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Evergrande: Droht aus China eine neue weltweite Finanzkrise?


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Immobilienriese vor der Pleite
Droht ein neues Lehman-Szenario?


Aktualisiert am 23.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Sicherheitskräfte vor der Konzernzentrale von Evergrande: Demonstranten fordern Geld vom Immobilienunternehmen.Vergrößern des Bildes
Sicherheitskräfte vor der Konzernzentrale von Evergrande: Demonstranten fordern Geld vom Immobilienunternehmen. (Quelle: David Kirton/reuters)

In China droht ein Riese umzufallen – ein Immobilienriese. Der Konzern Evergrande steht kurz vor einer Insolvenz. Experten im Westen fürchten eine Finanzkrise. Was heißt das für deutsche Sparer?

Mehrere Demonstranten stehen im strömenden Regen vor einem Hochhaus in Shenzhen, China – sie sind wütend und rufen: "Evergrande, gebt uns unser Geld zurück", wie auf Videoaufnahmen der Nachrichtenagentur Reuters zu sehen ist.

Die Menschen, die sich in ihrem Zorn vor der Konzernzentrale des Immobilienunternehmens Evergrande versammelt haben, fürchten um ihre Existenz – denn dem Konzern droht eine Pleite, die die ganze Wirtschaft Chinas erschüttern könnte.

In der westlichen Welt ruft die drohende Zahlungsunfähigkeit Erinnerungen an die Pleite der Bank Lehman Brothers aus dem Jahr 2008 wach. Die Folge damals: eine weltweite Finanzkrise. Doch droht uns das erneut? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zum Evergrande-Fall.

Was ist Evergrande für ein Konzern?

Die Evergrande Group ist ein Unternehmen mit Sitz in Shenzhen, das in China Hotels und Wohnungen baut und verkauft. Es steht auf der Forbes-Liste der weltweit größten Unternehmen auf Platz 227, mit einem Börsenwert von rund 24 Milliarden US-Dollar. Etwa 200.000 Menschen arbeiten direkt für den Konzern und zusätzlich erhalten fast vier Millionen Menschen durch die Projekte von Evergrande jedes Jahr Arbeit.

1996 gründete Hui Ya Kan das Unternehmen und wurde damit einer der reichsten Menschen Chinas. Neben dem Immobiliengeschäft investiert das Unternehmen auch in andere Bereiche wie Elektroautos. Hierbei haben die Chinesen auch in eine deutsche Firma Geld gesteckt: Hofer Powertrain. Diese stellt Antriebe für E-Wagen her.

Zudem besitzt die Evergrande Group einen eigenen Fußballverein: Guangzhou FC. Der Klub gewann bereits acht Mal die chinesische Meisterschaft. Doch der Konzern hat finanzielle Probleme (siehe unten).

Warum ist Evergrande von einer Pleite bedroht?

Der Verfall des Immobilienriesen begann bereits vor Monaten. Mehr als 300 Milliarden Dollar Schulden hat Evergrande mittlerweile angehäuft: So viel wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt von Finnland. Laut der Nachrichtenagentur Reuters haben 128 Banken und 120 Gesellschaften der Gruppe Geld geliehen – allerdings fast ausschließlich chinesische Investoren.

"Die Dimensionen in China sind andere", sagt Christian Wildmann, Leiter Emerging Markets bei Union Investment, im Gespräch mit t-online zu dem riesigen Schuldenberg. Der Experte hat auch eine Erklärung dafür, warum der Konzern trotz immer wieder aufkommender Zahlungsschwierigkeiten stets neue Geldgeber gefunden hatte: "Evergrande ist einer der größten Immobilienentwickler in China. Viele chinesische Kleinanleger haben im Markennamen Evergrande Sicherheit vermutet."

Doch jetzt scheint dem Konzern endgültig das Geld auszugehen. Zulieferer und Mitarbeiter sollen kein Geld mehr bekommen haben. Der Aktienkurs der Evergrande Group ist seit Beginn des Jahres drastisch eingebrochen – um mehr als 80 Prozent. "Evergrande wird es diesmal nicht schaffen, die Insolvenz abzuwenden. Es wird aber einen geregelten Zahlungsablauf geben, bei dem Teile des verzweigten Konzerns verkauft werden", sagt Wildmann.

In einem Statement versuchte das Unternehmen vor wenigen Tagen noch zu beschwichtigen: "Die jüngsten Bemerkungen zum Konkurs und zur Reorganisation von Evergrande sind völlig falsch. Das Unternehmen ist in der Tat auf beispiellose Schwierigkeiten gestoßen, aber das Unternehmen kommt seiner unternehmerischen Verantwortung entschlossen nach, setzt alles daran, die Arbeit und Produktion wieder aufzunehmen."

Evergrande muss in diesen Tagen Zinsen für Kredite und Anleihen in Höhe von mehr als 100 Millionen US-Dollar zahlen. Angekündigt hat der Immobilienriese das bereits, was die Aktienmärkte zunächst beruhigte. Doch Experten warnen, dass die Lage des Konzerns noch immer kritisch sei.

Was hat der chinesische Staat mit der Evergrande-Krise zu tun?

Die Regierung in Peking hat unter anderem neue Regeln für Immobilienkäufe eingeführt hat. So ist beispielsweise nur noch eine einzige Zweitwohnung erlaubt. Deshalb ist es für Evergrande schwieriger geworden, seine Wohnungen zu verkaufen. Das Ziel Pekings auf dem Immobilienmarkt: die hohen Schuldenberge der Branche abzubauen.

"Durch die Entschuldungspolitik hat die chinesische Regierung die Krise bei Evergrande selbst mit ausgelöst", sagt Experte Wildmann, hält die Politik aber für richtig: "Entschuldung auf dem Immobilienmarkt bedeutet für Renteninvestments mittelfristig auch wieder eine bessere Bonität in dem Segment."

Wären deutsche Sparer von einer Evergrande-Pleite betroffen?

Im Westen kommen nun Vergleiche zu der Finanzkrise und der Pleite der Bank Lehman Brothers im Jahr 2008 auf. Diese wurde auch durch eine Immobilienblase ausgelöst. Doch die Fälle seien nicht vergleichbar, erklärt Experte Wildmann: "Evergrande ist nicht wie Lehman Brothers. Es ist kein Finanzinstitut und nicht so stark global vernetzt."

Ein entscheidender Unterschied sei zudem, dass die Schulden amerikanischer Hausbesitzer teilweise bei mehr als 100 Prozent lagen und noch dazu verbrieft ins Ausland verkauft wurden. Käufer waren unter anderem deutsche Landesbanken. Einen solchen Verkauf von Schulden gibt es in diesem Fall nicht.

Hinzu komme, dass "die privaten Haushalte in China nicht so hoch verschuldet sind wie die Amerikaner 2008. Bis vor wenigen Jahren bezahlten die Chinesen ihre Immobilien noch überwiegend mit Eigenkapital, nahezu ohne Hypotheken dafür aufzunehmen", sagt der Finanzexperte.

Auch für sein eigenes Geldinstitut sieht Wildmann keine großen Auswirkungen: "Union Investment hält bewusst und aus einer aktiven Entscheidung heraus keine Anleihen von Evergrande. Selbst wenn in einem Fonds andere Immobilienentwickler gemischt sind, dann sind dies vom Verschuldungsgrad solidere Namen und ist dies nicht in einem Ausmaß, dass Fonds in Schieflage geraten würden."

Auch die deutsche Finanzaufsicht Bafin sieht derzeit keine Veranlassung, Banken hierzulande einem vorbeugenden Stresstest zu unterziehen. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Reginald Hanke hervor. Die Bafin behalte "die Situation aufgrund der dynamischen Entwicklung um die Evergrande Group in Bezug auf mögliche Auswirkungen auf die deutsche Finanzwirtschaft ganz genau im Blick", teilte das Ministerium mit.

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Wie hart würde die Evergrande-Insolvenz die chinesische Wirtschaft treffen?

In China sichern viele Menschen ihre Altersvorsorge mit Immobilien ab. Gleichzeitig haben Konzerne wie Evergrande über Jahre Wohnung um Wohnung gebaut – finanziert mit riesigen Krediten. Schon lange befürchten Experten deshalb ein Platzen der chinesischen Immobilienblase. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes stützt sich zu fast 30 Prozent auf den Immobiliensektor.

Fondsmanager Wildmann schätzt, dass durch die Entschuldungspolitik Chinas künftig weitere kleine und hoch verschuldete Immobilienentwickler ausfallen könnten. Viele seien aber bereits auf dem Weg, ihre Schulden abzubauen.

Wie stark eine Evergrande-Pleite die betroffenen Banken und Unternehmen in China am Ende treffen würde, hängt vor allem vom chinesischen Staat ab.

Wie wird der chinesische Staat reagieren?

Die Reaktion des chinesischen Staates bleibt die große Unbekannte. Noch ist nicht klar, ob die Regierung in Peking das Unternehmen retten würde oder in sonstiger Weise eingreifen will. In der staatlichen Zeitung "Global Times" hieß es in einem Kommentar, dass mit einem Bankrott von Evergrande Chinas Finanzsystem nicht zusammenbrechen würde.

Entsprechend sei ein Eingreifen der Regierung unwahrscheinlich. Der Text kann als erster Hinweis auf die Pläne der Staatsführung gedeutet werden, doch gesichert ist dies nicht. Wildmann kann sich in den nächsten Tagen eine zweigeteilte Strategie der chinesischen Regierung vorstellen: "Privatanleger könnten ihr Geld zu einem großen Teil zurückbekommen und mit einem blauen Auge davonkommen. Institutionelle Anleger müssen dagegen mit hohen Verlusten rechnen."

Für die Demonstranten vor der Konzernzentrale in Shenzhen kann diese Aussicht wohl aber nur ein schwacher Trost sein. Vielleicht bekommen einige davon ihr Geld tatsächlich zurück – eine beziehbare fertige Wohnung haben sie dann aber immer noch nicht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Christian Wildmann
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