Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Künftige Bundestagspräsidentin Sie ist ein Risiko mit Ansage

Die CDU-Politikerin Julia Klöckner soll Bundestagspräsidentin werden. Ein riskantes Experiment, meint unsere Kolumnistin Nicole Diekmann – aber auch eine Chance.
Julia Klöckner und Barbra Streisand haben etwas gemeinsam: Beide eint das Talent, durch ungeschicktes Agieren exakt das Gegenteil des Gewünschten zu erreichen. Die US-Schauspielerin klagte vor einigen Jahren auf satte 50 Millionen Dollar Schadensersatz, weil auf Luftaufnahmen ihr Haus zu sehen war. Dieses Foto hatte bis dato kaum Beachtung gefunden – verbreitete sich nach Streisands Mega-Forderung allerdings lawinenartig. Streisand verlor in doppeltem Sinne: Ihre Klage blieb erfolglos, und seitdem fungiert der von ihr ausgelöste Mechanismus unter dem für sie wenig schmeichelhaften Namen "Streisand-Effekt".

Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz". Mehr
Über die CDU-Politikerin wiederum kursiert seit einigen Jahren unter Hauptstadtjournalisten folgende Geschichte: Klöckner hielt vor wenigen Jahren vor einer großen Frauengruppe eine Rede. Unter diesen Frauen waren nicht wenige Journalistinnen. So auch ich. In dieser Rede bat sie darum, ihr Amt als Weinkönigin, das die Winzertochter vor vielen Jahren mal innehatte, in der Berichterstattung nicht mehr zu erwähnen. Ein Schuss, der nach hinten losgehen würde, meinten schon damals viele: Journalisten erfüllen nicht gern die Bitten ihrer Berichtsgegenstände. Gefälliger Journalismus geht gegen die Berufsehre. Das hat ein Geschmäckle. Auch ich zuckte in diesem Moment zusammen, und ich wunderte mich über diesen unklugen Schachzug von Klöckner, denn eigentlich müsste sie das wissen. Vor ihrem Einzug in die Politik arbeitete sie schließlich selbst als Journalistin.
Das ist viele Jahre her, Klöckner blickt inzwischen auf eine lange, ereignisreiche politische Karriere zurück – und ganz aktuell einer Zeit in einem hohen Staatsamt entgegen: Sie wird mit aller Wahrscheinlichkeit Bundestagspräsidentin.
Politik ist kein Tanztee
Das Echo auf diese Personalie war gemischt. Klöckner als überparteiliche, bestimmt, aber dabei diplomatisch agierende Hausherrin des Parlaments? Es gibt Zweifel, dass die CDU-Frau dieses Amt, das zweithöchste im Staat, mit der angemessenen Würde ausfüllen kann. Und das hat auch mit dem Prinzip "Holzhammer" zu tun, mit dem Klöckner immer wieder unangenehm auffällt. Sehr gut zu beobachten ist das auf den sozialen Plattformen.
Die beherrscht die als Netzwerkerin, offen und herzlich geltende Klöckner aus dem Effeff. Und das tat sie auch schon, als sehr viele andere Spitzenpolitiker um "dieses Internet" noch misstrauisch herumschlichen und es lieber ihren Büroleitern überließen, sich damit zu beschäftigen. Klöckner war schon erfolgreich auf Twitter (heute: X) aktiv, als viele ihrer Berufskollegen Social Media noch für eine vorübergehende Modeerscheinung für die jungen Leute hielten. Was Klöckner allerdings nicht so gut beherrscht: Zurückhaltung und Selbstkritik.
Klöckner teilt aus. Das ist per se erst mal keine schlechte Eigenschaft. Politik ist kein Tanztee, und die CDU ist keine feministische Aktivistinnengruppe, sondern nach wie vor eine sehr männlich geprägte Partei. Wer da einigermaßen durch-, vor- und auch weiterkommen will, braucht harte Bandagen.
Die hat Klöckner. Nutzt sie aber oft sehr – sagen wir es freundlich: zweifelhaft. Dabei zeichnet sich ein Muster ab: erstens ein ausgeprägtes Interesse an schnellem und durchschlagendem Effekt, der immer mal wieder der notwendigen Sorgfalt untergeordnet wird. Und zweitens wenig Einsicht. Beides Eigenschaften, die jetzt nicht unbedingt zum Jobprofil einer Bundestagspräsidentin passen.
Sie deutet gerne um
Schauen wir uns das mal genauer an. Schauen wir mal auf den gerade erst beendeten Wahlkampf. In dessen Verlauf Klöckner in den sozialen Netzwerken diesen Text veröffentlichte: "Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU."
Ein schwieriger Post. Ein äußerst schwieriger Post sogar. Erweckte er doch den Eindruck, die in Teilen rechtsextremistische AfD und Klöckners CDU würden dieselben Ziele verfolgen.
Das finde nicht nur ich. Das fanden sehr viele Leute. So viele, dass Klöckner diese unsauber formulierte schlechte Idee von Wahlkampf und Abgrenzung wieder löschte. Anstatt aber anschließend entweder vornehm zu schweigen oder aber schlicht und einfach einzuräumen, dass der Post missverständlich formuliert gewesen war, schaltete Klöckner auf: "Dass Linke mir unterstellen, wir wollten mit der AfD koalieren, ist infam. Die Caption zum Post war und ist hier klar", behauptet sie. Eine schnelle Google-Recherche ergibt: Nicht nur bei Linken hatte Klöckners Posting Fragezeichen erzeugt, auch bei Grünen und SPD herrschte Verwunderung. Die Kritik ließ sich nicht als billiges Wahlkampfmanöver der anderen umdeuten.
Kein Einzelfall, sondern ein roter Faden: Klöckners Verhalten vor einigen Jahren beim berühmten Nestlé-Skandal war identisch. 2019 postete die damalige (ausgerechnet) Bundesverbraucherschutzministerin ein gemeinsames Video mit dem Nestlé-Chef auf ihren sozialen Netzwerken. Problematisch daran: Darin lobte der Manager nicht nur seinen Arbeitgeber (und machte somit seinen Job), nein, auch die Ministerin fand warme, lobende Worte. Der Eindruck, der sich aufdrängte: Da schützte eine steuerfinanzierte Ministerin nicht die Verbraucher, sondern einen Konzern.
Eine Chance, auch für sie
Die Folge war sehr viel, sehr deutliche und sehr vernehmbar auch aus Klöckners Partei kommende Kritik. Natürlich auch in den Netzwerken, in denen Klöckner das Video verbreitet hatte – auch auf den Kanälen ihres Ministeriums. Und auch damals versuchte sie mit einem ziemlich durchschaubaren Kniff, den Spieß umzudrehen: Sie suchte sich einen unflätigen Post heraus, von denen man ja leider immer welche im Netz findet und in dem sie vulgär beschimpft wurde – und deutete die in sehr weiten Teilen zwar deutliche, aber moderat vorgetragene Kritik um in das Werk eines gehässigen Mobs. Klöckner zeigte keine Einsicht. Klöckner wollte, dass die Finger auf andere zeigten.
So kann man das natürlich machen. Allerdings nicht als Parlamentspräsidentin. Zumal die Zeiten ja nicht besser werden. Eine Binse, die ich aber belegen kann: Die AfD hat sich verdoppelt, die Ordnungsrufe im Bundestag haben einen Rekordwert erreicht, und Union und SPD wollen noch mal ans Wahlrecht ran. Alles in allem ist das anspruchsvoll. Deshalb wirkt diese Personalie wie ein Experiment.
Sie könnte aber auch eine Chance sein, auch für Klöckner: Sie kann in den kommenden Jahren zeigen, dass Menschen mit ihren Ämtern wachsen. Und denen, die feixten, Friedrich Merz habe sie für ihr neues Amt vorgesehen, um sie nicht zur Bundesministerin in seinem Kabinett machen zu müssen, kann sie dann den Stinkefinger zeigen. Heimlich natürlich. Wie sich das gehört. Nicht nur für eine Bundestagspräsidentin.
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