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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Von Impfausweis bis Börse So revolutionieren Kryptowährungen die Gesellschaft
Vom Führerschein bis zur Krankenakte: Ihre wichtigsten Dokumente könnte es bald schon digital geben – und damit wären Ihre Daten sogar sicherer. Ausgerechnet Kryptowährungen könnten den Weg dazu ebnen.
Das große Aufsehen um Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum und Cardano ist für viele Deutsche nicht mehr als ein neuer Trend in der Finanzbranche – dabei könnte sich die Blockchain-Technologie hinter Währungen wie Ethereum und Co. bald in alle Aspekte unserer Gesellschaft ausweiten: von der digitalen Krankenakte über die Geburtsurkunde bis zu umweltfreundlichen Lieferketten.
Der Schlüssel zu dieser Umwälzung der Gesellschaft ist einigen bereits bekannt: Kryptowährungen wie Ethereum, Bitcoin oder Cardano haben in dem vergangenen Jahr mit Preisrekorden Schlagzeilen gemacht. Besonders Ökosysteme wie Ethereum oder Cardona sind aber mehr als eine einfache Währung: Sie bieten auch die Möglichkeit, eine Vielzahl an Anwendungen über die Blockchain mithilfe von Tokens auszuführen.
Besonders viel Aufmerksamkeit haben diese zuletzt unter dem Begriff NFT – das steht für Non-Fungible Token – auf sich gezogen. So haben Künstler etwa im vergangenen Jahr digitale Bilder von gelangweilten Affen oder Katzen für Millionenbeträge als NFT verkauft. Doch das könnte erst der Anfang sein: Über Token und NFTs könnten bald viele Bereiche der Gesellschaft abgebildet werden.
Müssen wir alle also bald Kryptowährungen besitzen? Und was passiert mit den Daten auf der ominösen Blockchain? t-online wirft einen Blick in die mögliche digitale Zukunft.
Was sind eigentlich NFTs?
NFT ist die Abkürzung für den englischen Begriff Non-Fungible Token und beschreibt einen Baustein auf der Blockchain, der einzigartig ist und nicht kopiert werden kann. NFTs werden daher oft benutzt, um auf der Blockchain Besitzverhältnisse anzugeben.
Deutlicher wird das anhand eines konkreten Beispiels: Zuletzt haben viele Künstler NFTs für sich entdeckt. Sie haben ein digitales Kunstwerk, das sie erstellt haben, mit diesem NFT versehen und damit auf der Blockchain fälschungssicher festgehalten, dass dieses Kunstwerk ein Unikat ist und von diesem Künstler stammt (mehr dazu lesen Sie hier).
Verkauft der Künstler nun den NFT, etwa gegen einen Betrag in der Kryptowährung Ether, geht das Kunstwerk in den Besitz des Käufers über. Das NFT sichert ihm zu, dass niemand dieses Kunstwerk besitzt außer ihm – denn der Token ist nicht zu kopieren.
"Ein NFT ist letztendlich eine Art technisches Gefäß, in das Sie alles hineinfüllen können", erklärt Philipp Sandner, Leiter des Blockchain-Centers an der Frankfurt School of Finance and Management im Gespräch mit t-online. Aktuell werden die Gefäße zwar oft genutzt, um Kunst oder Bilder auf der Blockchain zu verkaufen, tatsächlich könnte die Technik aber deutlich mehr.
Führerschein, Krankenakte, Personalausweis: Was landet von mir in der Blockchain?
Theoretisch könnte fast alles, das wir tagtäglich in unserem Portemonnaie tragen, durch ein NFT digitalisiert werden. Ähnlich wie bei den Kunstwerken könnten auch Modeunternehmen die NFT-Technologie nutzen, um sich vor Produktpiraterie zu schützen oder limitierte Versionen auf den Markt zu bringen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die sogenannte dezentrale Identität. Aktuell liegen die Daten der Verbraucherinnen und Verbraucher bei vielen Stellen verteilt. Verschiedene Ämter verwalten eine Vielzahl an Daten, außerdem haben Kunden Informationen wie die eigene Adresse, Kontonummern oder auch nur die Lieblingsmüslisorte bei Unternehmen wie Amazon, Facebook oder anderen Onlinegeschäften hinterlegt.
Wie diese Daten gespeichert und vor Diebstahl gesichert werden, liegt nicht in der Hand der Verbraucher. Stattdessen fallen manche Anbieter immer wieder damit auf, dass Hacker Kreditkartendaten oder Passwörter von Kriminellen erbeuten. Auch hat sich in der Corona-Pandemie gezeigt, dass in der deutschen Verwaltung bei der Datenverarbeitung noch Aufholbedarf besteht.
Über die Person
Philipp Sandner leitet das Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) an der Frankfurt School of Finance & Management und ist seit 2017 im FinTechRat des Finanzministeriums. Seine Spezialgebiete sind die Kryptowährungen Bitcoin und Ethereum, der digitale Euro, Tokenisierung von Rechten und Assets sowie der Bereich digitale Identität.
Hätten Sie als Verbraucher eine dezentrale Identität, würden Sie Ihre Daten selbst auf der Blockchain verwalten. Das ginge etwa mit einem digitalen "Wallet", etwa auf Ihrem Smartphone. So könnten Sie für jede sensible Information ein NFT verwalten, das Sie bei Bedarf mit den Anbietern teilen.
Ihre Daten, Ihre Kontrolle?
Das könnte weit über Ihr Konto zum Onlineshopping hinausgehen: Ein Großteil der Verwaltung könnte auf diesem Weg ersetzt werden, im Gesundheitsbereich könnte diese Technologie erhebliche Fortschritte für Ärzte, aber auch Patienten bringen.
Ein Beispiel ist die Krankenakte, die in einem solchen NFT-Gefäß digitalisiert werden könnte. Das hätte den Vorteil, dass jeder Arzt, bei dem Sie in Behandlung sind, auch die Ergebnisse anderer Ärzte einsehen und so eine umfassendere Diagnose geben könnte. Zeitgleich wären die Daten zwar im Netz, aber durch die Blockchain-Technologie vor Datendiebstahl gesichert und verschlüsselt.
Abschied von alten Verwaltungsstrukturen
Genauso könnte der KFZ-Schein durch ein digitales Dokument in einem NFT ersetzt werden. Auch andere Dokumente, wie etwa ein Grundbucheintrag oder eine Geburtsurkunde könnten auf der Blockchain gelagert werden – und damit den Gang zum Amt obsolet machen. "Bei der Abbildung von Zeugnissen oder Urkunden dürften NFTs in Zukunft eine sehr bedeutende Rolle spielen", sagt auch Experte Sandner.
Verkäufe von Fahrzeugen oder Häusern könnten sicher und schnell über die Blockchain erfolgen. Verkaufen Sie etwa Ihr Auto, könnten Sie den KFZ-Schein einfach mit dem Smartphone rechtssicher übertragen.
Auch bei Zeugnissen könnten Sie sich den Weg zum Amt sparen: Während Sie heute Ihre ausgedruckten Zeugnisse offiziell beglaubigen lassen müssen – und dafür eine Gebühr entrichten müssen – könnten Sie in Zukunft nach dem Abschluss Ihrer Ausbildung oder Ihres Studiums ein Zeugnis in NFT-Form erhalten. Die digitale Kopie muss Ihnen kein Amt beglaubigen und ist fälschungssicher.
Eine digitale Verwaltung würde also nicht nur Zeit sparen, Verkäufe vereinfachen und die Sicherheit der privaten Dokumente erhöhen, Sie würden auch wieder die Kontrolle über Ihre Daten zurückerlangen. Und: Im Falle eines Brandes oder einer Überflutung sind Ihre wichtigen Unterlagen nicht verloren, sondern sicher in der Blockchain verwahrt.
Was bedeutet das für die Wirtschaft?
Neben dem persönlichen Komfort könnte die NFT-Technologie auch die Wirtschaftswelt stark verändern – und so die Umsetzung mancher Gesetze, wie etwa des Lieferkettengesetzes, vereinfachen. Sind alle Unternehmen in einer Lieferkette über NFTs in der Blockchain registriert, können die Importfirmen besser nachvollziehen, ob für die Produkte oder den Abbau der Rohstoffe Kinderarbeit eingesetzt oder die Umwelt zerstört worden ist.
Dazu bräuchte es Zertifikate, die Firmen, die auf solche Maßnahmen verzichten, auszeichnen. Dies können Sie sich ähnlich vorstellen wie eine Zertifizierung für ein Biosiegel. Firmen und Verbraucher könnten dann anschließend prüfen, ob nur Firmen mit einem solchen Zertifikat in der Lieferkette beteiligt waren.
Für Verbraucher könnte das bedeuten, dass sie mit einem QR-Code etwa die Herkunft ihrer Jeans oder ihres Mehls nachverfolgen könnten. Blockchain-Experte Sandner hält aber einen anderen Weg für wahrscheinlicher.
Erste Unternehmen zeigen sich offen für NFTs
"Ähnlich wie die Biosupermärkte werden sich in Zukunft Supermärkte entwickeln, die über diese Technologien garantieren, dass die Produkte frei von Kinderarbeit und Umweltzerstörung sind", sagt der Experte.
Aktuell sei das alles noch Zukunftsmusik – doch Sandner beobachtet bereits die ersten Anzeichen des Wandels. "Wir sehen jetzt schon, dass Firmen wie Apple, Nike und Adidas der Technologie nicht abgeneigt sind", sagt er. In diesem Jahr werde laut dem Experten zudem der Handel mit CO2-Zertfikaten über Tokens beginnen. "Damit nimmt die Entwicklung quasi ihren Gang und die Kurve zeigt steil nach oben, andere Bereiche werden folgen", sagt Sandner.
Sind meine Daten auf der Blockchain sicher?
Ja, auf der Blockchain werden Ihre Daten in einzelnen Blöcken gespeichert, die allesamt verschlüsselt sind. Vereinfacht können Sie sich die Blockchain wie eine Reihe von Legosteinen vorstellen. Ein Block kann dabei Dutzende NFTs enthalten.
Mit einer komplexen Rechenaufgabe wird der Legostein anschließend verschlüsselt. Dabei entsteht ein individuelles Muster auf dem Stein, der anschließend in die Reihe der weiteren Legosteine eingereiht wird.
Durch sein individuelles Muster passt er nur auf den Stein vor ihm – versucht jemand also nachträglich, Ihren Legostein zu verändern, würde die Reihe nicht mehr aufeinanderzustapeln sein – und der Betrug auffallen. Mit Ihrem privaten Schlüssel können Sie als Besitzer den Legostein wieder öffnen oder anderen Zugriff auf den Inhalt gewähren, andere Nutzer können das nicht.
Bei dem Handel über Blockchain-Systeme werden die Personen zudem nicht mit Klarnamen identifiziert, sondern nur mit einer Art Kontonummer. Die Blockchain-Technologie gilt daher sowohl als sicher als auch datenschutzkonform. Zwar kann jeder nachverfolgen, wer welche Token an wen überweist, die Inhalte bleiben aber verschlüsselt.
Die Fehlerquelle Mensch
Nutzt man die Lieferketten allerdings, um Produkte zu zertifizieren, gibt es sehr wohl Unsicherheiten: die größte ist dabei der Mensch. Zwar ist es kaum möglich, die Technologie der Blockchain zu manipulieren, das bedeutet aber nicht, dass die Menschen, die diese Daten in die Blockchain einspeisen, nicht manipuliert werden könnten.
In der Szene spricht man in diesem Fall von "Garbage in, garbage out" – kommt also vorne Müll rein, kommt am Ende auch nur noch Müll raus. "Wenn quasi einmal in einem Blocksystem fehlerhafte Daten gespeichert werden, bleiben die natürlich da drin. Da hilft die Blockchain letztendlich gar nicht mehr", sagt Experte Sandner.
Kritiker: Blockchain ist nicht die beste Lösung
Während es also unwahrscheinlich ist, dass jemand Ihre persönlichen Daten von der Blockchain stiehlt, ist die Authentizität sichererer Lieferketten auch in einer digitalen Blockchain-Welt zweifelhaft.
Zudem gibt es Kritiker, die bezweifeln, dass man für die Digitalisierung der Verwaltung oder der Lieferketten dezentrale Blockchain-Lösungen bräuchte – und verweisen zeitgleich auf den hohen Stromverbrauch von Ethereum und anderen Blockchain-Systemen. In vielen Fällen gebe es andere, energieärmere Lösungen, argumentiert etwa der Schweizer Informatiker Marcel Waldvogel.
Während Teile dieser Digitalisierung auch mit zentralen Datenbanken möglich wären, sehen Befürworter in den Blockchain-Lösungen rund um Krypto-Ökosysteme wie Ethereum den Vorteil, dass die verschiedenen Leistungen in einem System gebündelt und mit monetären Vorteilen verknüpft werden.
"Wenn Ihr Hausarzt Ihnen Blut abnimmt und die Daten später mit Ihrem Internisten teilen soll, wird er das nicht umsonst machen", sagt Sandner. Mit der Blockchain könnten die Daten digital verschlüsselt, übertragen und zeitgleich bezahlt werden, so der Experte.
Er ist daher optimistisch: "Ich würde mal behaupten, dass in fünf bis zehn Jahren alles, was in irgendeiner Weise einen Wert hat, in Form von Tokens auf Blockchain-Systemen abgebildet wird", sagt Sandner.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Philipp Sandner
- Marcel Waldvogel: Per Anhalter durch die Blockchain
- Okta: Was ist dezentrale Identität?
- Finanzfluss: Interview mit Philipp Sandner