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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Weltwirtschaft in Turbulenzen Alles wird gut – auch in schwierigen Zeiten
Wenn die Wirtschaft in eine Depression gleitet, sollten Sie die Lichtblicke am Horizont nicht aus den Augen verlieren. Hier sind die guten Nachrichten.
Die Londoner "Financial Times" äußerte sich Anfang der Woche besorgt über den Zustand der Wirtschaft. Sie sei derart turbulent, die beiden großen Schocks – die Covid-Pandemie und der Einmarsch Russlands in die Ukraine – haben die Geldpolitik erschüttert. Es bestehe dringender Handlungsbedarf beim Klima, die Spannungen zwischen den USA und China rissen nicht ab und "der auf tragische Weise wieder aufflammende Konflikt im Nahen Osten unterstreicht das Muster zunehmender geopolitischer Risiken".
All das sind keine guten Nachrichten für die Weltkonjunktur, für die Menschen, für Sparer, Anleger und Investoren. Aber: Deswegen in Schockstarre zu verfallen, hilft nicht, denn die dringlichen Probleme müssen gelöst werden. Die Ereignisse erfordern große Veränderungen weltweit. Auf dem Weg dorthin spielen aber auch kleine positive Signale eine Rolle – und von denen gibt es bereits einige.
Sinkende Inflation hilft den Schwächsten
Die erste gute Nachricht ist, dass die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) beginnen zu wirken: Die Kerninflation sinkt. Bei steigenden Lebensmittelpreisen und Mieten werden die ärmsten Haushalte immer am stärksten belastet, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Essen und Energie ausgeben müssen. Laut einer aktuellen Studie des Inflationsmonitors des gewerkschaftsnahen Instituts IMK schwächt sich diese Entwicklung jedoch ab.
Familien und Alleinlebende mit niedrigem Einkommen hatten im September eine Inflationsrate von 4,1 Prozent zu tragen, während die allgemeine Inflation bei 4,5 Prozent lag. Auch wenn der Unterschied nicht groß erscheint, zeigt diese Entwicklung eine nachlassende Preisdynamik – ein wichtiges Indiz für eine Stabilisierung der Wirtschaft.
Selbstständige werden optimistischer
Auch Selbstständige und Existenzgründer blicken optimistischer in die Zukunft. Und das ist besonders wichtig: Denn sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Wirtschaftsleistung. 1,47 Millionen Selbstständige und Freiberufler steuern 10,3 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Sie sind innovativ, flexibel und unterstützen den strukturellen und technologischen Wandel. Das Münchner Ifo-Institut berichtete, dass sich die Stimmung unter den Selbstständigen im September deutlich aufgehellt hat. Der Geschäftsklimaindex stieg auf minus 14,4 Punkte nach minus 19,9 Punkten im August.
"Die Selbstständigen scheinen die konjunkturelle Talsohle erreicht zu haben", sagte Ifo-Expertin Katrin Demmelhuber. "Ob die Besserung anhält, wird sich in den nächsten Monaten zeigen." Die Stimmung entwickele sich somit positiver als in der Gesamtwirtschaft, in der das Geschäftsklima fast unverändert blieb. Sollten weitere Probleme gelöst werden können, wie etwa die restriktive Kreditvergabe durch die Banken oder höhere Auftragseingänge, sehen die meisten Selbstständigen einem nachhaltigen Aufschwung entgegen.
Wirtschaft erholt sich langsam
Weniger rosig sieht es auf den ersten Blick für die deutsche Wirtschaft aus. Die Bundesregierung rechnet mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit steht zwar zweifelsfrei fest, dass sich Deutschland in einer Rezession befindet, doch ein Blick auf die Auftragseingänge von Industrieunternehmen macht Mut.
Denn die Lage hat sich deutlich stärker erholt als erwartet, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Analysten hatten im Schnitt mit einem Zuwachs um 1,5 Prozent gerechnet. Die Bestellungen erhöhten sich aber um 3,9 Prozent zum Vormonat. Im Dreimonatsvergleich legten die Aufträge deutlich um 4,9 Prozent zu. Trotzdem bleibt noch Luft nach oben.
Erzeugerpreise sinken
Eine weitere gute Nachricht: Die Erzeugerpreise sinken im Rekordtempo. Im Schnitt sämtlicher landwirtschaftlicher Produkte sind die Preise laut Statistischem Bundesamt 14,7 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor (Stand: September 2023). "Das war der stärkste Rückgang gegenüber einem Vorjahresmonat seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949", hieß es dazu.
Gleiches gilt für die Großhandelspreise wie Getreide, Futtermittel, Mineralölerzeugnisse, Erze und Metalle. Auch diese sind um 4,1 Prozent gesunken, der sechste Rückgang in Folge und der deutlichste Rücksetzer seit Mai 2020. Die Entwicklung ist eine gute Nachricht für alle Verbraucher: In der Statistik werden die Preise für Produkte geführt, bevor sie weiterverarbeitet werden oder in den Handel kommen. Sie lassen daher frühe Rückschlüsse auf die Entwicklung der Verbraucherpreise zu.
Arbeitskräfte händeringend gesucht
Ein Beleg für die Konsumzurückhaltung in turbulenten Zeiten ist der Rückgang der Umsätze im Onlinehandel in Deutschland. Wie der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH) mitteilte, sanken die preisbereinigten Umsätze um 13,9 Prozent auf gut 17 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Damit lagen die Umsätze unter dem Niveau des Vergleichszeitraums im Vor-Corona-Jahr 2019. "Die Ausgabenbelastung der Privathaushalte bleibt hoch", sagte der stellvertretende BEVH-Hauptgeschäftsführer, Martin Groß-Albenhausen. "Davon kann sich der Onlinehandel nicht abkoppeln."
So düster das Bild einer Rezession gezeichnet wird, so hell erscheinen auch hier die Lichtblicke am Horizont. Dem Umsatzeinbruch steht eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften gegenüber. Insbesondere sind Lagerhelfer und Büroarbeitskräfte begehrt. In einer Langzeitstudie der Bertelsmann Stiftung im Zeitraum von 2019 bis 2023 wurden rund 45 Millionen Stellenanzeigen für 1.210 Berufe ausgewertet. Ergebnis: Der Bedarf an Mitarbeitern in der Lagerlogistik ist weiterhin hoch.
Vor allem in Ballungsräumen und den größeren Städten sind beispielsweise Büro- und Sekretariatsfachkräfte am häufigsten gefragt. Neben Fachkräften für Papier- und Verpackungstechnik, sind Kinderbetreuer und Erzieher begehrt, Fachärzte aus der Inneren Medizin, Psychiater und Psychotherapeuten, Buchhalter, Marketingspezialisten sowie Softwareentwickler.
Eine optimistische Prognose
All die guten Nachrichten geben Anlass für einen optimistischen Ausblick: Die Bundesregierung rechnet im kommenden Jahr 2024 mit einer deutlichen Entspannung bei den Preisen. Die Teuerungsrate soll demnach im kommenden Jahr bei 2,6 Prozent liegen. Gleiches gilt für die Energiepreise, wenn auch auf einem höheren Niveau.
Nach Einschätzung des gewerkschaftlichen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) soll in den kommenden Monaten die Preisentspannung der globalen Märkte auch bei allen Verbrauchern in Deutschland ankommen. Das bedeutet eine spürbare Entlastung im Portemonnaie.
Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass die Leitzinsen hoch bleiben werden, sagte EZB-Chefvolkswirt Philip Lane der niederländischen Zeitung "Het Financieele Dagblad". Perspektivisch sei davon auszugehen, dass die Teuerung im Euroraum bis 2025 auf die Zielmarke von zwei Prozent zurückkehre.
Doch selbst das hat eine positive Kehrseite: Für Sparer steigen die Chancen, von höheren Zinsen aufs Tagesgeld oder bei Sparbriefen zu profitieren. Einige Direktbanken zahlen bereits 3,75 Prozent für sechs Monate aufs Tagesgeld oder 3,75 Prozent für einen Sparbrief mit einjähriger Laufzeit. Am Ende wird wahrscheinlich nicht alles gut, aber mit einer gesunden Portion Optimismus vieles ein wenig besser.
- Eigene Recherche
- ft.com: "Global economy faces new age of volatility"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters
- destatis.de: "Großhandelsverbrauchspreisindex"
- bmi.bund.de