig machen, wenn die Fallzahlen wieder deutlich steigen.
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"Angezogene Handbremse"
Kritik an den Beschlüssen kommt auch aus dem Handwerk. "Die Beschlüsse bringen für viele unserer von Schließungen betroffenen Betriebe nicht die erhoffte Öffnungsoption schon in nächster Zeit", erklärte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, am Donnerstag in Berlin.
Um ein Betriebssterben auf breiter Front zu verhindern, müsse wirtschaftliches Leben schnellstens wieder ermöglicht werden, wo immer das epidemiologisch vertretbar sei. Der Handwerkspräsident erklärte, es wäre beim Corona-Gipfel deutlich mehr drin gewesen, "als einen Öffnungsfahrplan mit einer angezogenen Handbremse zu präsentieren".
Ökonom: "Signifikanter Schaden" für Gesundheit und Wirtschaft droht
Der Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher findet ebenfalls drastische Worte für seine Kritik an den Corona-Beschlüssen – allerdings aus einem anderen Grund als der HDE oder das Handwerk. "Die Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz ist ein Eingeständnis des Scheiterns", sagte Fratzscher laut Mitteilung.
Der Grund: "Bund und Länder haben sich zu einem Kurs der Lockerungen entschieden, obwohl die Zahl der Infizierten hoch ist und wieder steigt." Die Lockerungen werden "einen signifikanten Schaden für Gesundheit und auch für die Wirtschaft verursachen", so Fratzscher weiter. "Eine starke dritte Infektionswelle wird wahrscheinlicher, was zu einem Jo-Jo-Effekt mit erneuten Einschränkungen führen könnte."
"Die Kehrtwende der Politik in ihrer Corona-Strategie ist symptomatisch für ihre Zögerlichkeit und Zerstrittenheit, die zu einem massiven Verlust ihrer Glaubwürdigkeit geführt haben", sagte der DIW-Präsident. Deshalb habe "die eigentlich kluge Strategie an Akzeptanz in der Bevölkerung verloren", so Fratzscher. "Der Richtungswechsel wird diesen Verlust an Akzeptanz jedoch nicht stoppen können, sondern weiter beschleunigen."
- Nachrichtenagentur AFP
- Mitteilung des DIW: "Strategiewechsel im Lockdown ist ein Eingeständnis des Scheiterns"