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Nicole Jäger im Interview: Die Komikerin erlebte häusliche Gewalt


Interview
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Komikerin erlebte häusliche Gewalt
Nicole Jäger: "Er hat mir fünf Jahre meines Lebens geklaut"

InterviewVon Maria Bode

Aktualisiert am 17.08.2021Lesedauer: 9 Min.
Nicole Jäger: Die Komikerin und Autorin spricht jetzt offen über ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt.Vergrößern des Bildes
Nicole Jäger: Die Komikerin und Autorin spricht jetzt offen über ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt. (Quelle: IMAGO / STAR-MEDIA)
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Sie war in einer Beziehung zu einem Mann, der ihr gegenüber gewalttätig war. Nur langsam konnte sich Nicole Jäger aus der Verbindung herauswinden. Im Gespräch mit t-online blickt sie zurück und ins Hier und Jetzt.

Nicole Jäger kommt taff daher und lustig. Lustigsein gehört immerhin zu ihrem Job und zu ihrem Leben. Sie steht als Comedienne auf der Bühne, unterhält das Publikum, bringt es zum Lachen. Sie selbst hatte nicht immer was zu lachen. Der 39-Jährigen mangelte es an Selbstwertgefühl, sodass sie mehrere Jahre lang in einer toxischen Beziehung feststeckte, von der sie jetzt in ihrem Buch "Unkaputtbar" berichtet.

"But dear, there is sun after rain, love after pain", diese Worte des albanischen Autors Ventum, die auf Deutsch etwa bedeuten "Aber Liebling, nach dem Regen kommt die Sonne, nach dem Schmerz die Liebe" sind in dem Buch von Nicole Jäger gleich mehrfach zu lesen. Das und mehr hat sie aus ihrer Erfahrung mit psychischer Gewalt in einer Beziehung mitgenommen, wie sie im Interview mit t-online erklärt.

t-online: Sie waren fünf Jahre lang mit einem Mann zusammen, der Ihnen häusliche Gewalt angetan hat. Wann in der Beziehung haben Sie gemerkt: Da stimmt was nicht?

Nicole Jäger: Die Beziehung hat nicht mit Gewalt begonnen, sondern mit der ganz großen Liebe. Ich war verliebt, habe absichtlich rote Flaggen übersehen und Dinge, die ich normalerweise komisch gefunden hätte. Aber ich bin auch ein sehr sensibler Mensch – wie es häufig bei Missbrauchsopfern der Fall ist. Ich habe feine Antennen und dachte irgendwann: Mit dem Typen stimmt was nicht, die Geschichten, die er erzählt, sind komisch. Ich wusste kaum was über ihn, er aus meinem Leben aber wahnsinnig viel. Dann ging es mit Manipulationen los. Irgendwann kam raus, dass zwischen den Aussagen von dem Typen und meiner Wahrnehmung eine riesige Lücke ist. Das habe ich aber erst sehr spät gemerkt.

Warum?

Diese Manipulation war so stark und subtil, dass ich zwischendrin dachte, es läge an mir, ich müsste mir einen Therapeuten suchen. Dann wurde mir klar: Es kann nicht sein, dass ich alles in meinem Leben hinbekomme, eine Karriere habe, immer pünktlich und professionell bin. Aber in meiner Beziehung kriege ich das nicht hin, obwohl ich so viel gebe. Dazu kamen viele Wutanfälle, die er hatte. Da wusste ich: Irgendwas funktioniert hier nicht. Und zu guter Letzt kann man sagen, so salopp es klingt, wenn dein Partner versucht dich zu erwürgen, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass etwas nicht in Ordnung ist. Das war aber erst später.


Vorher hat eine Art Isolation stattgefunden, eine der Stufen häuslicher Gewalt. Wie kann man sich das vorstellen?

Er hat es nicht geschafft, mich von meinen Freunden und meiner Familie zu isolieren. Aber er hat mich für den Kontakt zu ihnen gerügt: Es kam eine Nachricht rein und es war sofort schlechte Stimmung. Das ging so weit, dass ich irgendwann mein Handy dauerhaft stillgeschaltet und angefangen habe, nachts heimlich Nachrichten zu lesen. Alle Menschen in meinem Leben waren plötzlich sein Feind. Hat mir jemand geschrieben, bekam ich dafür üblen Ärger. Wenn ich denn mal Zeit woanders verbracht habe, ist er aufgetaucht oder hat mein Auto getrackt. Er wusste immer, wo ich war. Das ist krank, das ist Stalking. Mir war klar, dass das falsch war. Ich werde nie wieder zulassen, dass mir jemand befiehlt, wie ich mein Leben zu führen habe.

Der Titel Ihres Buches lautet "Unkaputtbar". Wann wussten Sie, dass Sie unkaputtbar sind?

Ich habe irgendwann gedacht, ich kann nicht gegen diesen Typen verlieren. Ich habe schon so viel gemacht und geschafft. Ich war mal wohnungslos, saß mal im Rollstuhl [nach einem Sportunfall in ihrer Jugend; Anm. d. Red.]. Da wusste ich: Du kriegst mich nicht klein und der Rest der Welt auch nicht.

Nicole Jäger lebt bis heute in ihrer Geburtsstadt Hamburg. "Unkaputtbar" ist ihr drittes Buch nach "Die Fettlöserin" und "Nicht direkt perfekt". Beide Bücher hat sie auch auf die Bühne gebracht. Jäger ist regelmäßig zu Gast in unterschiedlichen TV-Shows. Mit ihrer besten Freundin Philina Herrmann produziert sie den Podcast "Ponyhof und Mittelfinger". Nicole Jäger hat Gebärdensprachendolmetschen studiert und arbeitete lange als Abnehmcoach. Sie wog selbst einmal 340 Kilo. Für ihre Bühnenkarriere gab sie diesen Job auf.

Es klingt ein bisschen wie die Auferstehung des Phönix aus der Asche.

Das ist ein großes Bild, aber es ist so. Ich habe mich daraus befreit und gemerkt: Ich bin doch stark genug. Das kann man innerhalb einer Missbrauchsbeziehung auch mal vergessen, weil man immer eingeredet bekommt: Du kannst nichts, du bist zu schwach – so fühlt man sich irgendwann auch und ist emotional am Ende. Ich habe mir trotzdem gedacht: Nein, ich kann das, ich komme da raus, ich bin vielleicht verletzt, aber das hält mich nicht auf. Das ist schon so ein Phönix-Moment. Vor allem rückblickend.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Ich habe mich noch nie so gut gefühlt. Ich war noch nie so gerne Single. Verstehen und wissen, dass das Leben nach einer solchen Beziehung weitergeht und dass es nur besser sein kann, tut wahnsinnig gut. Das Gefühl ist sehr langanhaltend und sehr bahnend für alles, was kommen könnte.

Sie schreiben, dass Sie eine neue Art von Alleinsein lernen müssen. Wie sieht das aus?

Ich glaube, ich lerne das noch immer. Single zu sein bedeutete für mich früher – mit ein paar Ausnahmen – auf der Suche nach einem Partner sein. Ich hatte diese Gedanken, dass ich nicht jünger werde und irgendwann den passenden Deckel finden muss. So habe ich verlernt, wie es ist allein glücklich zu sein, ohne auf der Suche zu sein und ohne Bestätigung, Sex oder sonst etwas zu brauchen. Heute weiß ich: Ich kann das alles haben, wenn ich will, aber ich brauche es nicht. Ein Partner vervollständigt mich nicht. Ich komme mittlerweile sehr gut mit mir selbst aus.

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Sie stehen jetzt für sich selbst an vorderster Stelle. Vor allem berichten Sie auch von der Wiedererlangung Ihres Selbstwertgefühls. Wie gelingt das?

Ich habe vieles verändert, habe aufgehört, mich an irgendwas zu messen und zu denken, ich müsste die perfekteste Version meiner selbst sein, um für jemanden interessant zu sein. Ein Beispiel: Ich bin ein großer Tattoofan und hätte immer gern eins gehabt. Ich hatte aber nur Männer, die sagten, Frauen mit Tattoos gehen gar nicht. Deshalb habe ich es nicht gemacht. Jetzt mache ich, was ich möchte und selektiere demensprechend auch Menschen aus. Denn: Ich habe nur dieses Leben. Damit mache ich jetzt, was ich möchte. Ich fühle mich sehr stabil mit meinem Selbstwert – auch gerade durch die Erfahrung mit meinem Ex.

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Wie kommt das?

Ich glaube, man kann sich aussuchen, was man aus einer solchen Erfahrung mitnimmt. Bei mir ist es eben Stärke und zu wissen, ich habe es da raus geschafft und lebe ein gutes Leben, ich habe "Unkaputtbar" geschrieben. Ich habe gelernt, was ich in der Lage bin zu schaffen. Das hat mich viel Kraft gekostet, aber ich bin noch da und weiß jetzt, dass ich deutlich mehr kann, als ich mir selbst oft zutraue. Ich weiß einfach insgesamt: Ich bin schon okay.

Sich nicht mehr mit anderen zu messen, ist sicherlich hilfreich.

Absolut, das ist leider so ein Frauending. Frauen vergleichen sich gern, weil sie dazu erzogen werden. Ein gutes Selbstwertgefühl geht schon mit der Erziehung einher: Erzieht eure Mädchen nicht dazu, sich zu hassen. Erzieht sie nicht dazu, dass sie schön sein müssen, dass sie sich vergleichen müssen. Mädchen werden auf ihre süßen Kleider angesprochen, bei Jungs heißt es, sie seien stark, können schnell rennen. Das ist das Problem. Mutig, stark, schnell gegen niedlich, zurückhaltend, schön. So wächst man mit diesem Gedanken auf. Das ist dramatisch. Es ist nicht die Aufgabe einer Frau, einem Mann zu gefallen. Es ist die Aufgabe eines Menschen sich selbst zu gefallen.

Zurück zum Buch: Es zu schreiben hat Sie große Überwindung gekostet, genauso auch anfangs über Ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt zu sprechen. Sie schreiben von Scham. Wie konnten Sie dieses Gefühl überwinden?

Es war eine Kosten-Nutzen-Frage. Scham ist ein wahnsinnig schlimmes Gefühl. Es hält einen in den dusseligsten Situationen, weil Scham fast immer größer ist als man selbst. Dabei empfindet das Gegenüber Ehrlichkeit, Offenheit und Verletzlichkeit weit weniger dramatisch als man selbst. Wenn man darüber spricht, löst sich dieses Schamgefühl auf. Ein Opfer ist niemals selbst schuld. Das musste ich auch erst mal lernen. Wenn man aber einmal die Hürde überwunden hat, ist der Bann gebrochen. Ich hatte zu Hause zwar den gleichen Terror, aber ab dem Moment war es weniger schrecklich, weil ich Komplizen hatte. Das hilft enorm, um diesen ganzen Schrecken von häuslicher Gewalt langsam, aber sicher abzubauen. Bis man den Absprung schafft.

In dem Buch findet man einen Brief an Ihren Ex. Haben Sie ihn abgeschickt?

Den Brief gibt es, den hat er aber nie gelesen.

In dem Brief drücken Sie Dankbarkeit ihm gegenüber aus, nicht etwa Hass oder Wut. Wie haben Sie das geschafft?

Das ist einfach meine Einstellung. Ich habe ein Talent und das besteht darin, Schmerz in Kunst zu verwandeln. Ich habe mich gefragt: Was habe ich von schlechten Emotionen oder von Rache? Außerdem habe ich beschlossen, diesen Menschen aus meinem Leben zu heben, also auch emotional loszulassen. Wenn ich zulasse, dass ich die ganze Zeit sauer und traurig und voller Rachegedanken bin, ist er immer noch Teil meines Lebens. Ich glaube fest daran, dass Vergebung mir mehr bringt als Wut. Er hat mir fünf Jahre meines Lebens geklaut und ich habe das Beste daraus gemacht, was ich machen konnte: dieses Buch.

Kamen Ihnen Tränen beim Schreiben?

Ständig, bei dem Brief war es ganz schlimm. Ich habe das Hörbuch eingesprochen und eben auch diese Stelle. Wir haben es achtmal unterbrochen, weil ich immer wieder Rotz und Wasser geheult habe. Ich glaube, manchmal kann man sogar lesen, wie sehr mich das berührt und wie verletzt ich bin. Ich habe diesen Mann bis zum Letzten geliebt. Das nehme ich auch als Gutes mit.

Wie meinen Sie das?

Das kann er von sich nicht behaupten. Wenn man aus solchen Beziehungen rauskommt, denkt man, man hat viel verloren. Aber ich sage: Er hat viel verloren – einen Menschen, der ihn ehrlich und aufrichtig geliebt hat. Anders bei mir. Ich habe jemanden verloren, der mir das Leben schwer gemacht hat. Das war beim Schreiben sehr emotional, das war beim Einsprechen sehr emotional und jetzt bin ich gespannt, wie das auf Lesereise wird … Aber so ist es halt, es ist wahrhaftig gewesen.

Sie schreiben auch von einer Auflistung Ihrer Schwächen durch Ihren Ex-Partner. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Da fand eine Destabilisierung durch psychische Gewalt statt. Er kam mit einer Excel-Datei meiner Verfehlungen an und mit allem, was an mir nicht stimmt. Ich bin quasi nie gut genug. Was das mit einem macht: unglaublich. Ich dachte, ich bin doch eine intelligente Frau, ich bin ein dickes Mädchen, aber ich bin weder wahnsinnig unattraktiv noch charakterlich bösartig. Warum höre ich mir das eigentlich an? Und trotzdem hörte ich es mir an. Der Weg aus dieser Beziehung raus hat über zwei Jahre gedauert. Diese Liste zeigt deutlich seinen Narzissmus und wie sehr er darin gefangen ist und aufgeht, er hält sich prinzipiell für im Recht und für Gott. Das ist so absurd und schwierig.

Inwiefern?

Ich habe mit Experten zum Thema Narzissmus gesprochen. Alle haben das gleiche gesagt: Narzissten wissen genau, was sie tun. Es ist ihnen nur egal. Das macht das Böse aus: Er weiß, was er tut und glaubt, er ist damit im Recht. Deshalb werde ich auch niemals Gerechtigkeit erfahren. Das einzige, was wirklich hilft, ist zu wissen, dass Narzissten im Grunde wahnsinnig einsame, traurige Menschen sind. Er wacht jeden Morgen auf und ist er. Ich glaube, das ist eine Strafe. Narzissten haben keine Chance glücklich zu werden. Das hilft aber nicht immer, es bringt mir ja nichts, wenn es anderen schlechter geht.

Was könnten Ihrer Meinung nach Politik, Staat oder Medien tun, um Betroffene zu schützen oder rauszuholen?

Eine von vier Frauen ist von häuslicher Gewalt betroffen. Es ist das am häufigsten verletzte Menschenrecht weltweit. Diese Fakten haben mich schockiert, weil ich anfangs dachte, ich wäre damit allein. Das ist das große Problem: Opfer häuslicher Gewalt glauben, sie seien allein. Es mangelt ganz arg an Aufklärung. Wir sprechen öffentlich viel zu wenig darüber. Ich habe "Unkaputtbar" geschrieben, um das Thema zu enttabuisieren. Ich möchte Opfern zeigen, dass auch psychische Gewalt eine Form von Gewalt ist, denn bei häuslicher Gewalt sprechen wir meist von körperlicher Gewalt, dabei ist das Gegenteil der Fall – und das ist genauso schlimm. Es braucht mehr Hilfsangebote, mehr Stellen, an die man sich explizit als Opfer häuslicher Gewalt wenden kann und es mangelt daran, dass wir das nicht ernst genug nehmen. Gerade in der Corona-Zeit bekommen wir direkt mit, wie die Zahlen explodieren. Aber das Resultat ist: Wir stellen es einfach nur fest, richtig was verändern tut sich nicht.

Hier finden Opfer häuslicher Gewalt Kontaktadressen, Telefonnummern und Websites, auf denen ihnen geholfen wird.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Nicole Jäger
  • Nicole Jäger: Unkaputtbar – Wie mein Mangel an Selbstwert zum Problem wurde und wie ich da wieder rauskam
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