t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeDigitalNicole Diekmann: Im Netz

Bundestag: X, Meta, TikTok – Elon Musk und Mark Zuckerberg sagen Sitzung ab


Bundestagsausschuss
Sie verstehen ihre mickrige Bedeutung nicht

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

29.01.2025 - 13:37 UhrLesedauer: 4 Min.
Saskia Esken bei der Vorstellung des SPD-Wahlprogramms.Vergrößern des Bildes
Saskia Esken (SPD): Die Parteivorsitzende ist Mitglied des Digitalausschusses. (Quelle: Kira Hofmann/dpa/imago)
News folgen

Blamagen gehören im Leben dazu, man kann sie sich nicht immer ersparen. Aktiv danach zu suchen aber, ist absoluter Irrsinn. Der Digitalausschuss des Bundestages scheint das anders zu sehen.

Es fängt schon mal an mit der Terminwahl: Für diesen Mittwoch hatte der Digitalausschuss des Bundestages geladen. Nicht irgendwen, sondern Vertreter der Tech-Riesen. Der Plattform-Giganten X, Meta und TikTok. Für diesen Mittwoch. An dem im Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird.

Dieser Termin nimmt allein schon zu Recht einen großen Platz in der Berichterstattung ein. Darüber hinaus ist heute der Tag, den die SPD als "historischen Bruch" bezeichnet, die Grünen als "Scheideweg in der politischen Kultur unseres Landes": Die CDU lässt über zwei Anträge für eine schärfere Migrations- und Asylpolitik abstimmen und nimmt für die benötigte Mehrheit ausdrücklich auch die Stimmen der AfD in Kauf. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bleibt bei seiner Beteuerung, die Brandmauer zur in Teilen rechtsextremistischen AfD bleibe weiterhin bestehen. Er betrachtet die Bluttat von Aschaffenburg, bei der ein Zweijähriger und ein 41-Jähriger mutmaßlich durch einen ausreisepflichtigen Afghanen ermordet worden sind, als "Point of no return": Es müsse nun endlich hart durchgegriffen werden – und das sei wichtiger als die Herkunft der dafür benötigten Stimmen.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".

Es ist ein besonderer Tag

Nun haben Anträge keine konkreten Auswirkungen. Symbolisch aufgeladen ist diese Abstimmung aber allemal – und am Freitag will die CDU einen Gesetzentwurf einbringen, bei dem sich dieses Prozedere wiederholen könnte. Das ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Am selben Tag, an dem der Opfer der Nazi-Gräueltaten gedacht wird, wird im Deutschen Bundestag mit der Gepflogenheit von Nachkriegsdeutschland gebrochen, sich nicht mit den Stimmen von Rechtsextremisten zu Mehrheiten verhelfen zu lassen.

Unabhängig von der Frage, ob Merz mit der Devise "Der Zweck heiligt die Mittel" richtig liegt und der AfD damit vor der Wahl noch Wasser abgräbt – dieser Tag ist ein sehr, sehr besonderer. Und er ist besonders nachrichtenstark. Zumal, auch nicht ganz unwichtig: Es ist auch noch der Tag einer Regierungserklärung von Olaf Scholz. Höchstwahrscheinlich die letzte seiner Amtszeit. Und, nicht ganz unwahrscheinlich: Seine letzte als Kanzler überhaupt.

Alle haben abgesagt

Wie man da auf die Idee kommen kann, ausgerechnet heute Vertreter der an dieser aufgeheizten Stimmung nun wirklich nicht unschuldigen und furchtbar mächtigen Dreckschleudern X (vormals Twitter), Meta und TikTok einzuladen, um unter anderem über Zensurvorwürfe zu reden – es ist mir ein völliges Rätsel. Abgesehen davon, dass der Digitalausschuss ohnehin nicht wirklich durchsetzungsstark ist. Entweder hat man im Ausschuss die Dynamiken des News-Betriebs nicht verstanden, oder aber die eigene mickrige Bedeutung noch nicht begriffen.

Die bekommt der Ausschuss nun aber sehr deutlich vor Augen geführt: Keine der Firmen kommt der Einladung der Bundestagsabgeordneten nun nach. Alle haben abgesagt. Weil sie es können.

Verächtlichmachung staatlicher Institutionen

Nicht, dass ich hier Zweifel wecke: Ich bin eine große und zutiefst überzeugte Anhängerin der Demokratie und ihrer Institutionen. Sonst würde ich ja nicht so vehement dafür plädieren, die entfesselten Plattformen mitsamt dem Mob, der sie am Laufen hält und den sie umgekehrt auch am Laufen halten, endlich zu regulieren. Die Verächtlichmachung staatlicher Institutionen und ihrer Vertreter ist dort seit Jahren bestens zu beobachten.

Aber: Die eigene Bedeutung zu kennen und – das ist in einer Mediengesellschaft nun mal auch nicht ganz unwichtig – zu wissen, wann man Themen setzen kann, wann man durchdringt, das ist eben auch Teil des politischen Handwerks. Ebenso wie – ganz profan – Termine zu verschieben, wenn sich abzeichnet, dass an dem Tag nichts zu holen ist. Aber gut, es wird an keinem Tag was zu holen sein. X, Meta und TikTok fehlen heute wohl kaum, weil sie sich voll und ganz dem Gedenken widmen wollen. Gerade bei X würde das ziemlich verwundern – sagte X-Chef Elon Musk doch eben erst am Wochenende auf einer Wahlkampfveranstaltung der AfD in einer Videoschalte, Kinder sollten nicht für die Sünden ihrer Urgroßeltern verantwortlich gemacht werden.

Sie verstehen nicht, wie sich die Welt verändert

Zurück zur Politik. Die ist nun empört, weil Musks und Mark Zuckerbergs Leute und die der Chinesen hinter TikTok nicht artig antanzen, sondern wahrscheinlich gar nicht einsehen, warum sie ihre Zeit mit deutschen Bundestagsabgeordneten verbringen sollen, die in ihren Augen sowieso nichts zu melden haben. Es herrscht also Empörung. Und Unverständnis. Die Erkenntnis scheint irgendwie noch nicht durchgedrungen zu sein, dass die Welt sich massiv verändert hat. Dass es Unternehmen gibt, denen die Ladung vor einen Bundestagsausschuss keine Angst macht. Die es als nur lästige Arbeit betrachten, weil man daran denken muss, da abzusagen. Zumindest so viel Anstand, man muss es fast schon loben, scheint ja vorhanden zu sein.

Der Ausschuss prangert das an. Es ist diese Bräsigkeit, diese "Wir haben das immer schon gemacht, wir sind schließlich wer und lassen uns die Spielregeln nicht von denen diktieren – wenn wir sie also vor dem Ausschuss haben wollen, haben die sich auch daran zu halten!"-Haltung, die mich verrückt macht. Die Spielregeln diktieren nun mal diejenigen, die am längeren Hebel sitzen. Und wenn diejenigen, die traditionell am Hebel sitzen, wie paralysiert jahrelang, allen Warnungen und auch Warnzeichen zum Trotz, nicht realisieren, was für eine Gegenmacht sich da aufbaut, die sich allen bisherigen Regeln entzieht – ja, dann passiert so was.

Der einzige Trost: Selbst wenn Abgesandte der Tech-Firmen vor dem Ausschuss erschienen wären: Das hätte auch nichts geändert. Denn geändert haben sich die Machtverhältnisse. Und zwar vor langer, langer Zeit.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



Telekom