Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Muss Rammstein boykottiert werden? Ich lasse mich auf keinem Konzert mehr blicken
Die Band Rammstein hat mit schwerwiegenden Vorwürfen zu kämpfen. Für Fans wird der Konzertbesuch zum moralischen Drahtseilakt. Oder? Ein Pro und Kontra.
Es werden mit jedem Tag mehr Details – und doch sind viele der Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann weiter nur schwer greifbar: Wurden dem Sänger einer der größten deutschen Bands systematisch Frauen zugeführt und diese teilweise unter Drogen gesetzt, damit sie vor, während und nach den Konzerten Sex mit ihm haben?
Die Band hält sich bisher weitestgehend bedeckt: In ihrem letzten öffentlichen Statement warnen sie vor Vorverurteilungen – sowohl der mutmaßlichen Opfer als auch der Band selbst.
Unberührt von all den Anschuldigungen setzen Rammstein ihre große Europatour fort: Gleich viermal wird die Band in den kommenden Tagen im ausverkauften Münchner Olympiastadion auftreten. Ist es aber noch vertretbar, trotz der Vorwürfe Konzerte von Rammstein zu besuchen? Das diskutieren Regio-Redakteur Alexander Spöri und der Redakteur für Politik/Wirtschaft/Gesellschaft David Schafbuch.
Natürlich kann man noch zu Rammstein gehen
Auch wenn die Stimmung gedrückt sein könnte. Es handelt sich um die größten Konzerte, die in München dieses Jahr stattfinden – ein Spektakel mit einzigartiger, auch explosiver Show! Warum sollte man dort nicht hingehen dürfen? Wegen eines mutmaßlichen Sex- und Drogenskandals, dem bisher keine strafrechtlich relevanten Beweise zugrunde liegen?
Selbstverständlich sollte man die Vorwürfe gegen Till Lindemann nicht herunterspielen. Sie sind gewichtig und man muss sie untersuchen. Solange die Schuld des Frontmanns aber nicht erwiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung.
Außerdem ist Kunst bis zu einem gewissen Grad unabhängig von ihrem Urheber zu bewerten. Wenn Fans anfangen, zum Moralapostel zu werden, dürften sie viele Konzerte nicht mehr besuchen – auch von Rocklegenden wie Marilyn Manson oder Mötley Crüe, die in ähnliche Skandale verwickelt waren.
Erst, wenn die Vorwürfe bewiesen sind, rückt die Debatte nochmal in ein ganz anderes Licht. Die Fans dagegen kommen, um eine Show zu sehen und müssen sich dafür nicht rechtfertigen.
Nein, die Band muss die Vorwürfe erst lückenlos aufklären
Fragt man mich nach meinen besten Konzerterfahrungen, gehören Rammstein nach ganz oben. Tatsächlich habe ich die Band erst in ihrer Gänze begriffen, als ich sie das erste Mal auf der Bühne sah.
"Das war Rammstein", sagte Till Lindemann nach dem letzten Song – und die ganze Band verneigte sich. Es fühlte sich an wie das Ende eines Theaterstücks, und Lindemann hatte offenbar zum ersten Mal seit Beginn der Show seine Rolle abgestreift: Mit leiser Stimme sagte er uns noch, wie großartig wir waren.
Es ist diese Brechung, die mir an der Band immer gefiel. Sechs Typen, die wussten, wie man provoziert – aber eine Distanz zwischen sich und ihrem Schaffen wahrten. Doch seit den jüngsten Vorwürfen weiß ich nicht mehr, ob das bei Till Lindemann jemals so war.
Die Band ist nicht dafür bekannt, besonders offen in ihrer Kommunikation zu sein, vor allem nicht Lindemann. Das muss sich jetzt ändern: Die Band muss die Vorwürfe aufklären, ob man dem Sänger systematisch Frauen zugeführt, sie teilweise unter Drogen gesetzt und Druck auf sie ausgeübt hat, damit sie Sex mit ihm haben. Ich sage bewusst "die Band" – denn Machtmissbrauch braucht auch ein Umfeld, in dem er gedeiht. Solange es keine lückenlose Aufklärung gibt, lasse ich mich auf keinem Konzert mehr blicken.
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