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Brexit: Niemand weiß, was passieren wird


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Brexit
Der Abgrund, unausweichlich

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 02.04.2019Lesedauer: 4 Min.
Flaggen der EU und Großbritannien auf Hauswand: Ein harter Brexit wird immer wahrscheinlicher.Vergrößern des Bildes
Flaggen der EU und Großbritannien auf Hauswand: Ein harter Brexit wird immer wahrscheinlicher. (Quelle: cranach/getty-images-bilder)
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Die Krisenszenarien für einen harten Brexit überschlagen sich. Doch niemand kann sagen, was wirklich passieren wird.

Es war nur eine Szene in der Nacht zum Dienstag, in der sich das Drama um das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union zu einem persönlichen Desaster verdichtete. Mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen gestand der frühere konservative Minister Nick Boles das Scheitern seiner politischen Karriere ein. Er habe Vorschläge für einen geregelten Brexit gemacht, und damit nicht einmal seine eigenen Leute überzeugt: "Wir haben die Fähigkeit zum Kompromiss verloren", stammelte er. Er werde dem Parlament nicht länger als Abgeordneter für die Konservative Partei angehören können. Mit diesen Worten verließ er das Parlament und verschwand in die Nacht.

Ein harter Brexit – der Abschied aus der Europäischen Union ohne Vertrag – ist gestern Nacht noch wahrscheinlicher geworden. Neben dem politischen Chaos stehen nun auch wirtschaftliche Verwerfungen kurz bevor. Es droht, nahezu unsausweichlich, "der Abgrund", wie der Chefunterhändler der EU, Guy Verhofstadt sagt.

Wirtschaftswachstum unter der Nulllinie

Dass es eine Katastrophe geben wird, ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber die Lage ist kritisch. Die Konjunktur Europas steht auch ohne einen harten Brexit auf der Kippe. Noch befindet sich die deutsche Industrie in Stagnation, noch sind die Auftragsbücher mit bisher unerledigten Aufträgen gut gefüllt. Doch neue Aufträge kommen spärlich herein, daran ändert auch die zur Schau gestellte gute Laune auf der Hannover Messe nichts. Italien befindet sich bereits im Minusbereich, Frankreich ebenfalls. Kommt nun noch der harte Brexit, fürchtet der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, werde eine Rezession wahrscheinlicher. Davon spricht man, wenn das Wirtschaftswachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen negativ ausfällt.

Großbritannien ist der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands, etwa 1,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung werden an das Vereinigte Königreich verkauft. Bricht dieser Handel erst einmal ab, weil die Briten auf einmal nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO Zölle erheben, reicht einfache Grundschulmathematik, um auszurechnen, was mit der deutschen Wirtschaft passiert: Das Wirtschaftswachstum würde unmittelbar nach dem Brexit unter die Nulllinie fallen, weil der Warenaustausch stockt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie schätzt, dass übers Jahr gerechnet mindestens ein halbes Wachstumsprozent verloren geht.

Harter Brexit wirkt auf Exportverhältnisse

Wie lange dieser Schock wirken würde, kann niemand sagen. Der Kreditversicherer Euler Hermes schätzt, dass Exportgüter im Wert von acht Milliarden Euro gefährdet wären. Umgekehrt wäre die britische Wirtschaft mit Exportverlusten von bis zu 30 Milliarden Euro noch härter betroffen. Tausende Arbeitsplätze würden verlagert. Airbus hat bereits angekündigt, man werde die britische Insel im Fall eines harten Brexit verlassen. Die Firma baut die Flügel für ihre Jets in England, beschäftigt insgesamt 14.000 Arbeitnehmer in Großbritannien. Einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag würde ein harter Brexit Airbus in der ersten Zeit kosten, sagt Airbus. Kaum vorstellbar, dass das in den deutschen und französischen Airbus-Werken folgenlos bleibt. BMW hat erst einmal seine britischen Mitarbeiter für vier Wochen in Ferien geschickt.

Kommt es tatsächlich in wenigen Tagen zum harten Brexit, wird das britische Pfund vermutich noch einmal deutlich gegen den Euro abwerten. Das würde die Inflation in England antreiben, die Zinsen steigen lassen, und den Import aus dem Euroraum viel teurer machen. Es ist also anzunehmen, dass die veränderten Umtauschrelationen die Verhältnisse zwischen den Partnern deutlich verschieben werden, selbst wenn man die Zölle einrechnet, die nach dem harten Brexit fällig würden. Großbritannien könnte mittelfristig wahrscheinlich mehr Burberry-Mäntel, Flugzeugtriebwerke und Medikamente nach Europa verkaufen. Umgekehrt würde der bisherige Handelsüberschuss des Kontinents schrumpfen. Wie der Währungsschock auf das Finanzsystem insgesamt wirken würde, ist längst nicht ausgemacht. Denn auch die Eurozone ist nicht so stabil, wie sie zur Zeit wirkt. Gibt es Turbulenzen in Europa, wird das den Euro ebenfalls treffen.

Britischer Aktienindex gelassen

Kaum abschätzen lässt sich auch, wie ein harter Brexit auf die Finanzmärkte wirkt. London ist der weltweit wichtigste Handelsplatz für Fremdwährungen. Das wird sich kaum ändern, auch wenn es einen harten Brexit gibt. Doch zumindest ein großer Teil des Geschäfts mit Euro wird sich auf den Kontinent verlagern. Rund 40 Handelshäuser haben schon Teile ihres Geschäfts verlagert, oder werden das nach dem Brexit tun.


Merkwürdig ist nur eines: Der britische Aktienindex FTSE 100 zeigt sich von den miserablen Aussichten kaum beeindruckt. Und auch die anderen Börsen der Welt sind bemerkenswert stabil angesichts der Gefahren. Dazu gibt es zwei Erklärungen: 1. Die Börsianer zocken genau so hart wie die Abgeordneten des britischen Parlaments – für einen Börsencrash ist immer noch Zeit, wenn der harte Brexit wirklich da ist. 2. Es könnte doch nicht so düster werden wie befürchtet. Hoffen wir mal auf das zweite Szenario.

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