Protest gegen Lockdown "Der Handel und seine Mitarbeiter werden zum Schafott geführt"
Große Handelsketten drängen mit drastischen Worten auf eine Öffnung der Läden zum 8. März.
Mit einer Klagewelle wollen die vom Corona-Lockdown hart getroffenen Einzelhändler die Öffnung ihrer Geschäfte erzwingen, wenn die Politik nicht rasch handelt. "Wie verzweifelt die Lage für viele Einzelhändler mittlerweile ist, sieht man an der hohen Klagebereitschaft", sagte der Chef des Branchenverbandes HDE, Stefan Genth, am Donnerstag in Berlin.
Mehr als ein Viertel der geschlossenen Textilhändler plane, vor Gericht zu ziehen. "Der zwangsgeschlossene Handel und seine Millionen von Mitarbeitern werden zum Schafott geführt", sagte der Chef des Textilhändlers Ernstings Family, Timm Homann. Sein Unternehmen werde den Rechtsweg beschreiten.
Aber auch große Ketten abseits des Modehandels wollen vor Gericht – etwa Mediamarkt-Saturn und die Buchhandelskette Thalia. Dies gebiete auch die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, sagte Thalia-Chef Michael Busch. "Es geht jetzt im Einzelhandel um alles."
"Betriebsschließungen sind unverhältnismäßig"
Vor den nächsten Corona-Beratungen von Bund und Ländern pocht der Handel zudem auf eine Öffnungsperspektive. Erste Lockerungen könnten ab dem 8. März erfolgen, sagte Genth. "Wir brauchen jetzt den Einstieg in den Ausstieg." Sonst werde "in vielen Innenstädten in den kommenden Wochen eher das Licht ausgehen".
Allein in Nordrhein-Westfalen haben vor dem Oberverwaltungsgericht Münster einer Sprecherin zufolge fünf Händler gegen die Schließungen geklagt, darunter die Textilkette Breuniger, die Baumarktkette Obi und eine Filiale der Kette Mediamarkt-Saturn.
"Die bereits seit mehr als zwei Monaten bestehenden Betriebsschließungen in Deutschland sind unverhältnismäßig", hatte der Deutschland-Chef der Elektronikhandelskette Media Markt und Saturn, Florian Gietl, kritisiert.
50.000 Geschäfte sind akut von einer Insolvenz bedroht
Aber auch aufgrund ausbleibender Hilfen wollen viele Unternehmen dem HDE zufolge klagen. Der Verband habe eine große Anwaltskanzlei mit einem Rechtsgutachten beauftragt, sagte Genth. Man werde dieses den Unternehmen zur Verfügung stellen, die dann Hilfen einklagen könnten.
Dem HDE zufolge befinden sich aktuell rund 200.000 Handelsunternehmen abseits des Lebensmittelhandels im Lockdown, mindestens 50.000 davon seien akut von der Insolvenz bedroht – und es könnten mehr werden. Die Umsatzverluste lägen bei rund 700 Millionen Euro am Tag über die Branche hinweg.
Der HDE hatte bereits gewarnt, dass die Umsätze der Branche 2021 um vier bis sechs Prozent sinken könnten, sollten die Läden im April oder sogar erst im Mai wieder öffnen können. Bei einer Öffnung im März würden die Erlöse auf dem Niveau von 2020 stagnieren.
Einzelhändler müssen Ladenmiete trotz Lockdown zahlen
Urteile zweier Landesgerichte verschärften zudem die Lage für viele Unternehmen noch einmal. Denn nach Urteilen der Oberlandesgerichte in Karlsruhe und Dresden in zwei unterschiedlichen Fällen dürfen Ladeninhaber im Lockdown nicht einfach die Miete einbehalten.
Da nicht ein Mangel an den gemieteten Ladenflächen die Öffnung des Geschäftes verhindert, dürfen die Inhaber nicht die Miete kürzen oder einbehalten. Grundsätzlich haben gewerbliche Mieter die Möglichkeit, bei "Wegfall oder Störung ihrer Geschäftsgrundlage" die Zahlungen zu kürzen oder einzustellen. Das Oberlandesgericht Dresden kam hier zumindest der Einzelhändlerin entgegen.
Es entschied, dass weder Vermieter noch Mieter für die aktuellen Umstände verantwortlich seien und beide daher die Mietkosten zu gleichen Teilen tragen müssen. Die Einzelhändlerin musste so nur 50 Prozent ihrer Miete bezahlen.
- Nachrichtenagenturen Reuters und AFP