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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Faktencheck zum "Polizeiruf" Wie sinnvoll ist ein Coaching bei der Polizei?
Ausgerechnet mitten in den Ermittlungen zu einem Brandanschlag ordnet Kriminalrat Lemp eine Supervision für sein Team an. Braschke und Köhler müssen also nicht nur weitersuchen, sondern auch noch über Kommunikation kommunizieren. Ist das aber wirklich eine gute Idee?
Eine schicke Villa in Magdeburg hat gebrannt. Der Eigentümer, Rene Ottmann, ein erfolgreicher Bauunternehmer, hat zufällig überlebt. Die Kommissare Doreen Brasch (Claudia Michelsen) und Dirk Köhler (Matthias Matschke) suchen nach dem Brandstifter.
Ottmann hat Feinde, nicht zu knapp. Er hat die Firma eines Konkurrenten übernommen und Leute entlassen. Ist hier nach dem Täter zu suchen? Oder doch im verwickelten familiären Umfeld?
Denn die Schwägerin steht Ottmann näher als nur auf verwandschaftlicher Ebene. Warum schleicht sie nachts um die Villa, auch in der Brandnacht, und zudem verkleidet als ihre tödlich verunglückte Schwester? Als einer der entlassenen Arbeiter der einstigen Konkurrenz-Firma alles gesteht, ist die Verwirrung im Team komplett (Buch: Josef Rusnak). Ausgerechnet da schlägt Lemp seinem Team Supervision vor.
Brasch (die ruppige Michelsen) mauert, Köhler (Matthias Matschke als verunsicherter Kommissar) lässt sich darauf ein. Polizeipsychologe Niklas Wilke sucht einen Weg durchs Gestrüpp der Kommissars-Kommunikation. Steven Scharf spielt den Coach präzise, abwartend.
Scharf gehörte zum Ensemble der Münchner Kammerspiele. 2013 wurde er von der Fachzeitschrift Theater heute zum Schauspieler des Jahres gewählt. Der Coach erkennt: "Gewaltdelikte, Raub, Erpressung, das ist Ihr Alltag das kommt und geht. Kollegen bleiben... " Fast ganz zum Schluss gibt es eine Lektion im Rumknutschen, da kann auch der Supervisor noch etwas lernen. Am Ende wurde – vielleicht – ein neuer Kollege für die weitere Zusammenarbeit rekrutiert. Aber wie sinnvoll ist ein Coaching bei der Polizei? t-online.de hat nachgefragt.
Der Faktencheck
Fragen an Susanne Henkel aus Neu-Isenburg, zertifizierter systemischer Coach, Mitglied im Deutschen Coaching Verband.
t-online: Frau Henkel, der Chef der Ermittler in Magdeburg findet, dass die Kommunikation im Team nicht gut läuft und hat einen Supervisor eingeladen. Ist so etwas üblich bei der Polizei?
Susanne Henkel: Ob es generell üblich ist, kann ich nicht sagen, aber ich hatte auch schon Anfragen von der Polizei. Grundsätzlich ist es ein sehr zeitgemäßer Ansatz, denn wie Paul Watzlawick schon sagte: "Man kann nicht nicht kommunizieren!" Ein Ermittlerteam der Polizei ist oftmals großem Druck ausgesetzt, da muss die Kommunikation untereinander schon stimmig sein, damit es nicht zu fatalen Störungen kommt. Denn auch Anschweigen untereinander vermittelt eine weitreichende Botschaft.
Wann läuft es gut mit der Kommunikation?
Gut und wertschätzend zu kommunizieren fällt uns immer dann leicht, wenn es uns gut geht und wir entspannt sind. Stehen wir unter Druck, leidet auch unsere Fähigkeit, empathisch zu kommunizieren, insofern ein guter Ansatz des Ermittlungschefs.
Der Coach sagt zu einem Kommissar: "Wie finden Sie den Umgang mit den Kollegen?" Darauf beginnt dieser sofort, über seine Kollegen zu reden. Würde ein Coach das so angehen?
Sagen wir mal so, ich würde ein Gespräch nicht so beginnen, denn so eine Frage lädt im schlechtesten Fall dazu ein, erst einmal vom Leder zu ziehen und sich den Frust der Monate von der Seele zu reden. So kann ich keinerlei Veränderung anstoßen, sondern schaffe eher eine sogenannte Problemtrance, aus der heraus es schwer ist, sich aufeinander zuzubewegen.
Wie könnte man es besser machen?
Ich frage eher: "Wahnsinn, ich sehe, was hier bei Ihnen oftmals für ein Druck herrscht, und dennoch haben sie eine so hohe Aufklärungsrate in Ihrem Team. Was hilft Ihnen und den Kollegen dabei, so gut zu sein?" Und schon fokussiert der Kommissar auf die Stärken des Teams und wird sich derer bewusst. Dann kann ich nachhaken: "Und was könnten sie verändern, um noch bessere Resultate zu erzielen?" So kreiere ich eine gute Ausgangsposition, aus der heraus man Lust hat, etwas noch besser zu machen oder sich selbst auch zu verändern.
Die Kommissarin hingegen lümmelt sich in den Stuhl und bafft: "Ich brauch keine psychologische Betreuung." Wie geht man mit so jemandem um?
Bekommt jemand ungefragt einen Coach vor die Nase gesetzt und hat eher eine Verweigerungshaltung, so ist das natürlich eine Herausforderung. Im "echten Leben" würde ich vor der Teamcoaching-Maßnahme mit allen Team-Mitgliedern ein kurzes Interview führen, um mir ein besseres Bild machen zu können, und um auch schon an der Beziehungsebene zu arbeiten.
Und wie würden Sie hier vorgehen?
Im vorliegenden Fall könnte man unterschiedlich reagieren. Man respektiert ihre Abwehrhaltung und utilisiert sie, denn dahinter steckt ja eine Botschaft: "Ich merke, Sie sind dem Coaching gegenüber skeptisch. Darf ich fragen, was Sie so ärgert?" Und was auch immer kommt, damit kann ich dann arbeiten. Vielleicht findet sie mich einfach unsympathisch oder sie ärgert sich über die Übergriffigkeit des Chefs? Hier hätten wir schon ein Thema, dass man besprechen kann.
Im Teamgespräch sagt der Kommissariatsleiter: "Wir gewinnen alle, wenn wir lernen, unsere Defizite zur Kenntnis zu nehmen." Ein kluger, zielführender Satz?
Selbstreflexion ist immer klug. Zielführend wäre der Satz aber, wenn er weiter ginge: "Wir gewinnen, wenn wir lernen unsere Defizite zur Kenntnis zu nehmen und unsere Stärken zu erforschen. Wenn wir das zu einem Puzzle zusammensetzen, in dem wir Stärken stärken und Defizite als Entwicklungsfelder sehen, können wir gemeinsam über uns hinauswachsen und jeder Einzelne fühlt sich im Team sicherer und genau an der richtigen Stelle."
Es knirscht im Team. Der Chef fragt verzweifelt: "Warum machen die das?" Der Coach antwortet: "Was denken Sie denn? " Ist das ein übliches Spiel: Frage – Gegenfrage?
Ja und Nein. Coaching arbeitet damit, über gezielte Fragestellungen einen Erkenntnisgewinn beim Gegenüber zu generieren. Coaching belehrt nicht, sondern fordert den Klienten dazu auf, die Antwort selbst zu finden. Warum? Weil davon ausgegangen werden kann, dass alles, was wir aus uns selbst entwickeln eine stärkere Strahlkraft hat, als das was uns jemand erklärt.
Also handelt der Coach hier klug?
Ja, würde der Coach dem Chef einfach die Frage beantworten, wäre er erstens kein Coach, sondern ein Berater, und zweitens würde der Chef vielleicht immer zweifeln, der Antwort eines anderen zu vertrauen. Ich würde anders fragen, damit als Antwort nicht nur kommt: "Weiß ich nicht, deshalb sind sie ja da…". Zum Beispiel könnte man fragen: "Wann hat es denn besser funktioniert? Was war da anders?"
Zum Kommissar sagt der Coach: "Aggressionen sind erst mal nichts Schlechtes, das setzt Energie frei." Stimmt das?
Naja… Das ist sehr vereinfacht formuliert. Aus Aggressionen kann viel Leid entstehen. Sie in Energie umzusetzen, ist nicht immer gegeben. Vor den Aggressionen kommen die negativen Emotionen und diese können wir utilisieren, um festzustellen, warum sie auftauchen und was sie uns sagen wollen. Nehmen wir das ernst und setzen die Botschaft um, kommt es oftmals auch nicht zu Aggressionen.
Um der Lösung des Mordfalles näher zu kommen, rät der Coach zu einer Familienaufstellung, er lässt die Kommissare in die Rolle der in den Fall Verwickelten schlüpfen. Was denken Sie, kann sowas funktionieren?
Familienaufstellungen sind ein sehr spezielles Feld im Bereich Coaching und Therapie. Einen Mordfall damit aufzuklären halte ich für sehr unrealistisch.