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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Wahrscheinlichkeit nimmt zu" Wann fallen die Zinsen? Das sagt der Bundesbankpräsident
Häuslebauer können aufatmen, Sparer dürften sich ärgern: Eine Senkung der Zinsen rückt näher, wie jetzt beim G7-Treffen der Finanzminister in Italien auch Bundesbankpräsident Nagel erklärte.
Aus Stresa, Italien berichtet Florian Schmidt
Schon länger deutet es sich an, nun wird auch Bundesbankpräsidenten Joachim Nagel deutlich: Die Zinsen in Europa dürften ab Juni fallen. Zumindest, so Nagel, werde es immer wahrscheinlicher, dass sich die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) in ihrer nächsten Sitzung am 6. Juni auf einen entsprechenden Schritt einige.
Wörtlich sagte Nagel, der aktuell Finanzminister Christian Lindner (FDP) zum Treffen der G7-Finanzminister ins italienische Stresa begleitet, mit Blick auf die jüngst stark gesunkene Inflation: "Wenn die Situation so bleibt, wie sie ist, dann nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass wir in der nächsten EZB-Ratssitzung den ersten Zinsschritt sehen werden."
Wie weit die Zentralbank die Zinsen potenziell senken werde, wolle Nagel nicht prognostizieren. Allerdings warnte er davor, von einem solchen ersten Schritt sogleich auf folgende zu schließen. "Wenn diese Entscheidung so fallen sollte, kann man daraus keinen Autopiloten ableiten." Man müsse von Sitzung zu Sitzung schauen, wie sich die Preise weiter entwickelten.
Inflation stark rückläufig
Derzeit liegt der Leitzins, zu dem sich Banken bei der EZB Geld leihen können, bei 4,5 Prozent. Der Einlagezins, der maßgebend ist für die Erträge der Bankguthaben von Sparern, beträgt 4,0 Prozent. Beide Zinssätze hatte die EZB in den vergangenen zwei Jahren rasant erhöht, um so die Inflation zu bekämpfen, die in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stark angezogen hatte: Von einst 0 Prozent im Juli 2022 auf zunächst 0,5 und dann in insgesamt zehn Schritten bis September 2023 auf 4,5 Prozent.
In den vergangenen Monaten jedoch ist die Inflation im Euroraum wieder stark gefallen. In Deutschland sank der Preisauftrieb im April auf 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Von der Inflationsspitze im November 2022, als die Verbraucherpreise um fast 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen waren, ist man damit weit entfernt – das Ziel der EZB, eine Inflationsrate von rund 2 Prozent im Jahresschnitt, rückt inzwischen in Sichtweite.
Beobachter und Experten gehen deshalb bereits seit Jahresanfang davon aus, dass die EZB die Zinsen im Sommer wieder senken wird. Das würde nicht zuletzt der in Deutschland schwächelnden Konjunktur helfen. Profitieren würden zudem auch Häuslebauer, deren Baukredite günstiger werden. Verlierer sinkender Zinsen sind derweil Sparer, die weniger für ihre Guthaben bekommen, sollten die Geschäftsbanken die Leitzinsanpassungen nachvollziehen.
Löhne in Deutschland stark gestiegen
Besonders wachsam allerdings dürften die Währungshüter dabei auf die Entwicklung der Löhne schauen. Denn: Wenn Gewerkschaften höhere Löhne heraushandeln, versuchen viele Firmen die gestiegenen Personalkosten über höhere Preise wieder einzuspielen. In der Folge kann das entstehen, was Ökonomen eine "Lohn-Preis-Spirale" nennen, ein Phänomen, bei dem eine hohe Inflation zum Dauerzustand wird.
Auch deshalb rückte zuletzt die Lohnentwicklung wieder stärker in den Fokus. In Deutschland waren die Bruttolöhne nach Angaben der Bundesbank im ersten Quartal dieses Jahres um 6,2 Prozent gestiegen. Ein recht großer Zuwachs, der auch dazu führte, dass sich das Lohnwachstum in der Eurozone insgesamt beschleunigte.
Zudem hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) in den vergangenen Wochen eine politische Debatte um den Mindestlohn ausgelöst, den er lieber bei 14 oder 15 Euro statt wie derzeit bei 12,41 Euro sähe. Mancher Experte sieht darin die Gefahr, dass die Gewerkschaften ungeachtet der fallenden Teuerungsrate weiter sehr hohe Gehaltsforderungen stellen, die – wenn sie sich in Abschlüssen niederschlagen – die Inflation weiter anheizen können.
"Mindestlohndiskussion hat keine Auswirkung auf Regierungshandeln"
Bundesbankpräsident Nagel sieht in den jüngsten Zahlen zunächst noch kein Risiko. Der Grund: in den Lohnzuwächsen steckten auch viele Inflationsausgleichszahlungen drin, die Arbeitgeber ihren Angestellten einmalig und teils steuerfrei zukommen ließen.
"Die Lohnentwicklung war stark", sagte Nagel. Für die Bundesbank aber sei das nach den Lohnabschlüssen der vergangenen Monate keine Überraschung gewesen. Und: "Einiges davon war getrieben von Einmalzahlungen." Die Lohnentwicklung werde sich in den nächsten Monaten abflachen: "Ich rechne nicht damit, dass wir so hohe Zahlen noch einmal sehen werden."
Die Debatte um den Mindestlohn wiederum versuchte Lindner abzuräumen. "Die jüngste Mindestlohndiskussion entstammt einem parteipolitischen Kontext", sagte er auf Nachfrage. "Deshalb hat sie keinerlei Auswirkung auf das Regierungshandeln in dieser Wahlperiode. Die Sozialpartner sollten sich deshalb davon auch nicht beeindrucken lassen."
- Eigene Beobachtungen vor Ort