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Brandenburg-Wahl: CDU-Abgeordneter – Deshalb müssen wir mit der AfD reden


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Brandenburg-Wahl
CDU-Abgeordneter: Deshalb müssen wir mit der AfD reden

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 02.09.2019Lesedauer: 7 Min.
Martin Patzelt (CDU) ist CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, er fordert seine Partei zu Gesprächen mit der AfD auf.Vergrößern des Bildes
Martin Patzelt (CDU) ist CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, er fordert seine Partei zu Gesprächen mit der AfD auf. (Quelle: imago-images-bilder)
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Nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen fordert der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt Gespräche mit der AfD. Im Interview erklärt der Menschenrechtler und Flüchtlingshelfer, weshalb das eine gute Idee sein könnte.

t-online.de: Herr Patzelt, die AfD ist in Sachsen und Brandenburg stark aus den Landtagswahlen hervorgegangen. Dann muss man mit ihr auch reden, sagen Sie.

Martin Patzelt: Davon bin ich überzeugt. Wir sind es Hunderttausenden Wählern in Brandenburg, die die AfD gewählt haben, schuldig. Wir müssen denen deutlich machen, warum wir nach Gesprächen gegebenenfalls nicht mit der AfD in eine Koalition eintreten können. Sollte wider Erwarten und voller Überraschung – was ich mir nicht vorstellen kann – die AfD von etlichen Positionen abrücken, dann wäre es umso sinnvoller, ein Gespräch zu führen.

Wer denkt außer Ihnen noch so? CDU-Landeschef Senftleben hat das auch mal aufgebracht.

Er ist leider wieder zurückgerudert. Ich suche immer Koalitionäre, ich rudere nicht aus strategischen Gründen in diese Ecke. Ich war und bin grundsätzlich davon überzeugt. Mir geben ja auch viele aus der Partei recht, aber nicht öffentlich. Aber ich muss genau hinschauen, warum mir Leute recht geben. Für mich ist es immer verdächtig, wenn man wenn seine Position ändert, weil man Wahlerfolge im Blick hat.

Aus Brandenburg im Bundestag
Martin Patzelt (72) sitzt seit 2013 für die CDU im Bundestag. Er stammt aus einer 13-köpfigen Familie. In der DDR hatte er nicht Medizin studieren dürfen, weil er sich nicht zum Dienst mit der Waffe in der NVA verpflichtete. Er wurde Sozialarbeiter in kirchlichen Einrichtungen, nach der Wende Referatsleiter für Erziehungshilfen im Sozialministerium Brandenburg und dann Beigeordneter und Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder.

Sie würden Gespräche mit der AfD auch völlig ergebnisoffen führen?

Das würde ich immer so wollen. Warum soll man sprechen, wenn man vorher das Ergebnis des Gespräches für sich selbst festgelegt hat?

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Es gibt immerhin einen Parteitagsbeschluss der CDU, der Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit ausschließt.

Ja, den kann ich auch nachvollziehen. Der ist zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt bei gegebenen Umständen von einer Mehrheit so gefasst worden. Aber im Leben geht es weiter und es gibt immer wieder noch mal Anlass, dass die dafür Verantwortlichen dann wieder ihrerseits ihre Verantwortung wahrnehmen müssen und ihre Entscheidungen treffen müssen.

Was schuldet man den eigenen Wählern, die die CDU mit dieser Position gewählt haben? Braucht es nicht auch erst einen neuen Parteitagsbeschluss?

Grundsätzlich ja. Wenn man von diesem abrückt, braucht es eine unabweisbare Begründung. Ich selbst habe in meinem Leben gemerkt, dass ich manches, was ich gestern so gesehen habe, morgen anders sehe. Ich will damit aber nicht sagen, dass ich mir heute vorstellen kann, mit der AfD eine Koalition einzugehen.

Aber?

Gerade hat mich Alexander Gauland völlig erstaunt, als er bei einem Interview gesagt hat, dass er gar nicht den Beitrag des Menschen zum Klimawandel abstreiten will. Im Wahlkampf habe ich mit denen noch ganz anders gestritten.

Sie sehen in der AfD also viel Bewegung?

Wir bemerken doch, dass die AfD innerlich erhebliche Auseinandersetzungen hat. Wir wissen nicht, welcher Teil sich durchsetzen wird. Natürlich wünsche ich, dass die Radikalen, die Faschistoiden tatsächlich selbst gehen, dass die Bewegung, die sich mit dem Flügel gebildet hat, keine Mehrheit abbildet. Wir haben in dieser Woche gesehen, dass die mit Mehrheit gewählte schleswig-holsteinische Vorsitzende ausgeschlossen wurde. Da ist wirklich Musik im Laden. Ich will das nicht verklären, es belegt nur meine Erwartung, dass die AfD sich selbst reinigen oder irgendwann abtreten muss, weil sie nicht mehr für die Verfassung steht.

Aber in Brandenburg steht Andreas Kalbitz an der Spitze, dessen rechtsextremen Vergangenheit immer mehr öffentlich wird und der eher nicht mit Aufräumen verbunden wird.

Das ist wohl so. Aber auch er hat schon moderatere Töne angeschlagen, vermutlich aus strategischen Überlegungen. Dass die Strategie der AfD rückwärtsgewandt ist, wissen doch alle Menschen, die ein bisschen intelligent sind und ihre Intelligenz auch mit der Erfahrung aus der Geschichte zusammenbringen. Die AfD kann die Probleme unserer Zeit überhaupt nicht lösen, sondern uns nur ins Elend führen. Ich bin Menschenrechtler und sage als Berichterstatter für Menschenrechte Regierungen immer: “Die Unfreiheit der Menschen wird euren Niedergang besiegeln.” Ich habe erlebt, wie die Unfreiheit in der DDR zu mangelnder Innovationskraft und zur Pleite geführt hat. Der Mensch braucht Freiheit und Solidarität, damit er sich ein besseres Leben organisieren kann. Darüber führe ich sehr gern jederzeit mit der AfD offene Diskussionen.

Sie haben aber bei ihrem Bild der AfD schon eine Erwartung, wie ergebnisoffene Gespräche mit der AfD ausgehen könnten?

Da halte ich es mit den Buddhisten: Nichts erwarten, alles empfangen. Ich kann mir eine Koalition jedoch tatsächlich nicht vorstellen bei den aktuellen Positionen der AfD. Aber wenn es zum Schwur kommt, dann zählt ein Koalitionsvertrag. Als Christdemokrat balle ich auch manchmal die Faust in der Tasche bei dem, was wir mit der SPD im Bund vereinbart haben. Aber es geht um das, was auf dem Papier steht. Ausgespart wird, wo man nicht zusammenkommen kann, das soll die nächste Regierung angehen. Einfach eine Neuwahl hilft uns auch nicht, die würde den Trotz der Leute noch einmal verstärken. Das ist auch nicht ungefährlich.

Mit Ihren Überzeugungen sollten Sie unverdächtig sein, problematischen AfD-Überzeugungen nahezustehen.

Das habe ich gedacht. Aber ich habe dann doch andere Anfragen bekommen und musste manches Gespräch führen, um Enttäuschungen aufzulösen. Als dann selbst die "Zeit" einen Artikel titelte mit "Ausstieg in Fahrtrichtung rechts", habe ich mich wirklich missverstanden gefühlt. Es gibt einen großen Unterschied von Inhalt und Form. In der Form möchte ich derjenige sein, der demokratische Spielregeln wirklich auch nachvollziehbar und öffentlich einhält. Der Inhalt ist eine ganz andere Sache.

Wenn bei Ihnen schon die Bereitschaft zu Gesprächen missverstanden wurde, wie ist es mit Stimmen in der Union, die der AfD inhaltlich viel näher stehen?

Ja, der konservative Kreis, die Werte-Union. Ich bin mit prominenten Mitgliedern sogar locker befreundet durch parlamentarische Zusammenarbeit, ich achte sie. In deren Reihen ist aber viel Angst dabei.

Wovor und was heißt das?

Angst, dass etwas kaputt geht in unserer Gesellschaft, was sie vorher vermeintlich zusammengehalten und getragen hat. Aber das Leben und die Welt ändern sich. Es zeigt sich auch manchmal gegen unseren Willen, dass wir alle irgendwo eine Einheit auf einem kleinen Planet in einem unendlichen Weltall sind. Wir haben einen Grund, auf der Erde solidarisches Leben zu gestalten: Weil es dann allen besser geht. Da muss ich mich einfinden, da hilft die Angst nicht, dass sich etwas verändert. Und hier sehe ich das Problem: Wenn hinter diesen Forderungen Tendenzen des Festhaltens, Zurückruderns und Stillstands stecken. Würde ich nicht an positive Änderung und Wandel glauben, hätte ich auch als Leiter eines Caritas-Heims mit jungen Menschen mit stark abweichendem Verhalten in der DDR vielfach einpacken können.

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Und daran glauben Sie auch bei einer Partei mit stark abweichendem Verhalten?

Ich habe bei einer Diskussion in meiner Heimatstadt Frankfurt/Oder erlebt, wie ein AfD-Vertreter auf die Frage nach dem Bau einer Moschee dort die Religionsfreiheit im Grundgesetz hervorhob. Er sagte, dass sich dann Menschen auch in ihren Räumen versammeln können müssen, dass er sich aber wünscht, dass davon kein Terror ausgeht und keine undemokratische Gesinnung gepflegt wird. Ich hätte das genauso sagen können.

Das ist nicht unbedingt die Antwort, die man mit AfD-Politikern in Brandenburg verbindet, und es klingt nicht nach "die Islamisierung des Abendlandes stoppen".

Deshalb zitiere ich ihn und sage, da gibt es auch schon einen Wandel, und sei es auch nur strategisch.

Jetzt haben Sie auch mehrfach gesagt, mögliche Kurswechsel seien vielleicht oder wahrscheinlich nur strategisch. Das spricht nicht gegen Gespräche?

Nein, aber ich muss mir treu bleiben.

Eine AfD in Regierungsverantwortung würde dann an einen Wahlkampfslogan "Die Wende vollenden" anknüpfen, der Ihnen mit Ihrer Biografie auch weh getan haben dürfte.

Natürlich bin ich zunächst bitter und beleidigt, wenn von stupiden, dumpfen und rückwärtsgewandten Anschauungen solche Formulierungen kommen. Aber wenn die AfD uns denn dabei helfen will... Die Wende ist noch lange nicht vollendet. Wir Ossis haben gedacht, wir kommen ins Paradies. Aber das wird einem nicht geschenkt, das verlangt Mühe. Die Freiheit, die wir wollten, kann jetzt auch nicht mit einer Sklaverei dem Konsum gegenüber enden. Da gibt es viel zu tun. Wenn die AfD dabei helfen will: gerne! Ich vermute, sie haben andere Dinge im Kopf.

Wieso fühlen sich manche Menschen von dieser Wende-Kampagne angesprochen?

Ich sehe auch die Menschen insbesondere in Sachsen, die zuerst auf die Straße gegangen sind, die Hoffnungen hatten, die jetzt enttäuscht wurden. Aber sie sind vielleicht damit ein bisschen kindlich umgegangen. Wenn sie mal alle das Grundgesetz richtig gelesen hätten, wüssten sie, dass mit Asylbewerbern so umgegangen werden muss, wie mit ihnen umgegangen wird. Die staunen jetzt: Wohin sind wir denn aufgebrochen? Ich habe die Wende gewollt, und ich freue mich wahnsinnig darüber, dass ich in Deutschland leben darf mit diesem Grundgesetz, das ausdrückt, was wir von dem Menschen halten, was wir für den Menschen wollen und dass wir uns dafür redlich mühen.


Für viele in der CDU sind Gespräche mit den Linken genauso unvorstellbar, Herr Senftleben hat sie aber nicht ausgeschlossen.

Für mich war es als Oberbürgermeister herausfordernd, wenn ich in meiner Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt/Oder mit der Fraktion der PDS und vier ehemaligen Führungsoffiziere der Stasi zum Wohle der Stadt Beschlüsse und Mehrheiten suchen musste. Da wird man schon ein bisschen trainiert. Ich glaube aber, dass sich die Linkspartei auch sehr gewandelt hat. Wir dürfen nicht nur von den Schaufensterreden einiger im Plenum ausgehen. Da reden die Leute ganz anders als sonst mit mir.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Gespräch mit Martin Patzelt
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