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Sylvester Groth über seine Akten: "Die Stasi haute voll auf mich drauf"


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Sylvester Groth
DDR-Flucht: "Was sich da abgespielt hat, war unglaublich!"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 29.09.2020Lesedauer: 7 Min.
Sylvester Groth: In der Serie "Deutschland 89" spielt er Generalmajor Walter Schweppenstette, der für die HVA, den DDR-Nachrichtendienst Hauptverwaltung Aufklärung, arbeitet.Vergrößern des Bildes
Sylvester Groth: In der Serie "Deutschland 89" spielt er Generalmajor Walter Schweppenstette, der für die HVA, den DDR-Nachrichtendienst Hauptverwaltung Aufklärung, arbeitet. (Quelle: Amazon Corporate)

Seine Stasi-Akten wollte der Schauspieler Sylvester Groth nie sehen – deshalb beantragte er keine Einsicht. Doch dann bekam er die Unterlagen plötzlich nach Hause geschickt. t-online erklärt er erstmals, wie es zur unfreiwilligen Konfrontation mit der Vergangenheit kam.

Seit 1990 sind über 7,3 Millionen Anträge zur Akteneinsicht von Stasi-Unterlagen eingegangen. Allein in diesem Jahr waren es bis zum 30. Juni über 20.000 Ersuche von Menschen, die einen Blick in ihre Akten oder die ihrer Verwandten werfen wollten.

Doch Sylvester Groth hatte daran nie ein Interesse. Dabei ist die Geschichte des heute 62-jährigen Schauspielers interessant.

1985 floh er aus der DDR und baute sich ein neues Leben im Westen auf. Der Auslandsnachrichtendienst bespitzelte ihn fortan – und erst über 30 Jahre später erfährt er davon, unfreiwillig. Bei t-online erzählt der "Deutschland 89"-Star erstmals, wie "das ganze Theater losging" und was ihn bei der Akteneinsicht schließlich doch überraschte.

t-online: Lieber Herr Groth, in Ihrer "Deutschland 89"-Rolle als Generalmajor bei der HVA, dem DDR-Auslandsnachrichtendienst der Stasi, zerstören Sie nach dem Mauerfall Akten. Es ist historisch belegt, dass die Stasi ab Anfang November 1989 in größerem Umfang Akten vernichtete. In bestimmten Bereichen sind bis zu 40 Prozent der Ablagen fast vollständig verloren. Macht Sie das als ehemaliger DDR-Bürger wütend?

Im Gegenteil. Manchmal denke ich, dass es ein Segen gewesen wäre, wenn die Stasi alles vernichtet hätte.

Wie bitte?

Das wäre besser gewesen. Die verbliebenen Akten richten so viel Unheil an, wie sie auf eine ungute und erbarmungslose Weise Existenzen vernichten. Es gibt keine Auseinandersetzungen mit den Geschehnissen, nur Verurteilungen, vor allem persönlicher Art.

Können Sie den verbliebenen Akten gar nichts Positives abgewinnen?

Dass die ganze Vergangenheit von Menschen in minutiösen Details aufgeschrieben wurde, hat uns bei den Dreharbeiten für "Deutschland 89" geholfen. Als ich in der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit vor diesen gigantischen Aktenwänden stand, dachte ich nur: "Was für Schicksale hier überall schlummern!"

Das klingt alles nicht so, als hätten Sie Interesse an Ihrer eigenen Stasi-Akte.

Was bringt das denn? Außer einer Bestätigung oder einer Überraschung? Für das zukünftige Leben hat es doch keine Relevanz. Im Gegenteil: Mitunter schädigt es die Menschen nur noch einmal, wenn sie ihre eigenen Akten lesen. Oder sie bekommen eine Ausrede für ihren vielleicht nicht perfekt verlaufenen Karriereweg geliefert. Aber das wollte ich nie.

Sie haben also nie Ihre Akten eingesehen?

Ich habe sie unfreiwillig gelesen, ich selbst wollte das nie. Aber eine Boulevardzeitung strengte vor einigen Jahren Recherchen an, um etwas über meine DDR-Flucht herauszubekommen. Für ihre Nachforschungen beantragten sie Akteneinsicht und plötzlich bekam ich von der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen 80 Seiten nach Hause geschickt.

Seit 1991 sind über 16.000 Anträge auf Akteneinsicht von "Presse, Rundfunk und Film" eingegangen. Zugang zu Unterlagen mit Namensbezug ist nur bei Mitarbeitern der Stasi möglich. Handelt es sich also um einen Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der Stasi, gibt der BStU die Akten an Medien heraus und informiert den Betreffenden zeitnah zur Publikation, sollte er bislang selber sich noch nicht mit den Unterlagen beschäftigt haben. Andernfalls nicht. Besteht aber ein besonderes öffentliches Interesse an einer von der Stasi bespitzelten Person, weil es sich beispielsweise um eine Person des öffentlichen Lebens handelt, muss der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU) bei Presseanfragen abwägen zwischen den zu schützenden Persönlichkeitsrechten und dem zeithistorischen Wert einer Publikation. Eine Herausgabe ist dann möglich, aber der Betroffene kann selbst über eine Veröffentlichung entscheiden und bekommt eine Kopie seiner Akte mit geschwärzten Details zu anderen Personendaten ausgehändigt.

Und dann haben Sie doch hineingeschaut?

Ja, natürlich habe ich das. Aber es war komisch. Das ist alles sehr subjektiv, was dort geschrieben steht. Vieles weiß man, an manches erinnert man sich nicht mehr, aber manchmal denkt man auch: "Das hat sich der Stasi-Typ doch ausgedacht."

Wann bekamen Sie diesen unfreiwilligen Einblick?

Das war vor etwa drei, vier Jahren. Und es betraf ausschließlich die Zeit nach meiner "Republikflucht" 1985.

Also waren es die Akten des Auslandnachrichtendienstes. Die Hauptverwaltung Aufklärung (kurz: HVA) hatte Sie im Westen ausspioniert?

Genau so ist es. Die Namen in den Akten sind geschwärzt und doch kann man sich schnell einen Reim drauf machen, wer, wann, wo Sachen ausgeplaudert hat oder Bericht erstattet hatte über Treffen in West-Berlin. Aber die Bande zu den Menschen, um die es da höchstwahrscheinlich geht, waren schon zuvor zerschnitten. Ich habe auf diese für mich gewissermaßen neuen Enthüllungen also nicht mehr reagiert.

Gab es denn nichts, was Sie überrascht hat?

Doch: Ich habe meinen Haftbefehl gelesen. Wenn ich nach 1985 in die DDR gereist wäre, hätte man mich sofort verhaften können. Als Republikflüchtiger und Verräter musste man jederzeit damit rechnen. Sehr schmunzeln musste ich auch über die Einschätzungen, wie ich mich als Schauspieler mache – das hat die Stasi alles bewertet. Natürlich in abfälligem Ton: Von "mittelmäßig" war da unter anderem die Rede. Die hauten da voll auf mich drauf. Ich war denen wohl nicht geheuer. Aber das ist auch gut so.

Dennoch sind Sie der Auffassung, dass es keinen Mehrwert bietet, diese Einblicke zu bekommen?

Ich halte es für menschlich nachvollziehbar. Wer das Bedürfnis hat, sollte es tun. Wenn derjenige sich bestätigt fühlt oder es ihn beruhigt, ist das okay. Aber ob es etwas bringt? Ich weiß es nicht. Es gibt auch Menschen, die geschädigt wurden durch dieses System, die im Gefängnis saßen oder misshandelt wurden. Das ist etwas völlig anderes. Ich spreche nur von meiner Perspektive und diese ist wirklich luxuriös. Ich persönlich hätte es nicht gebraucht – und Akteneinsicht hätte ich aus eigenen Stücken niemals beantragt.

Sie sind in Ihrem Leben schon unheimlich oft umgezogen und haben sich selbst mal als "Lebensmigranten" bezeichnet. Über 30 Mal haben Sie allein in Berlin Ihre Wohnung gewechselt. Nach eigener Aussage entsorgen Sie bei Umzügen alles, was Sie ein Jahr lang nicht verwendet haben. Da stellt sich die Frage: Haben Sie überhaupt noch etwas aus Ihrer DDR-Zeit, das Ihnen heilig ist?

Es gibt ein paar Fotos von meinen Eltern, die mir wichtig sind. Aber sonst ist da nichts mehr. Mein Herz hängt auch nicht an Dingen. Vielmehr bin ich Menschen sehr dankbar, die mir geholfen haben im Leben.

In der neuen Staffel "Deutschland 89" fällt die Mauer und dann der Satz: "Die Leute wollen Freiheit und was sie kriegen ist Kapitalismus." Haben Sie das nach der Wende auch so wahrgenommen?

Dieser Kapitalismus kam schon mit Wucht. Plötzlich brauchte man viel Geld, um sich etwas leisten zu können. In der DDR spielte Geld keine große Rolle, man kam mit relativ wenig Geld gut aus. Ich habe 26 Mark Miete bezahlt für eine Dreizimmerwohnung. Ob das in Schwerin, in Leipzig, in Dresden oder in Ost-Berlin war: Wohnungen gab es immer für einen schmalen Taler. Allerdings habe ich in Leipzig noch mit einem Außenklo gelebt, der Komfort war gering – und verantwortlich machen konnte man ohnehin niemanden.

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Wie meinen Sie das?

Du hattest deine Wohnung und das war es. Jeder musste sich seinen Wohnraum selbst ausbauen, mit eigener Anstrengung renovieren, da war viel Eigeninitiative gefragt. Geld war dabei weniger entscheidend als Fleiß und Kontakte. Geld war nicht so präsent. Umso größer war nach der Wende für viele die Überraschung, dass für nahezu alle materiellen Dinge viel Geld nötig war.

Mit der Währungsumstellung kam der Schock?

Klar! Alle dachten "oh ja, Westgeld" und stellten dann fest, dass das gar nichts wert war. Man musste Geld für Sachen ausgeben, für die man früher kaum etwas bezahlte.

Immerhin gab es 100 Mark Begrüßungsgeld. Haben Sie die in Anspruch genommen?

Ich bitte Sie! Auf keinen Fall. Nein, nein, nein, das hätte ich nicht gewollt.

Sie hatten damals bereits ein gutes Einkommen und verdienten Geld im Westen, bevor die Mauer fiel. Warum haben Sie 1985 die DDR verlassen?

Das hatte vor allem persönliche Gründe. Ich wollte die Welt sehen und andere Erfahrungen machen. Aber für mich war die Lage in der DDR verzwickt. Ich war abhängig von den Befindlichkeiten und der Zustimmung anderer Menschen, die jederzeit aus unerfindlichen Gründen sagen konnten: "Nein, den Pass kriegst du nicht!"

Sie sind bereits ein Jahr zuvor, 1984, auf Bitte des Regisseurs Johannes Schaaf zu den Salzburger Festspielen gereist. Wie kam es dazu?

Was sich da abgespielt hat, war unglaublich! Schaaf und ich haben uns in Ost-Berlin getroffen und alles für mein Engagement in Salzburg verabredet. Aber er stellte mir eine Frage: "Bist du eine Persona non grata?" Ich wusste erst gar nicht, was er meint. Es ging darum, ob er mich überhaupt aus der DDR herausbekommen würde oder ob die Führung Vorbehalte hegte.

Hatten Sie sich denn etwas zuschulden kommen lassen, was der DDR-Führung nicht gefallen hatte?

Ich war nicht bei der Armee, ich war Single und ich nahm kein Blatt vor den Mund – das reichte damals schon. Dabei war ich keinesfalls renitent. Aber als ich den Antrag auf Ausreise stellte, ging das ganze Theater los. Diese ominöse Künstler-Agentur der DDR wollte nicht, dass ich nach Salzburg ging.

Die einzige Agentur in der DDR, die das Monopol hatte, Künstlern im Ausland Auftritte zu ermöglichen. Wie ist es Ihnen dann doch gelungen, nach Salzburg zu kommen?

Die waren direkt an die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit angedockt. Als Künstler wurdest du von denen komplett durchleuchtet. Also brauchtest du Kontakte, die waren in der DDR Gold wert. Ich kam zum Glück an die Telefonnummer des Festspielleiters in Salzburg und rief den an. Der sagte mir, er kümmere sich darum und es sei ohnehin ein Treffen mit dem DDR-Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann geplant. 24 Stunden später hatte ich den Pass und konnte nach Salzburg.

Nach Ihrem Engagement 1984 kamen Sie wieder zurück in die DDR. Ein Jahr später war das dann anders. Wieso?

Ich wollte mir wegen eines Kulturaustausches das Stück "Don Carlos" in Düsseldorf anschauen. Aber die DDR verweigerte mir die temporäre Ausreise. Das hat mich endgültig stutzig gemacht. Ich wollte mich nicht mehr fremdbestimmen lassen und mein Leben von Leuten diktieren lassen, die mir sagen, was ich zu tun und was ich zu lassen habe.

Sie reisten also 1985 erneut nach Salzburg und blieben einfach dort?

Ganz so einfach war es nicht, es gehörte auch eine ganze Portion Glück dazu. Johannes Schaaf drehte direkt nach den Salzburger Festspielen "Momo" in Rom und bat mir eine Rolle an. Das waren nur vier Drehtage, aber die wurden fürstlich bezahlt. Dafür bin ich dem damaligen Rialto-Chef Horst Wendlandt bis heute dankbar, denn das war viel Geld und davon konnte ich erstmal leben.

Sie bauten sich mit dem Geld für "Momo" ein komplett neues Leben im Westen auf. Wie funktioniert das?

Das ist unheimlich schwer. Ich hatte das Glück, Kontakte zu haben. Aber das wusste ich vorher nicht und ich konnte das alles nicht planen. Mein endgültiger Entschluss, im Westen zu bleiben, fiel nur wenige Tage vor meiner Abreise.

Bleibt schließlich die Frage: Was packt man ein, wenn man weiß, dass nun ein neuer Lebensabschnitt beginnt?

Ich hatte nur ein kleines Köfferchen dabei, ich besaß ja nicht viel. Aber Geld hatte ich – das war mein großes Glück. Und als ich dann nach Deutschland kam, bot mir die Schaubühne Berlin ein festes Engagement für drei Jahre an. Da fiel ich aus allen Wolken: ein Festvertrag, ein großer Glücksfall. Und das in diesem legendären Haus. Mehr geht nicht! Also blieb ich von 1986 bis 1989 in Berlin.

Verwendete Quellen
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