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Astronautenkandidatin Insa Thiele-Eich: Hat die ISS ohne Russland eine Zukunft?


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Russischer ISS-Rückzug
"Die Endgültigkeit ist erschütternd"


Aktualisiert am 02.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Der deutsche Astronaut Matthias Maurer bei seinem Außeneinsatz an der ISS: Bedeutet der Rückzug der Russen das Ende der Raumstation? (Quelle: IMAGO/NASA)
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Russland will sich aus der Internationalen Raumstation zurückziehen. Was bedeutet das für die Zukunft der Raumfahrt? Astronautenkandidatin Insa Thiele-Eich klärt auf.

Nach jahrzehntelanger Kooperation in der Weltraumforschung will Russland nach dem Jahr 2024 aus dem Gemeinschaftsprojekt Internationale Raumstation (ISS) aussteigen – und künftig im Weltraum eigene Sache machen. Das verkündete am 26. Juli der Chef der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, Juri Borissow.

In Zukunft wird es neben der Internationalen Raumstation, an der zahlreiche europäische Länder sowie die USA, Kanada und Japan beteiligt sind, also auch eine chinesische Raumstation und – sollten die Russen ihre Ankündigung wahr machen – ein russisches Weltraumlabor geben.

Doch was bedeutet das für die westliche Weltraumforschung? Und welche Auswirkungen wird das heute und in Zukunft auf den Fortbestand der ISS und weitere Entdeckungen im Weltall haben? Darüber hat t-online mit der Meteorologin und Astronautenkandidatin Insa Thiele-Eich gesprochen.

Dr. Insa Thiele-Eich.
Dr. Insa Thiele-Eich. (Quelle: Juliana Socher)

Dr. Insa Thiele-Eich

Insa Thiele-Eich wurde 1983 in Heidelberg geboren und ist Meteorologin und wissenschaftliche Koordinatorin am Meteorologischen Institut der Universität Bonn. Sie engagiert sich seit Jahren für Klimaschutz und erforscht die Auswirkungen des Klimawandels. 2017 wurde sie bei der Initiative "Die Astronautin" unter 400 Bewerberinnen dazu ausgewählt, als erste deutsche Astronautin neben Suzanna Randall zur Internationalen Raumstation zu fliegen. Ihr Vater ist der deutsche Astronaut Gerhard Thiele.

t-online: Am 26. Juli verkündete Juri Borissow, der Chef der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, dass sich Russland nach 2024 aus der Kooperation auf der ISS zurückziehen werde. Hat sich das Aus bereits abgezeichnet oder kam dieser Schritt letztendlich dann doch überraschend?

Insa Thiele-Eich: Für mich kam der Schritt nicht überraschend, aber die Endgültigkeit ist dann doch erschütternd. Hat man die Thematik von Anfang an mitverfolgt, hat sich dieser Konflikt in der Weltraumpolitik bereits seit Kriegsbeginn zumindest angedeutet. Erschwerend hinzu kam, dass Russland – im Gegensatz zur Nasa – den Laufzeitvertrag der ISS noch nicht über das geplante Ende nach 2024 verlängert hatte. Dass sich Russland jetzt letztendlich zu diesem radikalen Schritt entscheidet, ist bedauerlich.

Hat Russlands neue Weltraumpolitik möglicherweise auch etwas damit zu tun, dass Dmitri Rogosin, der ehemalige Roskosmos-Chef, erst vor wenigen Wochen durch Borissow ausgetauscht wurde? Rogosin zeichnete sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs vor allem durch großspuriges Gehabe und Kriegspropaganda in den sozialen Netzwerken und Medien aus.

Am Anfang des Krieges hatte ich noch das Gefühl, dass Rogosins Aussagen vor allem politisches Gehabe sind. Dass er dann durch Borissow ersetzt wurde, hinterließ kein gutes Gefühl. Denn bei ihm konnte man nicht abschätzen, wie seine Aussagen zu interpretieren sind – bei Rogosin wusste man ja, womit man zu rechnen hatte. Aber auch hier muss man bedenken: Ein russisches Aus bedeutet nicht, dass man ein paar Schalter umlegt und das Ganze damit erledigt ist. Selbst wenn Russland 2024 die Kooperation beendet, dauert der Abkopplungsprozess viele Monate, wenn nicht sogar Jahre.

Was genau bedeutet das? Der Roskosmos-Chef hat ja bereits zu verstehen gegeben, dass sich Russland an die vertraglich vereinbarten Pflichten halten wird. Dass der gesamte Vorgang zur Entkopplung des russischen Moduls und zum Abbau der russischen Systeme aber einen deutlich längeren Zeitraum als angekündigt umfasst, ist von russischer Seite aus nicht zu hören, obwohl sie es besser wissen müssten. Hier spricht man ja bereits davon, eine eigene Raumstation ins Weltall schicken zu wollen.

Russlands Aussage, jetzt eine eigene Raumstation innerhalb der nächsten Jahre bauen zu wollen, halte ich persönlich für sehr sportlich. Dass sie in so kurzer Zeit damit Erfolg haben könnten, würde mich überraschen. Auf jeden Fall wird man aber noch eine sehr lange Zeit miteinander sprechen müssen, bis der gesamte Vorgang der russischen Entkopplung abgeschlossen ist. Die Nasa schätzt die Dauer eines solchen Vorgangs auf über zwei Jahre. Was danach passiert, ist schwer abzuschätzen.

Rogosin hat ja auch immer damit gedroht, dass Russland das russische Modul der ISS einfach abkoppeln und dann zumindest zeitweise als eigene Raumstation betreiben könnte. Ist das überhaupt eine realistische Vorstellung? Wäre die ISS ohne das russische Modul überhaupt funktionsfähig?

Also dass Russland sein eigenes Modul abkoppelt und als Station betreibt, ist soweit ich weiß, technisch überhaupt nicht möglich. Beide Teile der ISS sind voneinander abhängig. Der russische Teil wird dafür benötigt, die Triebwerke der Station zu zünden und diese wieder in die richtige Umlaufbahn zu heben. Das ist notwendig, da die Station durch Reibungsverluste immer an Höhe verliert und deren Position von Zeit zu Zeit nachjustiert werden muss. Der andere Teil der ISS liefert hingegen die notwendige Energie. Das russische Modul hat nur ganz kleine Solarpaneele und könnte sich selbst überhaupt nicht mit Energie versorgen.

Konkret heißt das also, dass die ISS ohne die Russen – sollten sie diesen Schritt tatsächlich zu Ende gehen – Ende 2024 dann vor dem kompletten Aus steht?

Nein, das muss nicht zwangsläufig so sein. Die Nasa hat bereits Pläne, wie sich die ISS auch ohne das russische Modul wieder in den richtigen Orbit bringen lässt. Ich glaube, vor einiger Zeit wurde das über ein Modell mit einem Cargomodul versucht. In der Vergangenheit kam es ja auch schon vor, dass es Probleme mit den Triebwerken gab und andere Wege gefunden werden mussten, die Position der Raumstation zu korrigieren. Bereits damals hat man Pläne gemacht, wie man unabhängiger von der jeweils anderen Seite auf der ISS werden kann. Das war schon lange vor dem Ukraine-Krieg ein Thema.

Russland will eine eigene Raumstation ins All bringen, die Nasa hat sich bis mindestens 2030 zur ISS bekannt und dann sind da auch noch die Chinesen, die eine eigene Raumstation im Weltall bauen. Wird es in Zukunft also eine Art Dreikampf geben?

Prinzipiell stellt sich die Frage, ob wir als Menschheit überhaupt drei Stationen im Orbit brauchen. Die chinesische Station ist ja jetzt seit Anfang Juli auch ständig besetzt. Vor ein paar Tagen erst haben sie ein weiteres Labormodul hochgeschickt und angedockt. Dass die Russen genau jetzt bekanntgeben, die ISS 2024 verlassen zu wollen, ist zumindest in Anbetracht des chinesischen Erfolgs ein interessantes Timing.

Halten Sie es für denkbar, dass Russland sich mit China einen neuen Partner sucht, anstatt eine eigene Station aufzubauen?

Solche Gedankenspiele sind im Moment rein spekulativ. Aber wie gesagt, das Timing, in dem das alles jetzt passiert, lässt einen zumindest nachdenken. Denn auch hier stellt sich wieder die Frage: Brauchen wir so viele Raumstationen im All? Ist das wirklich nötig?

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Was wäre denn eine andere Lösung?

Hier muss man kurzfristig und langfristig unterscheiden. Kurzfristig haben die Russen das Ende ihrer Beteiligung an der ISS angekündigt und China hat ein eigenes Raumfahrtprogramm. Da wird sich also in den nächsten ein, zwei, drei Jahren nichts ändern. Aber in fünf oder zehn Jahren, vielleicht zum – nach jetzigem Stand – offiziellen Ende der ISS im Jahr 2030 ist es definitiv eine Überlegung wert, ob man nicht beschließt, letztlich nur eine Raumstation gemeinsam zu betreiben. Das wäre eigentlich der positivste Verlauf, den die Angelegenheit jetzt nehmen könnte.

Nur eine Raumstation? Also ein internationales Projekt wie die ISS, an dem auch China und Russland beteiligt sind?

Ja, das wäre doch ein positives Zeichen. Man muss einfach sagen, dass die Internationale Raumstation – auch wenn es der Name anders erscheinen lässt – nicht wirklich international ist. Ich würde mich freuen, wenn sich viel mehr Länder an einer Raumstation beteiligen und sich die Internationalität dann auch wirklich auf fast alle Nationen erstreckt. Dahingehend wäre es doch schön, anstelle einer ISS, einer chinesischen und möglicherweise in Zukunft auch einer russischen nur eine wirklich internationale Station zu haben. Es wäre einfach schön, wenn die Menschheit hier gemeinsam an einem Projekt, an einer Weltraumstation zusammenarbeitet.

Jetzt einmal abseits davon noch eine persönliche Frage: Wie steht es eigentlich um Ihren Flug zur ISS? Der wurde ja die letzten Jahre immer verschoben – erst die Corona-Pandemie, jetzt der Ukraine-Krieg. Geht es da bald los?

Seit im Jahr 2017 "Die Astronautin" gestartet ist und ich als eine der zwei Bewerberinnen ausgewählt wurde, die für den Flug zur ISS trainieren dürfen, ist schon einiges passiert. Nun waren die vergangenen zwei Jahre äußerst turbulent. Da liegen die Prioritäten natürlich woanders. Wir sind mittlerweile für einen Start im Herbst des nächsten Jahres eingeplant, und wenn die Finanzierung steht und alles Weitere abgeklärt ist, kann es dann hoffentlich losgehen. Das ist aber unmöglich vorherzusagen.

Von Ihrer Auswahl 2017 bis heute sind fünf Jahre vergangen. Ist es normal, dass das so lange dauert?

Ja, in der Raumfahrt plant man generell in sehr langen Zeiträumen. Wir sprechen hier nicht von Monaten oder wenigen Jahren – bis solche Projekte am Ende geplant, finanziert und realisiert werden können, vergeht gut und gerne ein halbes oder ganzes Jahrzehnt. Matthias Maurer hat sich 2008 bei der ESA beworben und startete erst 2021 auf seiner Weltraummission. Bei meinem Vater [Anmerkung: Gerhard Thiele] war es ähnlich. Er wurde 1988 ausgewählt und ist 2000 gestartet. Wir sprechen hier also von knapp 12, 13 Jahren. Bei mir ist demnach gerade erst Halbzeit.

Frau Thiele-Eich, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
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