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Luke Mockridge verspottet Behinderte: Tabubrüche werden normal


Mockridge-Entgleisung
Das nennt man Verrohung

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

11.09.2024Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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imago images 0760752839Vergrößern des Bildes
Luke Mockridge: Der "Comedian" hat in einem Podcast Athleten der Paralympischen Spiele verhöhnt. (Quelle: IMAGO/Christoph Hardt/imago)

Tabubrüche werden immer häufiger akzeptiert. Das zeigt der Umgang mit Luke Mockridges Auftritt in einem Podcast, in dem er behinderte Sportler verspottet.

Man könnte meinen, Luke Mockridge, den einige als Comedian bezeichnen, hätte der Behindertencommunity einen Gefallen getan. In Wahrheit aber offenbart seine Entgleisung Abgründe.

Ich möchte hier gar nicht lange über Luke Mockridge schreiben. Es ist viel gesagt worden in den vergangenen Tagen. Und dank Social Media kann sich ja jeder selbst einen Eindruck davon verschaffen, welch jämmerliches Bild der 35-Jährige nach den Maßstäben von Empathie, Menschlichkeit und Anstand abgibt.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf der Plattform X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".

Was Mockridge und seine beiden nicht minder bedenklich lose im Sattel des guten Benehmens hängenden Mitstreiter Nizar Akremi und Shayan Garcia unfreiwillig getan haben: Ein Schlaglicht geworfen auf die gesellschaftliche Stellung Behinderter. (Lesen Sie hier mehr zu dem Eklat in einer Podcastaufzeichnung.)

Und ja, dass Sat.1 den geplanten Start einer Show mit Mockridge nun erst mal abgesagt hat, dass Bühnenauftritte gecancelt wurden – unter anderem durch das von Mockridges eigenem Vater gegründete Improvisationstheater Springmaus –, das ist ein gutes Zeichen.

Das müsste eigentlich selbstverständlich sein, finden Sie? Das finde ich auch. Ich finde beim Durchforsten der sozialen Netzwerke aber leider auch eine erschreckende Zahl von Menschen, die die unsäglichen Äußerungen von Mockridge und den beiden Hosts des Podcasts, in dem er zu Gast war, gar nicht schlimm finden. Das Schlaglicht ist hell – aber drumherum existiert auch viel Schatten.

Irrlichternde Geisterfahrer

"Schwarzer Humor" soll das angeblich sein, behaupten nun einige, die es entweder nicht besser wissen oder aber auch nicht mehr viel vorhaben in Sachen Solidarität. Andere irrlichtern als Geisterfahrer in der Frage umher, wer denn jetzt eigentlich für den Skandal verantwortlich ist und beschimpfen diejenigen, die die Geschmacklosigkeit thematisieren, als "Humorpolizei". In einer idealen Welt kämen solche Äußerungen von zwei, drei Accounts, die ohnehin nicht zurechnungsfähig durchs Netz, ihr Dasein und die Welt mäandern. Aber wir leben nun mal in keiner idealen Welt.

Sondern erstens in einer, in der solche Inhalte ständig ins Netz gepumpt werden. Nicht immer, sondern äußerst selten, sind die Urheber solcher Inhalte so prominent wie Mockridge. Das kann daran liegen, dass Karrieren mit solchen Skandalen sehr abrupt enden können. Und auch daran, dass selbst Promis, die ähnlich über Behinderte denken wie Mockridge, klug genug sind, ihre inneren Abgründe vor einem großen Publikum zu verbergen.

Moralischer Kompass völlig aus dem Lot

Trotzdem führt auch allein die schiere Masse an Inhalten dazu, dass wir uns unwillentlich an ein gewisses Ausmaß von Tabubruch gewöhnen. Verrohung nennt man das, Diskursverschiebung. Der Beleg: Das Video stand bereits drei Wochen lang völlig ungestört im Netz – bis es die zweifache Olympiasiegerin Kristina Vogel entdeckte – und ihre Reichweite dafür nutzte, auf dieses Machwerk aufmerksam zu machen.

Vogel, die nach einem Trainingsunfall querschnittsgelähmt ist, hat mithilfe ihrer eigenen Wucht diejenigen mobilisiert, die beim ersten Zuhören wussten: Das geht nicht. Das hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen. Das sind nicht drei Männer, die hart an der Grenze des guten Geschmacks segeln. Sondern das sind drei Männer, deren moralischer Kompass dermaßen aus dem Lot ist, dass der Schiefe Turm von Pisa im Vergleich dazu aufrecht daherkommt. Nicht alle, die vor Vogels Intervention stillschweigend akzeptierten, was sie da sahen, blicken herab auf Behinderte. In einer solchen Welt leben wir nicht, davon bin ich felsenfest überzeugt.

Meldewege zu kompliziert

Aber wir leben zweitens in einer Welt, in der Geld regiert. In der die sozialen Netzwerke sehr gerne ignorieren, wenn völlig inakzeptable Inhalte hochgeladen und verbreitet werden. Dass nicht alles, was legal ist, auch okay ist – das haben inzwischen auch der Meta-Konzern, die Plattform X und andere akzeptiert. Deshalb haben sie sogenannte Community-Regeln. Dort können User Inhalte melden, die sie zum Beispiel verletzend, missbräuchlich oder diskriminierend finden. Die Meldewege sind aber oft komplizierter als Quantenphysik. Zudem lautet die Antwort der Plattformen nach angeblicher Prüfung oft: "Konnten keinen Verstoß feststellen."

Täglich ist zu beobachten, was da alles angeblich in Ordnung ist – und wie ernst beziehungsweise eben gar nicht ernst die sozialen Netzwerke ihre Verantwortung nehmen. Viele meldeten deshalb schon gar nicht mehr solche Inhalte, ist nun auch in den Kommentaren zur Causa Mockridge nachzulesen. Ich kann es verstehen. Niemand hat Zeit zu verschenken.

Völlig verantwortungslos

Was auch zur Geschichte namens "Geld regiert die Welt" gehört: Wessen Geistes Kind einer der beiden Podcast-Hosts ist, lässt sich nachlesen. Antisemitismus als Bestandteil des Bühnenprogramms ist auch keine Nichtigkeit. Deshalb mutet es doch leicht zynisch an, wenn nun etwa die Firma hinter der Sprachlern-App Babbel eilig und öffentlichkeitswirksam verkündet, dass sie sich als Werbepartner des Podcasts zurückzieht.

"Zum Zeitpunkt der Sponsoring-Vereinbarungen sind Gäste und Inhalte der einzelnen Episoden leider nicht immer bekannt", wird das Unternehmen zitiert. Übersetzt heißt das: Wir pumpen Geld irgendwo rein, ohne so genau zu wissen, was da so gesendet wird. Und adeln solche Inhalte mit unserem guten Namen. Das nenne ich keinen verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Namen. Falls die Ausrede denn so stimmt. Unwissenheit ist keine gute Erklärung – aber immer noch sehr viel besser als: "Haben wir in Kauf genommen, denn schließlich sind wir Kaufleute."

Wir alle sind das Netz. Unternehmen, Plattformbetreiber, Nutzer. Noch mehr: Wir alle sind die Gesellschaft. Wir alle sind gefragt, uns gegen solche Auswüchse zu wehren. Was heroischer und anstrengender klingt, als es ist. Manchmal reicht es schon, hinzuhören. Zu melden. Zu ächten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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