Nach dem Datenskandal Für Facebook geht es jetzt um alles
Gesetzgeber drohen mit strenger Regulierung, Investoren gehen auf Abstand: Für Facebook wird es nach dem Missbrauch von Nutzerdaten für Wahlkampfzwecke eng. Stürzt das Facebook-Imperium über die Datenaffäre um Donald Trumps Wahlsieg?
Wenn selbst der WhatsApp-Gründer Brian Acton zum Facebook-Boykott aufruft, ist etwas im Busch. Am Mittwoch folgte Acton einem aktuellen Trend und twitterte: "Es ist an der Zeit. #deleteFacebook“. Die Aufforderung „löscht Facebook“ gehört zu den meist genutzten Hashtags der vergangenen Tage.
Actons Ex-Firma WhatsApp gehört inzwischen zum Facebook-Imperium. Etwa 1,5 Milliarden Menschen nutzen den Messengerdienst. Gut zwei Milliarden sind auf Facebook aktiv. Auf Instagram, das ebenfalls zu Facebook gehört, posten jeden Monat 800 Millionen Nutzer. Das macht Facebook zum größten Social Media-Giganten der Welt.
Doch jetzt steckt das Imperium in seiner bisher tiefsten Krise. Ausgelöst wurde sie durch Berichte über einen Datenskandal: Die Firma "Cambridge Analytica" (CA) soll sich Profildaten von 50 Millionen Facebook-Nutzern illegal beschafft und ausgewertet haben. Diese Erkenntnisse sollen im US-Präsidentschaftswahlkampf von 2016 eine wichtige Rolle gespielt haben.
Skandale gab es in der Geschichte Facebooks viele. Aber noch nie zuvor stand der Konzern unter einem so großen Druck wie jetzt – und er kommt dieses Mal von vielen verschiedenen Seiten. Politiker aus aller Welt verlangen Antworten: Wie konnte es zu dem Missbrauch kommen? Was hat Facebook dagegen unternommen? Und die Nutzer fragen sich: Sind meine Daten bei Facebook sicher? Unter dem Hashtag #deleteFacebook wird auf Twitter diskutiert, ob ein Ausstieg vielleicht die beste Option ist. Und selbst Investoren und Mitarbeiter scheinen das Vertrauen in die Zukunft des Internetriesen zu verlieren.
Alles in allem sieht es gerade nicht gut aus für Facebook. Doch dass der Skandal das Facebook-Imperium zu Fall bringen wird, ist eher unwahrscheinlich. Dennoch: Es gibt Akteure, die großen Einfluss auf Facebook ausüben. Eine Übersicht:
Die Nutzer
"Wenn etwas kostenlos ist, bist du nicht der Kunde, sondern das Produkt", lautet eine Weisheit. Auch Facebooks eigentliche Kunden sind Firmen, die Nutzerdaten für ihre Zwecke verwenden wollen, zum Beispiel für Online-Werbung. Dabei geht das Netzwerk zunehmend dazu über, keine Daten herauszugeben, sondern seine eigene Marktforschung zu betreiben und die Erkenntnisse zu vermarkten.
Dadurch vermeidet es zwar Konflikte mit dem Datenschutz. Kritiker aber weisen darauf hin, dass das Prinzip das gleiche bleibt: Sensible Informationen werden zu kommerziellen Zwecken ausgeschlachtet. Weil die Nutzer nicht wissen, welche Art von Information wie genutzt wird, können sie sich auch nicht gegen Manipulationsversuche wehren.
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Whistleblower Edward Snowden kritisiert Facebook zuletzt als "eine Überwachungsfirma, getarnt als soziales Netzwerk". Der Konzern gehört neben Google/Alphabet, Microsoft und Apple zu den größten Unternehmen der Welt und macht pro Quartal rund 4,7 Milliarden Dollar Gewinn – fast ausschließlich mit Online-Werbung.
Facebooks Geschäftskonzept würde aber ins Wanken geraten, wenn die Nutzer massenhaft austreten und tatsächlich wegbleiben. Das jahrelange Nutzerwachstum war das größte Pfund des Konzerns, wenn es darum ging, Werbekunden und Investoren zu umwerben. Knapp 13 Milliarden US-Dollar Umsatz machte Facebook im letzten Quartal 2017 durch Anzeigen. Im gleichen Zeitraum 2015 waren es noch knapp 5,6 Milliarden.
Über zwei Milliarden Menschen weltweit sind bereits bei Facebook. Auf dem "Mobile World Congress" in Barcelona präsentierte der Konzern seine Pläne, wie er die nächste Milliarde mit Hilfe mobiler Funktechnologien ans Internet anschließen will. In der westlichen Welt hat Facebook das Potenzial quasi ausgeschöpft. Hier geht es nur noch darum, die Menschen auf der Plattform zu halten und mit immer neuen Features dazu zu bewegen, dass sie mehr Zeit auf Facebook verbringen. Gerade die durchschnittliche Nutzungsdauer aber ist rückläufig. Außerdem zeichnet sich ab, dass Facebook langsam "veraltet": Die junge und für Werbetreibende interessanteste Zielgruppe zieht bereits weiter zu neuen Diensten. Sie ist auf Facebook kaum noch zu finden.
Durch ihr Verhalten könnten die Nutzer dem Konzern theoretisch großen Schaden zufügen. Allerdings deutet nach dem CA-Skandal nichts auf einen Massenflucht von Mitgliedern hin. Selbst unter dem Hashtag #deleteFacebook fallen die Reaktionen gemischt aus: Während die einen ernst machen und Screenshots von ihrem Facebook-Abschied als Beleg posten, zweifeln viele andere an der Sinnhaftigkeit dieses Aktionismus. Konsequenterweise müssten sich die Nutzer auch von Instagram und WhatsApp verabschieden.
Die Politik
Der CA-Skandal entwickelt sich mehr und mehr zur Lobby-Stunde der Datenschützer: Sie nutzen das Beispiel der dubiosen Cambridge-Analytica-Methoden, um ihre seit Jahren gleich lautenden Forderungen zu wiederholen: Facebook sei in Sachen Datenschutz nicht über den Weg zu trauen. Der Gesetzgeber müsse strengere Regeln aufstellen, mehr Kontrolle ausüben und für Transparenz sorgen.
Hinweise auf Missbrauch von Facebook-Daten gab es schon früher. Der aktuelle Fall aber liefert Belege – und mit der Verbindung zu Donald Trumps ohnehin schon umstrittenen Wahlsieg ein Beispiel, das die Gemüter erhitzt. Mit wie viel Nachdruck die Forderung nach mehr Datenschutz jetzt auch von etablierten Politikern aufgegriffen wird, stellt vor allem in den USA ein Novum dar.
In Europa hingegen sind erste Schritte bereits gemacht: Am 25. Mai müssen Unternehmen die neue Datenschutzgrundverordnung umsetzen. Facebook dürfte darauf gut vorbereitet sein. Die DSGVO sieht unter anderem ein Opt-in-Verfahren vor, bei dem die Nutzer explizit ihre Einwilligung geben müssen, wenn persönliche Daten weitergegeben werden.
Deutsche Datenschützer wollen zudem die Schnittstellen zu Apps und Spielen auf Facebook genauer unter die Lupe nehmen. Über diese erlaubten Nutzer oft auch einen Zugriff auf die Daten ihrer Freunde. Die Anbieter der Apps würden damit umfassend Zugriff auf persönliche Daten auch der befreundeten Profile erhalten, die darüber noch nicht einmal informiert werden, sagte der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar "heise online". Das mache "Freunde, denen erhöhtes Vertrauen entgegengebracht wird, zu potenziellen Komplizen des Datenmissbrauchs".
In den USA hat die US-Verbraucherschutzbehörde FTC angeblich Ermittlungen gegen Facebook aufgenommen. Die Frage ist, ob das Unternehmen zugelassen hat, dass sich Cambridge Analytica an seinem Datenschatz bedient, obwohl das gegen die Nutzungsbedingungen verstößt. Der "Consent Degree" besagt nämlich, dass Nutzer erst über die Weitergabe ihrer Daten informiert und um Erlaubnis gefragt werden müssen. Die Behörde könnte empfindliche Strafen in Millionenhöhe verhängen – 40.000 US-Dollar pro Verstoß. Bei 50 Millionen Betroffenen, von denen die New York Times ausgeht, wäre die Summe astronomisch. Juristen in den USA gehen aber davon aus, dass die Vorgaben des Verbraucherschutzes nicht ausreichend sind, um einen Rechtsbruch festzustellen.
Facebook selbst lässt derzeit von einer externen Computerfirma prüfen, ob CA die Daten wie verlangt gelöscht hat.
Die Investoren
Die Datenaffäre kommt Facebook jetzt schon teuer zu stehen. Die drohenden Gesetzesverschärfungen haben die Anleger verunsichert. Facebooks Aktien stürzten seit Wochenbeginn um zwölf Prozentpunkte ab. Die Sorge, im Zuge der Datenaffäre könnten auch andere Internet-Giganten strenger reguliert werden, trifft die gesamte Branche.
Die ersten Investoren nehmen den einst so erfolgsverwöhnten Internetkonzern in die Zange und haben wegen des massiven Kursverfalls der Aktie vor einem Bundesgericht in San Francisco Klage eingereicht. Der Vorwurf: bewusste Irreführung beim Thema Datenschutz. Beobachter gehen davon aus, dass dies nur der Anfang ist und eine regelrechte Klagewelle auf den Konzern zurollen könnte.
Nach Einschätzung des früheren Facebook-Investors Roger McNamee steht der Plattform eine öffentliche Vertrauenskrise bevor, die das Unternehmen komplett zerstören könnte. "Sie haben nicht einmal den ersten Schritt gemacht und zugugeben, dass es ein Problem gibt", sagte der Risikokapitalgeber Roger McNamee dem US-TV-Sender "CNN".
Dabei habe er bereits 2016 Facebook-Chef Mark Zuckerberg und dessen Rechte Hand Sheryl Sandberg auf die Problematik angesprochen. Sie hätten das jedoch als PR-Problem abgetan.
Er könne nicht verstehen, dass Zuckerberg und Sandberg nicht zugeben wollten, wie "ihre Strategie des Wachstums um jeden Preis" negative Auswirkungen zur Folge habe, sagte McNamee. Roger McNamee war maßgeblich an der Gründung namhafter Venture Capital-Unternehmen aus der Tech-Branche beteiligt, investierte auch früh in Facebook und hält noch Anteile an dem sozialen Netzwerk.
Die Mitarbeiter
McNamee ist nicht der einzige Förderer, der sich nun gegen das soziale Netzwerk wendet. Auch intern rumort es. Der Sicherheitschef Alex Stamos musste bereits gehen, weil er mit dem aktuellen Kurs der Konzernspitze nicht einverstanden war. Die Meinungsverschiedenheiten reichen offenbar schon länger zurück. Stamos sprach sich für mehr Offenheit bei der Aufarbeitung der Affäre um russischen Einfluss auf den US-Präsidentenwahlkampf aus, konnte sich aber gegen die Konzernleitung um Sharyl Sandberg nicht durchsetzen.
Offenheit ist ein Problem bei dem Konzern, den der Verzicht der Privatsphäre seiner Mitglieder groß gemacht hat und dessen Chef Marc Zuckerberg einst vom "Ende der Privatsphäre" fantasierte. Im Moment ist es um Zuckerberg auffallend still geworden. Die Chefetage hat sich verbarrikadiert und äußert sich bisher nicht zu den drängenden Fragen zur Datenaffäre. Nun hat zumindest Zuckerberg angekündigt, sich in Kürze zu dem Skandal äußern zu wollen, der dem CA-Chef Alexander Nix bereits den Job gekostet hat.
Zuckerberg will "Facebook reparieren", seine Nutzer "vor Missbrauch und Hass schützen", kündigte er Anfang des Jahres an. Die Frage ist, ob er mit seiner Rettungsaktion nicht zu spät dran ist und der Mega-Konzern Facebook nicht schon gewaltig Schlagseite hat und langsam aber sicher sinkt.