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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Boom in Sicht Jetzt platzt der Corona-Knoten
Der Knoten scheint geplatzt: Die ersten Corona-Lockerungen setzen die Kräfte für den Aufschwung frei. Doch die Party könnte schneller vorbei sein als erhofft.
Pfingsten ist schon ausgebucht, im Sommer wird es knapp mit Ferienwohnungen. Zum ersten Mal seit über einem Jahr schöpft die Tourismusbranche Hoffnung. Die Charterflieger nehmen immer mehr Ziele in ihr Flugprogramm auf, die Möbelindustrie kommt kaum nach mit der Produktion, in der Auto- und Metallindustrie wird wieder eingestellt. Freundlicher könnten die Aussichten kaum sein. Der Aufschwung ist da.
Lange haben die Europäer auf dieses Szenario warten müssen. Der erste Anlauf zum Wiedererwachen der wirtschaftlichen Aktivität scheiterte kläglich. Nach der Sommererholung des vergangenen Jahres kamen mit der zweiten und dritten Welle der Viruserkrankung neue Risiken. Die Wirtschaft schrumpfte wieder, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit nahmen zu, neue Hilfspakete mussten geschnürt werden.
Dritte Corona-Welle scheint gebrochen
Nun aber scheint der Aufschwung kräftig auszufallen. Die dritte Welle der Corona-Pandemie scheint gebrochen zu sein, eine vierte ist nicht in Sicht. Das Wirtschaftswachstum wird im zweiten Quartal wohl kräftig zunehmen, gebremst allenfalls durch die knappen und teuren Rohstoffe und Speicherchips.
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Die meisten Unternehmen rechnen damit, spätestens im September zum Normalbetrieb zurückkehren zu können. Das wird vor allem im Handel und in der Gastronomie wirken. Denn während die Industrie seit Monaten von der Auslandsnachfrage profitiert und schon wieder an der Kapazitätsgrenze arbeitet, ist die Krise im Dienstleistungsbereich ungleich tiefer und dramatischer ausgefallen.
Gespartes heizt jetzt den Aufschwung an
Die gute Nachricht für diese besonders gebeutelten Unternehmen: Die Deutschen haben im vergangenen Jahr viel mehr Geld gespart als sonst. Über 16 Prozent des verfügbaren Einkommens blieb auf den Konten liegen, normalerweise sind es rund zehn Prozent. Dieses Geld steht jetzt zusätzlich zur Verfügung, um den Aufschwung anzuheizen, und es wird vor allem dem Konsum im Binnenmarkt zugutekommen.
Weil es immer noch keine Zinsen auf das Ersparte gibt, brennt den Bürgern das Geld in der Tasche. Sie geben es entweder für den unmittelbaren Verbrauch, oder aber für langlebige Konsumgüter wie Möbel, Waschmaschinen oder Autos aus.
Weniger Kurzarbeit und Homeoffice helfen
Auch die Kurzarbeit geht deutlich zurück. In den kommenden Wochen werden die immer noch besonders betroffenen Branchen öffnen. Dann werden auch die Mitarbeiter der Reisebüros, Hotels, Einzelhändler und Restaurants wieder ihr normales Gehalt verdienen, die Sozialversicherungen werden deutlich entlastet.
Zudem kehren immer mehr Beschäftigte aus dem Homeoffice zurück an den früheren Arbeitsplatz. Zwar denken die meisten Arbeitnehmer, dass sie zu Hause genauso produktiv sind wie im Büro, doch das bezweifeln inzwischen viele Studien.
Weil die Ablenkung im Homeoffice größer ist, die technische Ausstattung zu wünschen übrig lässt, und die gesparten Wegzeiten der Freizeit und nicht der Arbeitszeit zugeschlagen werden, haben die Deutschen zu Hause unter dem Strich wohl weniger gearbeitet. Schon zu Beginn des kommenden Jahres könnte die Wirtschaft ihr Vorkrisenniveau wieder erreichen, erwartet Bundesbankpräsident Jens Weidmann.
Börsenkurse könnten in den Keller gehen
Allerdings nehmen nun die Risiken wieder zu. Auch wenn die Corona-Pandemie vorbei zu sein scheint – die Schleifspuren werden noch lange nachwirken. An den Aktienbörsen der Welt steht eine große Umschichtung bevor: raus aus den Corona-Gewinneraktien wie Hightech und Biotechnologie, rein in die Papiere des Einzelhandels, der Autohersteller, der Hotels und anderer Dienstleister. Das könnte die Kurse in den nächsten Wochen vorübergehend deutlich in den Keller schicken.
Zum Zweiten aber wächst die Angst vor der Inflation, in den USA ist die Inflationserwartung auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren. Werden Öl, Kupfer und Stahl noch viel teurer, müssen die Notenbanken womöglich bald auf die Bremse treten und die Zinsen erhöhen. Dann wäre die Party schneller zu Ende als erhofft.
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast .