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Kampf gegen Corona: Impfdrängler sollten vom Untergang der Titanic lernen


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Kampf gegen Corona
Was man beim Impfen von der "Titanic" lernen kann

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

16.02.2021Lesedauer: 4 Min.
Ein Mann wird geimpft (Symbolbild): Impfdrängler stellen eine Gefahr dar.Vergrößern des Bildes
Ein Mann wird geimpft (Symbolbild): Impfdrängler stellen eine Gefahr dar. (Quelle: t-online)
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Manch ein Bürgermeister ist zufällig genau dann im Impfzentrum, wenn eine Dosis übrig ist. Dabei sind Impfdrängler gefährlich für unsere Gesellschaft und sollten sich an eine einfache Regel halten.

Impfdrängler sind Menschen, die sich eine Corona-Impfung verschaffen, obwohl sie noch gar nicht dran sind. Zu Recht werden sie dafür kritisiert. Denn sie verhalten sich nach der Maxime "Jeder für sich". Die mag im Wirtschaftsleben zwar richtig sein. Für das gedeihliche Zusammenleben von Menschen in Fragen von Leben und Tod aber taugt sie nicht.

Dennoch ist es falsch, diejenigen zu verteufeln, die sich jetzt an den Bedürftigen vorbei eine Impfung verschaffen. Richtig ist, durch klare Regeln dafür zu sorgen, dass sich Menschen aus freien Stücken am alten Seefahrerprinzip "Frauen und Kinder zuerst" orientieren. Ein Blick in die Geschichte von Bootsunglücken zeigt, wann das klappt – und wann nicht.

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Frauen und Kinder auf hoher See haben trotz der Maxime, den Schwächsten zuerst zu helfen, die schlechtesten Chancen, ein Schiffsunglück zu überleben.

Sie finden nur halb so oft einen Platz im Rettungsboot wie Männer. Das ergab eine Studie, die 18 Schiffskatastrophen des 19. und 20. Jahrhunderts auswertete. Am häufigsten überleben danach die Mitglieder der Crew.

Legendär ist die Geschichte des Kapitäns des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia, der den Kahn im Januar 2012 vor der Mittelmeerinsel Giglio zuerst auf Grund setzte, dann "ausrutschte" und in ein Rettungsboot "fiel". Er überlebte, 32 Menschen starben.

Es braucht klare Ansagen

Anders läuft es nur, wenn es eine klare Ansage des Kapitäns gibt. Auf der MS Birkenhead, die 1852 vor Kapstadt einen Felsen rammte, zückte der Schiffsoffizier sogar den Säbel, um Frauen und Kindern einen Platz in den Rettungsbooten zu sichern.

Sie alle überstanden das Unglück, während sich nur ein Drittel der Männer retten konnte. Auch den Untergang der "Titanic" im Jahr 1912 überlebten überproportional viele Frauen und Kinder. 80 Prozent der Geretteten waren Frauen und Kinder, nur jeder fünfte war ein Mann.

In beiden Fällen spielte der Kapitän eine überragende Rolle, er setzte das Prinzip "Women and Children first" ("WCF") durch. Ist das nicht der Fall, sieht das Bild ganz anders aus. Dann überleben vor allem die Starken und Durchsetzungsfähigen, und diejenigen, die sich an Bord gut auskennen: Männer und die Mitglieder der Besatzung.

Es gibt zu wenige, die den Säbel schwingen

Das Phänomen wirft ein interessantes Licht auf die Gültigkeit sozialer Normen. Dass Schwache geschützt werden müssen, ist so lange Konsens, wie es den Starken gut geht. Was aber passiert, wenn die Starken selbst etwas zu befürchten haben, gibt Auskunft über den Zustand einer Gesellschaft.

Bei der Organisation der Covid-19-Impfungen wird die starke Ansage zwar formuliert: "WCF" heißt hier "Senioren und Kranke zuerst". Das Problem scheint in der Durchsetzung zu liegen. Es gibt zu wenige, die den Säbel schwingen.

Auf der "Titanic" nahmen Offiziere in Kauf, dass ein paar Plätze in den Booten nicht besetzt wurden, um einen Run zu vermeiden und die Regel durchzusetzen. Im Nachhinein betrachtet, war das natürlich nicht sinnvoll.

Plätze dürfen nicht leer bleiben

Das gilt auch für die Impfkampagne. Pragmatisch zu handeln und diejenigen einsteigen zu lassen, die zufällig zur richtigen Zeit – eine Sekunde, bevor das Boot zu Wasser gelassen wird – am richtigen Ort sind, kommt für die Impferei auch nicht in Frage. Denn von Zufall könnte ja keine Rede sein, wenn sich Gewiefte am Ende eines Tages regelmäßig am richtigen Ort einfinden, um zu schauen, ob es Reste gibt.

Schiffskommandeure können zudem hinnehmen, dass am Ende einige im sicheren Boot sitzen, die eigentlich gar nicht "dran" gewesen wären. Auf hoher See muss der Beweis des richtigen Handels im Nachhinein nicht geführt werden. Bei Impfungen gegen das Virus aber schon.

Auch hier muss vermieden werden, dass "Plätze leer bleiben", dass Impfdosen verworfen werden müssen. Wenn sich aber der Bürgermeister einer Gemeinde zuerst impfen lässt, entwertet er das ganze Verfahren: Vielleicht wurde er ja wirklich ausgelost, vielleicht ist der Kapitän der Costa Concordia ja tatsächlich durch Zufall in das Rettungsboot geplumpst. Wenn aber der Chef – aus welchen Gründen auch immer – von der Brücke geht, darf sich niemand wundern, wenn das Regelwerk zusammenbricht.

In einer Marktwirtschaft lässt sich Zeit kaufen

Wenn Reiche jetzt eine Impfreise nach Kuba oder Dubai buchen, ärgert das viele verständlicherweise. Doch es ist kein grundsätzliches Problem.

Es ist eher so wie die VIP-Karte beim Rockkonzert, die die Besitzer an der Warteschlange vorbeiführt. Oder das Business-Flugticket, mit dem man einen bevorzugten Platz in der Sicherheitskontrolle kauft. In marktwirtschaftlichen Gesellschaften ist es weithin akzeptiert, dass Zeit Geld ist, und dass man Zeit kaufen kann.

Anders ist es, wenn diejenigen, die die Regeln für das Zusammenleben verantworten und durchsetzen, die Abkürzung nehmen. Dann wird das Private so politisch, wie es eben geht.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast .

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