Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Impfstoff gegen Corona Für den Fortschritt muss es Opfer geben
Ausgerechnet in Corona-Zeiten arbeiten Politiker daran, Tierversuche weiter einzuschränken. Einen Impfstoff gegen Covid-19 aber würde es ohne diese Experimente nicht geben.
Es wird einer der mutmaßlich größten Erfolge der jüngsten deutschen Industriegeschichte: der Impfstoff gegen das Covid-19-Virus, den das Mainzer Biotech-Unternehmen Biontech entwickelte. Diese Leistung wurde durch Unternehmertum, wissenschaftlichen Ehrgeiz, Mut und Innovationskraft möglich – und durch Tierversuche.
Sie sind zwar nur ein Detail der Forschung der vergangenen Monate. Doch ohne sie kommt man nicht weit, wenn man an neuen Medikamenten und Impfstoffen forscht.
Das müssen sich diejenigen klarmachen, die sich gerade darum bemühen, den Tierschutz in Deutschland in Zukunft noch größer zu schreiben. Wer Tierversuche kategorisch verbieten will, behindert die medizinische Forschung – und den Fortschritt, den die Welt braucht.
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Politiker wollen Tierversuche beschränken
In Berlin will der Innensenator die Tierversuchskommission so besetzen, dass Tierversuchsgegner die notwendigen Entscheidungen künftig lahmlegen können. In Baden-Württemberg sollen Versuche an Tieren verboten werden, wenn sie nur zu Lehrzwecken an Hochschulen dienen. In Hamburg war es offenbar die eigene Partei, die die Verbraucherschutzsenatorin (Grüne) im letzten Moment in ihrem Versuch ausbremste, Tierversuche sehr teuer zu machen.
Insgesamt aber ist der Trend deutlich: Künftig wird es noch schwerer, zu medizinischen und zu Forschungszwecken Tierversuche genehmigen zu lassen. Für die Pharma-Forschung, für kleine und neue Unternehmen der Biomedizin, und für die Mediziner sind das schlechte Nachrichten.
Es ist gut, darüber nachzudenken, wo und wie man auf Experimente verzichten kann, in denen lebenden Tieren Schmerzen und gesundheitlicher Schaden zugefügt wird. In den vergangenen Jahren wurden dabei große Fortschritte erzielt.
Tierversuche gehen seit Jahren zurück
Zur Wahrheit gehört auch, zu sagen, dass die etablierte Forschung in der Sache eher getrieben werden musste, als dass sie aus eigenem Antrieb gehandelt hätte: Heute gibt es 30 bis 40 Prozent weniger Versuche mit Tieren als noch in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Versuche mit Tieren, in denen es nur darum geht, die Verträglichkeit von Kosmetika zu testen, sind seit Jahren verboten.
Seit dem Jahr 2002 ist Tierschutz im Grundgesetz verankert (im Artikel 20a). Versuche mit Menschenaffen gibt es gar nicht mehr, beteuert die Informationsinitiative "Tierversuche verstehen", in der sich die führenden Forschungsorganisationen zusammengeschlossen haben. Jeder Tierversuch muss beantragt und genehmigt werden.
Medizin benötigt Versuche an Tieren
Aber: Grundlagen- und anwendungsbezogene Forschung, Pharmaunternehmen und Startups brauchen ein Umfeld, in dem sie die Versuche machen können, die sich nicht vermeiden lassen. Es wäre nicht einmal richtig, in Kauf zu nehmen, dass die Forschung zwar in Deutschland, die Versuche aber im Ausland stattfinden sollen. Denn irgendwann werden dann auch Forschung und Produktion abwandern – spätestens dann, wenn investiert werden muss.
Inzwischen lassen sich viele Versuche auch durch den biomedizinischen Fortschritt einsparen: Manches kann man in Zellkulturen ausprobieren, einiges an Computern berechnen, und durch den inzwischen üblichen Informationsaustausch werden Wiederholungen und Kopien derselben Versuche inzwischen weitgehend vermieden.
In Berlin forschen die Universitäten gemeinsam an Verfahren, mit denen man Tierversuche ersetzen kann. Ohne die anhaltende Kritik der Tierschützer wäre das alles vermutlich nicht passiert.
Menschliches Leben ist mehr wert als das einer Maus
Dennoch bleibt ein Rest. Den müssen auch diejenigen akzeptieren, denen der Tierschutz über alles geht. Dieser Rest wird zwar immer kleiner werden, aber er wird bleiben. Wenn es um die Erforschung komplexer Wirkungen im Organismus geht – zum Beispiel bei neuen Impfungen oder der Entwicklung von Medikamenten – wird man auch in Zukunft Tiere brauchen.
Erst wenn diese Versuche gut verlaufen sind, wird man Menschen bitten können, an der Erprobung neuer Medikamente teilzunehmen. Am Ende muss eines klar sein: Ein menschliches Leben ist mehr wert als das einer Maus.
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast "Tonspur Wissen".