"Kir Royal"-Star Franz Xaver Kroetz: "Ich bin in großer Sorge"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Als Baby Schimmerlos in "Kir Royal" wurde er zu einem TV-Star. Doch Franz Xaver Kroetz ist vor allem eines: Dramatiker. Im Interview mit t-online blickt der streitbare Charakter auf seine Karriere – und die aktuelle Corona-Krise.
Es ist nicht leicht, Franz Xaver Kroetz zu erreichen. Der Autor und Schauspieler lebt schon seit Jahren zurückgezogen in einem Häuschen mit Garten in München-Obermenzing. Management und Verlag? Fehlanzeige. Nur eine Website, wie aus einer anderen Zeit, mit Schreibmaschinenschrift und einer ellenlangen Auflistung seiner Werke weist den Weg zu dem Künstler, der am 25. Februar seinen 75. Geburtstag feiert.
Wir sprechen ihn anlässlich seines Ehrentages, müssen aber feststellen, dass Kroetz müde ist, über sein Leben zu reden. Im Laufe des Gesprächs bessert sich dieser Eindruck – auch wenn er dabei nicht an Streitlust verliert, seine kontroversen Positionen aufgibt oder seine schroffe, schnörkellose Art einbüßt.
t-online: Lieber Herr Kroetz, warum mögen Sie nicht mehr über Ihr Leben reden?
Franz Xaver Kroetz: Weil dieses Leben zu Ende geht und es nichts mehr Neues gibt – und das Alte hab ich schon hundertmal erzählt und beschrieben. Es langweilt mich. Und ich finde es peinlich, wenn berühmte Leute zu viel über ihre große Vergangenheit labern: Das nervt.
Gibt es denn gar nichts Neues mehr, das sich in Ihrem Leben ereignet und erzählenswert wäre?
Hin und wieder stoße ich noch auf einen Rest Terra incognita in meinem Leben, aber ich wäre schön blöd, wenn ich die kostenlos und ohne Kontrolle in die Welt plaudern würde. Das eigene Leben ist ja immer auch ein Teil des literarischen Materials, damit sollte man sparsam umgehen.
Apropos Literatur: Seit 60 Jahren schreiben Sie, und einen gewissen Teil der Zeit hatten Sie mit Schreibblockaden zu kämpfen. In welcher Phase befinden Sie sich derzeit?
Vermutlich bin ich – hauptsächlich als Schriftsteller – manisch-depressiv. Mal geht es und dann wieder gar nicht. Mal findet man das, was man schreibt, toll und dann liest man was von sich und denkt: Was soll denn dieser Mist?
Und wie ist Ihr aktuelles Verhältnis zur eigenen Kunst?
Wenn man die eigene Kunst mag, einen Zugang zu ihr hat, ist es leichter zu arbeiten, als wenn man von seinen Ergebnissen abgestoßen ist. Momentan fühle ich mich mit mir und meinem Schaffen ganz wohl.
Wie produktiv ist für Sie die Wut, die Unzufriedenheit und die Lust an der Provokation?
Es ist die unbändige Lust am Schreiben selbst. Vielleicht eine Sucht, aber eine herrliche, beglückende Sucht. Es gibt nichts Schöneres, als auf einer richtigen Schreibmaschine rumzuhacken, Figuren zu erschaffen und deren Schicksal zu bestimmen; man kann sie lieben und quälen, hoffen und sterben lassen. Man ist ein Menschenmacher, ein Herrscher. Wut, Unzufriedenheit oder Provokation sind dagegen oberflächlich. Schreiben ist mehr.
In "Ich spür Herbst – späte Gedichte von Franz Xaver Kroetz", Ihrem neuesten Werk, geht es morbide, existenziell, schonungslos, roh und ungeschönt zu. Was war Ihnen an diesem Buch besonders wichtig?
Es sind Gedichte aus den letzten zwei Jahrzehnten und ich glaube, es ist so ziemlich das Geglückteste, was mir in dieser Zeit eingefallen ist.
Mit dem Stückeschreiben haben Sie ja bereits 2004 aufgehört...
Ja, das war irgendwie zu Ende und der Erfolg auch. Die Theater brauchen keine Dramatiker mehr, die machen inzwischen alles selber, auch das Schreiben. Und darum freut es mich, wenn diese Gedichte endlich publiziert werden.
Was ist das für ein Buch?
Das ist ein Buch, das die Dimension zwischen "Das Alter ist ein Massaker" und "Alt werden ist nichts für Feiglinge" auslotet. Mag ja sein, dass das Alter auch etwas Schönes hat, wie oft behauptet wird, aber ich hab es noch nicht finden können. Und es gibt ja so viele geglückte Leben in so vielen lahmen Autobiografien; ich wollte mal die andere Seite zeigen, die wehtut. Und das in Reimen, das war mein Ehrgeiz.
Sind das Gedichte eines "Wutbürgers"? Und wie stehen Sie zu diesem Begriff, wenn man Ihn mal wertfrei von den Konnotationen rechter Gesinnungen trennt?
Da die Corona-Hysterie, in die wir getrieben werden von der Politik, den Medien und den "Fachleuten", aus uns ängstliche, zitternde Wichtelchen machen will, finde ich jeden Wutbürger gut, egal von welcher Seite und Farbe, solange er nicht "Heil Hitler" kräht.
Die Pandemie ist real, täglich sterben Menschen. Es ist die größte Aufgabe unserer Zeit, dieses Virus unter Kontrolle zu bringen. Welches Problem wird durch die Corona-Bewältigung in der deutschen Gesellschaft gerade am stärksten deutlich?
Dass die Reichen immer noch reicher und die Armen immer noch ärmer werden – dank und mithilfe von Corona.
Embed
Wie meinen Sie das?
Das Virus ist ein probates Mittel, um von oben noch mehr nach unten zu treten. Angst haben, zu Hause bleiben, eingesperrt sein, arbeitslos sein, perspektivlos sein, mit niemandem reden, jedem misstrauen, isoliert sein, uninformiert sein, das ist doch die ideale Steilvorlage für die Zerstörung der Demokratie. Jeder, der sich dagegen wehrt, hat meine Sympathie.
Es ist eine Situation, die die Menschen auf sich selbst zurückwirft, in die Isolation zwingt und zur Disziplin drängt – das stimmt. Bewerten Sie das Krisenmanagement tatsächlich so kritisch?
Ich bin in großer Sorge, dass man unter dem Deckmantel des Schutzes der Bevölkerung diese irreparabel schädigt. Und mit der Bevölkerung auch die Demokratie. Es ist ein Herrschaftsmechanismus entstanden, der uns bis in die Sprache hinein wie einen Haufen unbotmäßiger Kinder behandelt. Wie kriegt man das wieder raus, wenn Corona überwunden ist? Und was zieht man dann aus dem Zylinder?
Was ist Ihre Hoffnung?
Ich hoffe, dass man diese unselige Entwicklung noch aufhalten kann.
Humor in der Krise: ein oft vernachlässigtes Antidepressivum. Sie haben Ihn jedenfalls nicht verloren, den Humor. In Ihrem neuen "Büchlein", wie Sie es nennen, sprechen Sie über Ihr Ableben und meinen: "Er war" solle auf Ihrem Grabstein stehen, nichts weiter. Blicken Sie dem Tod wirklich so gelassen und humoristisch entgegen?
Ich sehe dem Tod sehr gelassen, fast erleichtert entgegen. Er ist doch auch ein Erlöser, ein Befreier, vielleicht sogar ein Erneuerer!
Der Tod als Heilsprodukt – das ist auch eine sehr eigene Art der Betrachtung.
Dass der Tod aus den westlichen reichen Gesellschaften verdrängt wird, ja, unsichtbar geworden ist, macht uns zu unglücklichen Zombies, die Gott, die die Erde und das ewige Werden und Vergehen missachten. Hundertjährige werden geimpft; und damit sie nicht krank werden und vielleicht sterben, wird das Recht der Jugend auf Lernen, Bildung, Sport, Freizeit, Spaß, Vergnügen, Entwicklung und Gesundheit bedenkenlos gekippt.
Aber es ist doch so: Ein Menschenleben wird nicht dadurch weniger wert, dass es älter ist. Schützenswert bleibt das Leben auch im Alter.
Finde ich irgendwie pervers. Ich hab eine Patientenverfügung, in der steht: Ich habe genug gelebt. Egal wie es mir geht, ich will auf keine Intensivstation mehr, sondern auf die Palliativstation, wenn es so weit ist. Empfehle ich zur Nachahmung!
Glücklicherweise kann das aber jeder selbst entscheiden – und der Staat fördert nicht nur wirtschaftlichen Aufschwung, er schützt auch die Gesundheit seiner Bürger. Für Sie scheint der Tod zum Leben dazuzugehören und alles andere soll sich dieser Prämisse unterordnen.
Auf meinem Grabstein wird stehen: Name, Geburts- und Todestag und sonst nichts. Nicht mal "er war".
Ist Ihnen tatsächlich sonst nichts wichtig als Hinterlassenschaft? Wie wollen Sie in Erinnerung bleiben, oder besser: mit was?
Natürlich möchte ich als großer Menschenmacher in der Tradition von Shakespeare, Schiller, Brecht usw. in Erinnerung bleiben. Aber sehr wichtig ist mir das nicht. Was hab ich davon, wenn ich tot bin?
Sie bleiben in Erinnerung, mit Ihrer Kunst, mit Ihren Werken. Das ist doch ein schöner Gedanke.
Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, hat mein Hausheiliger Karl Valentin mal gesagt. Ich füge hinzu: Man braucht sie nur, wenn man alles wirklich Lebenswichtige schon hat. Ein hungerndes Kind zu füttern, ist besser als es zu malen oder zu beschreiben; wenn man das bedenkt, bleibt man als Künstler auf dem Teppich.
Sie haben mit einem Tinnitus zu kämpfen und beschreiben auch in Ihrem neuesten Werk anschaulich, wie der Zahn der Zeit an Ihnen nagt. Wie sehr machen Ihnen die gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu schaffen?
Sehr, sonst hätte ich auch nicht 20 Jahre lang Gedichte über den persönlichen Weltuntergang geschrieben. Tinnitus, Arthrose und Asthma plagen mich. Aber es gibt Schlimmeres!
Was hält Sie lebendig?
Dass ich immer noch einen Beruf habe, der mich fasziniert. Und auch wenn es mal mit dem Schreiben nicht klappt, kann ich immer noch lesen, auch das tue ich leidenschaftlich gern. Und wenn beides nicht klappt, habe ich Ersatzberufe: Schauspieler, Regisseur, Verleger. Das alles tue ich ja gern, auch wenn man zwischendurch verzweifelt ist wie jeder kreative Mensch. Ich habe mein Leben lang das tun dürfen, was ich gern tun wollte – wenn das keine Gnade ist.
Lebendig, da denkt man an den Franz Xaver Kroetz, den so streitlustigen, produktiven und kreativen Dramatiker. Aber: Sie sind es "elend" den Kroetz zu spielen, so sagen Sie es in Ihrem Buch. Was ist so elend daran?
Zwischen Sein und Schein ist doch bei fast allen Menschen ein Riss. Wie oft hab ich mich beschissen gefühlt, aber aus irgendeinem Anlass dieses "Immer nur Lächeln" gezeigt. Wenigstens in der poetischen Wirklichkeit kann man mal die Maske fallen lassen, und sich zum eigenen Elend bekennen, das macht Schreiben ja so befreiend.
Sie schreiben und lesen sehr viel, sagten Sie. Aber: Auch das Fernsehen nutzen Sie immer noch als Freizeitbeschäftigung. Herr Kroetz, wie ist es um das TV-Programm der Gegenwart bestellt?
Ich habe mal einen Selbstversuch gemacht und drei Monate nur ferngesehen, daraus entstand der Einakterabend "TV-Massaker". Danach hat es mir aber gereicht. Ich schaue eigentlich nur noch non-fiction, also viel Nachrichten, Dokus, Bildungsformate, Reise-Features; mich interessiert alles, was ich noch nicht weiß.
Was empfinden Sie als grausig schlecht?
Was in den Unterhaltungsformaten, sowohl bei den Öffentlich-Rechtlichen als auch bei den Privaten den Menschen zugemutet wird, ist schon oft unterirdisch. Aber da zappe ich schnell wieder weg, sonst stecke ich mich mit Fernsehidiotismus an und das ist schlimmer als Corona.
Mit dem Fernsehen feierten Sie Ihren größten Publikumserfolg: 35 Jahre ist es nun her, dass Sie als Baby Schimmerlos mit "Kir Royal" zum Star wurden. Nervt es Sie, Ihre Popularität einem Werk zu verdanken, an dem Sie nur zwei Wörter mitgeschrieben haben: "Halts Maul"?
Bei "Kir Royal" war ich als Schauspieler engagiert und nicht als Schriftsteller. Das sollte man genau trennen, sonst macht man sich in der Branche unbeliebt. Und der geniale Helmut Dietl hatte bei "Kir Royal" den ebenfalls genialen Patrik Süßkind als Co-Autor – die beiden haben mich wirklich nicht gebraucht!
Aber plötzlich waren Sie nur noch Baby Schimmerlos. Der Negativeffekt des großen Erfolg?
Damals hat es mich genervt, weil "Kir Royal" wie eine Lawine gekommen ist und alles andere von mir unter sich begraben hat. Heute sehe ich das gelassener. In ein großes Theater passen 700 Zuschauer wenn es voll ist, ins Fernsehen passen sieben Millionen, wenn es halb leer ist – dagegen kann man nicht anstinken.
Sie haben durch "Kir Royal" viel Geld verdient, waren berühmt und wurden von Paparazzi belagert. Was hat sich dadurch noch verändert?
Erfolg ist für einen Künstler sehr wichtig, denn das Arbeiten im echolosen Raum ist Sisyphusarbeit. Eine wirkliche Zäsur war "Kir Royal" für mich privat. Ich glaube, die 20 Jahre jüngere und wunderschöne Tochter von Maria Schell hätte sich ohne ein bisschen Baby Schimmerlos nicht in mich verliebt. Und ich war einige Zeit als wenig appetitlicher Hans Dampf in allen Boulevardgassen; finde ich im Rückblick nicht gut, aber was solls: Shit happens, that's life.
Ihr Buch endet mit einem Wink auf Ihre Schaffenskraft. Sie scheinen unzufrieden, können die Welt nicht mehr beschreiben und wollen lieber schweigen. Schlimmer noch: Sie wollen nicht mehr "erleben". Der Nihilismus war Ihnen noch nie fremd, aber hier gehen Sie so weit wie noch nie. Oder?
Meine Gedichte sind nicht der Wirklichkeit entnommen, sie sind befeuerte Fantasie. Besser: Sie sind vertonte Gefühle, drum sollte man sie laut lesen. Zur Methode: Entweder übertreiben oder untertreiben. Aus der Mitte heraus konnte ich noch nie schreiben. Ich brauche Himmel oder Hölle.
Das Buch "Ich spür Herbst – späte Gedichte von Franz Xaver Kroetz" erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln in einer Auflage von 800 Exemplaren Anfang März. 333 sind nummeriert und werden vom Autor signiert.
- Interview mit Franz Xaver Kroetz