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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Michael-Jackson-Skandal "Den eigentlichen Fehler machten die Medien"
Vor 20 Jahren hielt Michael Jackson sein Kind aus dem Fenster des Berliner Nobelhotels Adlon. War das der Anfang vom Ende seiner Karriere?
Regisseur Alfred Hitchcock erzählte einen ganzen Thriller rund um ein Fenster zum Hof. Schriftsteller J. M. Barrie ließ seinen Helden Peter Pan über ein Fenster erscheinen. Der Dreißigjährige Krieg begann mit einem Fenstersturz.
Ein Fenster findet mit Michael Jackson auch in der Popkultur eine bedeutende Referenz. Am 19. November 2002 präsentierte der Sänger wartenden Fans seinen jüngsten Sohn – aus dem geöffneten Fenster im fünften Stock des Berliner Hotels Adlon. Dieser Auftritt eines Mannes, der lieber Peter Pan gewesen wäre, wirkte wie ein Hitchcock-Thriller und leitete womöglich den Absturz des King of Pop ein.
"Michael Jackson misslang die Selbstinszenierung"
"Michael Jackson war lange ein Meister der Selbstinszenierung, in diesem Augenblick aber misslang sie ihm – mit beinahe fatalen Folgen für seinen Sohn", sagt Jens Bergmann im Gespräch mit t-online. Bergmann ist Mitherausgeber des Buchs "Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung". Für den Experten ist klar, warum die Bilder vom Adlon um die Welt gingen: "Der Auftritt zeigt einen Superstar, der es gewohnt war, sein öffentliches Bild zu kontrollieren, in einem Moment, in dem er die Kontrolle verlor. Ein solcher Fehlgriff, der gewöhnlichen Menschen wohl meist verziehen wird, hat bei prominenten Personen das Zeug zum Skandal."
"Außerdem erweckte der misslungene Auftritt von Michael Jackson den Eindruck, dass sein Sohn nur Mittel zum Zweck für ihn war. Der Beinahe-Unfall warf ein Schlaglicht auf das fragwürdige Verhalten von Prominenten, die ihre Kinder der Öffentlichkeit präsentieren, um sich mit ihnen zu schmücken", so Bergmann weiter. Trotz öffentlicher Entschuldigung Jacksons, der "einen schrecklichen Fehler" einräumte, wirkte das Image des einstigen King of Pop angekratzt, wenn nicht ramponiert.
Dass ein einziges Bild ein mühsam aufgebautes Image zerstören und sogar Karrieren abrupt beenden kann, sei nicht ungewöhnlich, merkt Bergmann an: "Man denke nur an die Aufnahmen von Armin Laschets Lacher im Hochwassergebiet beim Wahlkampf im Sommer 2021."
"Den eigentlichen Fehler machten die Medien"
"Die Bilder boten den Revolvermedien wie so vieles im Leben des exzentrischen Superstars eine unwiderstehliche Gelegenheit, über ihn herzuziehen", erklärt Hanspeter Künzler, Autor der Biografie "Black Or White: Michael Jackson – Die ganze Geschichte". Ein neun Monate altes Kind, zappelnd über einer Balkonbrüstung – das habe natürlich bedenklich auf viele Fans des Popstars gewirkt.
Gleichzeitig habe die mediale Kritik am Sänger aber auch dazu geführt, dass sie sich ihrem Idol verbundener fühlten. "Er pflegte engen Kontakt mit den versammelten Fans, die es ihm mit vertiefter Loyalität zu verdanken wussten. Vor allem die Fangemeinschaft in Deutschland rückte noch enger zusammen in der Überzeugung, ihr Idol werde von Neidern und Medien, die für Außenseiterinnen und Exzentrikerinnen nur Verachtung übrig hätten, auf fieseste Weise verfolgt und in die Pfanne gehauen", sagt Künzler.
"Einfluss auf seine Karriere hatte es nicht"
"Dass die Aktion ziemlich unverantwortlich war, kann wohl nicht bestritten werden", macht Künzler klar. Doch er sagt: "Auf seine Karriere hatte sie keinerlei Einfluss." Mit dieser sei es aus anderen Gründen bergab gegangen: "Er war tief verschuldet, die Plattenfirma setzte ihn unter gewaltigen Druck, seine Schulden irgendwie zu begleichen."
Auch seine Musik konnte die Kritiker zu jener Zeit nicht überzeugen: 2001 war sein letztes Album "Invincible", so erklärt es Künzler, "zumindest in den englischsprachigen Ländern bei der Kritik genauso übel unter die Räder geraten wie zuvor das Remixalbum 'Blood on the Dancefloor'." Dieses erschien 1997. Mit der letzten großen Tournee 1996 konnte Jackson ebenfalls nicht überzeugen.
Der einstige King of Pop habe in dieser Phase ratlos dagestanden: "Das zeigt die Tatsache, dass er einwilligte, sich acht Monate lang von einer Filmcrew und dem Journalisten Martin Bashir begleiten zu lassen, der auch beim Adlon-Vorfall zugegen war."
Tatsächlich war Bashirs Dokumentation "Living with Michael Jackson" aus dem Jahr 2003 ein viel größerer Skandal: Michael Jackson gab darin zu, sich sein Bett mit Jungen zu teilen. "Das ist nicht sexuell, wir gehen einfach nur schlafen", beteuerte er damals. Und dennoch: Spätestens da kam es zum Fenstersturz von Michael Jacksons Karriere.
- Gespräch mit Jens Bergmann
- Gespräch mit Hanspeter Künzler
- eigene Recherchen