Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Comeback nach Corona-Absturz Nena isst kein Brot
Lange war nichts von Nena zu hören. Jetzt das Comeback bei Florian Silbereisen. Autor Ingo Scheel erinnert sich an seine Begegnungen mit der Sängerin.
Mein Kumpel Klaus hatte Anfang der Achtziger den ersten Videorecorder in unserer Clique. Das Teil schluckte Kassetten im Betamax-Format, war ungefähr so groß wie ein Kleinwagen und taugte bestens zur Zeitverschwendung. Wir guckten Filme wie "Der Bohrmaschinen-Killer", "Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe" und einiges aus der Biologie-Abteilung. Und blieben traditionsgemäß auch dann noch vor der Röhre, wenn das letzte Band, wie vom Videodealer unseres Vertrauens unmissverständlich gefordert, längst zurückgespult war.
Selbst als Nicht-Fan führte kein Weg an Nena vorbei
Der 21. August 1982 war solch ein Abend. Wir landeten irgendwann beim "Musikladen" im Ersten und wurden so Zeuge einer historischen Premiere: Eine junge Sängerin namens Nena war mit ihrer Band zu Gast, im roten Leder-Minirock, hellblauem Muskelshirt, mit riesigen Ohrringen und einem noch riesigeren Song: "Nur geträumt" sollte sich als Ouverture zu einer der größten Karrieren der deutschen Pop-Historie entwickeln.
Selbst als Nicht-Fan führte an Gabriele Susanne Kerner in den nachfolgenden Jahrzehnten kein Weg vorbei. Es regnete Hits in Reihe, "Bravo"-Storys, Goldene Ottos, Filme, Tourneen, Preise noch und nöcher. Vom Casual Hörer zum berufsbedingten Betrachter wurde ich Ende der Neunziger zum ersten Mal. Nena war in Town, in my Hometown, um genau zu sein, in Kiel nämlich. Und ich war als regelmäßiger Autor für die "Kieler Szenen"-Seite, der täglichen Musikrubrik in den "Kieler Nachrichten".
Nenas Stern war ein wenig gesunken, ihr Auftrittsort nicht etwa die geräumige Ostseehalle, wo der THW Kiel sonst Gegner in Reihe versohlte, sondern die "Max Music Hall", ein Club solider Größe, in der wir auch schon mit unserer Band dem Grunge-Zossen die Sporen gegeben hatten. Frau Kerner bot eine durchweg überzeugende Show, präsent und mit viel Bock und einer tollen Band. Meine Live-Kritik für die "Kieler Nachrichten" verpackte ich einen offenen Brief, "Liebe Nena, hab' ich so gut nicht erwartet!", mein dezent arroganter Tenor.
Ob Nena das jemals gelesen hat? Ich weiß es nicht. Fest steht jedoch, dass es gar nicht so lange dauerte, bis wir uns wiedersahen. Anfang der Nuller habe ich nach Hamburg rübergemacht und bei AOL Deutschland als Musikredakteur angeheuert. Boris war drin. ich war drin. Der Laden lief eine Weile überaus rund. Sessions@AOL hieß jenes Liveformat, das ein Team um Produzent Moritz Krebs regelmäßig in unserem hauseigenen Studio am Millerntorplatz auf die Beine stellte. Ein paar Songs in akustischer Version, dazu ein Interview, alles très chic, sehr sehenswert. Neben den Tocos, Reamonn, den Fantas und einigen anderen ist eines Tages auch Nena zu Gast.
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Bitte kein Brot für Nena
Die Produktion dauert fast den ganzen Tag, so richtig rund läuft es irgendwie nicht. Ich meine, es gab erst ein paar technische Nicklichkeiten, zudem war Frau Kerner einfach nicht in Stimmung für die Chose, so simpel muss man es wohl sagen. Ein paar Spitzen hier, eine Verzögerung dort, warten, warten, warten, poparten. Mittendrin Nenas – ja, was eigentlich? – Assistentin, so sollte man es wohl nennen, die nach ein paar Missverständnissen bei der Zusammenstellung des Catering-Buffets jedem und jeder, der es hören oder nicht hören wollte, das Unverträglichkeitsmantra ihrer Künstlerin zuraunte: Nena isst kein Brot. Nochmal zum Mitschreiben: Nena isst kein Brot. Radieschen. Tomätchen. Gürkchen. Wohl alles gut und schön, nur eben kein, Sie ahnen es schon, genau: kein Brot.
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Am Ende des Tages, die Musik und das Interview waren im Kasten, umarmte Nena mich zum Abschied, gab mir ein Küsschen auf die Wange und merkte an, sie sei heute wohl "ziemlich anstrengend" gewesen, das sei ihr bewusst. Das nächste Mal würde es besser laufen. Ein Move, eine Zuwendung, ein Satz, den ich immer schwer in Ordnung fand. Klare Ansage. Nachvollziehbar. Jeder hat mal einen Scheißtag, Selbsterkenntnis hilft. Beim nächsten Mal läufts besser. Vielleicht. Nena und haben uns circa zwei Jahre später wiedergesehen. Neues Album, neue Promo-Rutsche, diesmal wurde klassisch im Hotelkonfi interviewt, keine Musik, keine Extras. Kein Küsschen. Die Stimmung? Nennen wir es mal: Okay.
Wiedergesehen haben wir uns danach – jedenfalls von Angesicht zu Angesicht – nicht mehr. Ich las von den Problemen um die von ihr gegründete Neue Schule in Hamburg-Rahlstedt, später war mal von Nenas Vorliebe für den Guru Osho die Rede, 2010 wurde sie von der Peta zur "Sexiest Vegetarian of the Year 2010" gewählt. All das mehr Geplänkel, so richtig verdreht wurde es schließlich während der Hochphase der Pandemie, als sie bei einem Gig in Berlin zum Ignorieren der Corona-Regeln aufrief. Dem Abbruch der Veranstaltung folgten diverse Konzertabsagen, im September 2021 Nena eine ganze für 2022 geplante Tour.
Nun also ihr Schritt zurück ins Rampenlicht beim "Großen Schlagercomeback" mit Florian Silbereisen, am 23. Juli in Leipzig. Das mit dem Comeback dürfte ihr vielleicht weniger behagen, schon vor anderthalb Dekaden war sie in einem Interview mit "Tagesspiegel" beim C-Wort auf Zinne: "Leider wollen die Leute einen immer reduzieren und das ist mit dieser Comeback-Erzählerei sehr einfach."
Tja, das andere C-Wort bietet einigem an "Erzählereien" ebenso Tür und Tor. Wobei die Besetzung der Sendung beim Flori genug Schauwerte bietet, um das Scheinwerferlicht gleichmäßig zu verteilen: Helene Fischer ist dabei, Nicole und Maite Kelly, Vicky Leandros und Ross Antony. Und eben Nena. Wir sind gespannt. Nur eins bitte, lieber Flori, da achtet drauf: Nena isst möglicherweise immer noch kein Brot. In diesem Sinn: Gutes Gelingen. Ich bin gespannt.
- tagesspiegel.de: "Nena: 'Für mich gibt es kein Comeback'"
- peta.de: "Bill Kaulitz und NENA sind 'Sexiest Vegetarians 2010'"