BIP-Wachstum ist nicht alles Neue Wohlstands-Definitionen müssen her
Der jüngste Allianz Vermögensreport offenbarte einen neuen Rekord: Das globale Brutto-Geldvermögen ist im vergangenen Jahr um knapp zehn Prozent gewachsen und erreichte die kaum vorstellbare Summe von 118 Billionen Euro. Immer mehr Menschen profitieren von diesem Reichtum. Auch der Wohlstand jedes einzelnen Bürgers wächst - jedenfalls im Schnitt und auf Basis von wirtschaftlichen Faktoren. Allerdings: Oft leidet die Umwelt - auf Kosten unseres Wachstums. Die Kritik an der Wohlstandsmessung wird lauter.
Was ist Wohlstand? Ein hohes Einkommen? Oder doch eher Gesundheit in der Gesellschaft? Obwohl seit Jahren über Alternativen diskutiert wird, konnte man sich bislang nicht zu einer Abkehr von wirtschaftlichen bzw. finanziellen Faktoren bei der Wohlstandsmessung einigen.
Schon vor gut 30 Jahren entschied der König des südasiatischen Kleinstaates Bhutan sich für das "Bruttonationalglück" als Maß für den Wohlstand seines Volkes. Statt auf reinen ökonomischen Faktoren - wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) - basiert die Maßzahl auf buddhistischen Prinzipien und Werten, die Nachhaltigkeit und die eigene nationale Identität beinhalten. Ein Vorbild auch für westliche Länder?
Alternativen zum BIP gesucht
Die Kritik an dem rein auf wirtschaftlichem Wachstum basierenden Denken wächst. Spätestens seit der Club of Rome 1972 "Die Grenzen des Wachstums" anmahnte, fand die Diskussion eine breite Aufmerksamkeit. Inzwischen nehmen Initiativen auch auf politischer Ebene zu. Die EU-Kommission empfahl nun Anfang des Jahres Werte wie Bildungsabschlüsse, Gesundheit oder Artenvielfalt, die das BIP ergänzen sollen.
Eine Expertenkommission unter dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz formulierte im Auftrag der französischen Regierung 2009 Alternativen zum BIP. Der deutsche Sachverständigenrat entwarf 2010 Indikatoren, die neben Wirtschaftsleistung auch Lebensqualität und Nachhaltigkeit berücksichtigen.
Wirtschaftswachstum als Antwort auf Krisen
"Die Menschen in den Industrieländern realisieren, dass sie in einem unglaublichen Tempo leben", erklärt Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. "Es wächst das Unbehagen gegenüber der Vorherrschaft des Ökonomischen in allen Lebensbereichen. Die Sehnsucht nach Alternativen ist groß."
Ein Großteil der Menschen sehe aber keinen Ausweg aus der Wachstumslogik, weil auch die Sozialsysteme an Wachstum gekoppelt sind. Ein Dilemma, so Unmüßig: "Wirtschaftswachstum gilt nach wie wir als die Antwort auf ökonomische und soziale Krisen, auch wenn sich dann die ökologische Krise verschärfen wird."
Viele Mess-Möglichkeiten von Wohlstand
Doch was ist dann der richtige Ansatz, um eine Gesellschaft zu Wohlstand zu bringen? Eine Enquete-Kommission, die sich im Auftrag der Bundesregierung dieser Frage widmete, schlug 2013 Indikatoren vor, die neben materiellem Wohlstand auch Soziales, Teilhabe und Ökologie abbilden. Internationale Organisationen wie OECD und WWF haben eigene Indizes entworfen.
"Das Problem ist, dass wir von der Vielfalt an Messmöglichkeiten überflutet werden", sagt Prof. Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Es gibt nicht den einen richtigen Indikatoren-Satz."
"Die Abbildung von Sorgearbeit und Umweltverbrauch ist nett und hilfreich", sagt Unmüßig. "Wenn das nicht in politischem Handeln mündet, hilft das überhaupt nichts." Die Empfehlungen der Enquete-Kommission Wachstum seien politisch folgenlos geblieben. Die Internetseite der W3-Indikatoren befindet sich immer noch im Aufbau. "Es bleibt nichts anderes übrig, als dass die globale Mittelklasse und globale Eliten etwas abgeben", sagt Unmüßig.
Verbrauch von ökologischen Ressourcen zurückfahren
Einer ähnlichen Argumentation folgte die Debatte auf der "Degrowth"-Konferenz Anfang September in Leipzig, deren Thema Kritik an der Wachstumsgläubigkeit der Wirtschaft auf Kosten des ökologischen Gleichgewichts ist. Es gehe aber nicht so sehr um das Sinken des BIP als um den Verbrauch von Natur und ökologischen Ressourcen und eine gleichberechtigte Teilhabe, sagt der Sprecher und Mitinitiator der Konferenz, Christopher Laumanns.
Maik Heinemann, Professor für Wachstum, Integration und nachhaltige Entwicklung an der Universität Potsdam, sieht die "Degrowth-Debatte" kritisch, räumt aber ein: "Es gibt Begleiterscheinungen des Wachstums, die wohlstandsschädlich sein können." Und: Wohlstand könne prinzipiell auch bei konstanten Einkommen wachsen.
Wirtschaftswissenschaftler Grömling will sich von der Idee des Wachstums nicht komplett verabschieden. "Technologischer Fortschritt ist die Triebfeder für Wachstum", warnt er. Auch das Bruttoinlandsprodukt behalte seine Berechtigung, sind sich Heinemann und Grömling einig: "Es gibt wenige Indikatoren, die international so vergleichbar sind wie das BIP", sagt Heinemann. "Das BIP ist ein toller Indikator, um die materielle Entwicklung einer Gesellschaft abzubilden", sagt Grömling. Aber: "Es erfüllt nicht den Zweck eines alleinigen Wohlstandsmaßes."