Namedropping Thees Uhlmann über Berlin, St. Pauli und den Rest
Berlin (dpa) - Thees Uhlmann hat eine Art Heimspiel: Der Sänger und Gitarrist gibt der Deutschen Presse-Agentur ein Video-Interview in der "Astra Stube Neukölln", der Berliner Fankneipe seines geliebten Fußballvereins FC St. Pauli. Ein Gespräch in Namedropping-Form zum neuen Uhlmann-Soloalbum "Junkies und Scientologen" (Veröffentlichung 20. September), das vor bekannten Namen nur so wimmelt.
FC St. Pauli...
"Es ist sehr schön, das Interview hier in der Berliner Fankneipe zu machen. Der FC St. Pauli bedeutet mir hier noch mehr, als wenn ich in Hamburg leben würde. Das ist Heimat, das ist Sehnsucht. Man verpasst in Berlin ja immer etwas, weil man die Spiele nur im Fernsehen verfolgen kann. Man windet sich, man ärgert sich - meine Tochter hat mich mal gefragt: Papa, warum hast Du kein Hobby, das Dich glücklich macht? Also ja, als Fan kann ich mir keinen besseren Ort für ein Interview vorstellen. Brandenburger Tor kann jeder. "Astra Stube Neukölln" - das passt für mich."
Berlin...
"Ich glaube, ich bin zu schwach für Berlin, ich bin zu klein für Berlin, ich bin nicht hart genug für Berlin. Aber aus dem Vermissen von Norddeutschland, dem Bedürfnis nach mehr Ruhe und weniger Menschen, wird bei mir schon auch Kreativität freigesetzt. "Noch 2000 Mal schlafen, noch sieben Jahre Berlin", heißt es in einem meiner Lieder, verknüpft mit der - hoffentlich! - Abiturfeier meiner Tochter. Ja, ich freue mich schon darauf, auch wieder abhauen zu können."
"Ich habe ja seine Autobiografie einlesen dürfen. Da war ich mit ihm auf der Frankfurter Buchmesse, kurz vor der US-Wahl 2016, und er hat gesagt: Trump wird nie gewählt, macht Euch keine Sorgen. Da war ich beruhigt - und hinterher so enttäuscht. Nein, Springsteen ist mit dem, was er musikalisch und textlich macht, für mich ganz oben mit dabei. Ich finde es auch toll, dass er jetzt so alt ist und immer noch so großartige Lieder macht. Er ist so eine Stimme der Vernunft im Irrsinn. Einer von denen, die versuchen, die Gesellschaft zusammenhalten."
Stephen King...
"Er ist zunächst mal ein Dorf-Held. Wie man diese Bücher damals auf dem Dorf gelesen hat... Also, mein Leben hat er verändert, und von mir gibt's Milliarden. Irgendwann dachte ich mir: Wo bleibt eigentlich dieser verdammte Nobelpreis für Stephen King? Die besten drei Bücher von ihm werden die Zeiten überleben. Da stecken so viele schöne Gedanken drin - Liberalität, die Idee von Freundschaft. Freundschaft ist einer meiner höchsten Werte, und das hat sein Fundament in Kings "Stand By Me"."
Die Toten Hosen...
"Die müssten ja nichts mehr machen. Aber das sind halt keine Verpisser. Sie sagen auch weiterhin: Es darf in der Gesellschaft nicht so weit kommen, dass wir uns hassen. Ich rechne ihnen das hoch an und liebe sie dafür. Und über die kann ich auch was erzählen, das habe ich mit einem Buch versucht. Man kann die letzten 35 Jahre in Deutschland gut an den Toten Hosen entlang erzählen."
Hannover...
"Städte wie Bielefeld, Wolfsburg, Kassel und eben auch Hannover haben einen wahnsinnig schlechten Ruf. Aber wenn man da auftritt - dann ist das schön. Ich denke mir ja, die Leute in Hannover sagen einfach nicht weiter, dass man da so gut leben kann. Und die Scorpions aus Hannover, von denen ein Lied in "Stranger Things" gespielt wird - das hat mein Herz gewärmt, und dann habe ich über Hannover nochmal nachgedacht."
Avicii und Katy Perry...
"Irgendwann dachte ich: Wenn mich diese Leute interessieren, dann wird es auch aufgeschrieben. Und Avicii interessierte mich. Ich sehe den in der Tradition des großen skandinavischen Popsongs seit ABBA. Seinen Selbstmord fand ich dann so unfassbar traurig, gerade auch als Vater einer Tochter. Und Katy Perry - ja, die hören wir zuhause. Das ist vielleicht nichts fürs große Feuilleton - aber das war mir immer schon sch...egal."
Deutscher Hip-Hop...
"60, 70 oder 75 Prozent der Hip-Hop-Szene sind frauenfeindlich: Videos mit Leuten in Stripclubs, Frauen in Reizwäsche - die Darstellung der männlichen Geilheit. Ich finde das unfassbar peinlich, auch reaktionär. Und dann dachte ich mir: Irgendjemand muss ja diese armen Frauen nach den Drehs nach Hause fahren. Ich wollte da nicht rumprangern, aber darüber musste ein Song geschrieben werden. Wenn's dann einen Shitstorm der Szene gegen mich gibt: Das halte ich schon aus. Und es gibt ja auch andere: Casper, Marteria, Fettes Brot, K.I.Z."
Das Comeback-Lied...
""Fünf Jahre nicht gesungen" ist der erste Song meiner neuen Platte. Ich wollte es eigentlich drei Jahre früher hinbekommen. Ich habe zwischendurch ein Buch geschrieben und mehr als 100 Lesungen gemacht. Ich habe Lieder geschrieben, die ich aber selbst blöd fand. Ich habe mich für meine eigenen Texte geschämt. Es war also nicht das leere Blatt Papier wie bei einer Schreibblockade. Ich habe das dann vor mir zugegeben und bin noch mal tiefer in mich 'reingegangen. Dann hat es langsam angefangen zu klappen."
Die Motivation...
"Motiviert hat mich auch das Dreieck der Schande - Brexit, Trump und AfD, diese ganze neokonservative Revolution. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte so viel Wut darüber in mir und so viel Unverständnis. Deswegen dachte ich: Die Texte müssen härter und konkreter werden. Mehr Nachdenken, tiefere Gedanken - der Versuch, diesem ganzen Mist die Schönheit der Kunst entgegenzusetzen. Deshalb hat das so lange gedauert."
Die Erfolgsaussichten...
"Ich weiß, dass es in Deutschland und Österreich Leute gibt, die das mögen, was ich mache. Ich bin aber auch realistisch: Viele wissen gar nicht, dass ich "Fünf Jahre nicht gesungen" habe. Vielleicht ist Rockmusik ja tot. Wir haben auch keine Schauwerte zu bieten - keine nackten Frauen und keine Konfettikanone auf der Bühne. Aber unsere Fans wissen, dass sie von mir nicht verarscht werden."
ZUR PERSON: Thees Uhlmann (45), einst Frontmann der Deutschpop-Band Tomte, hat als Sänger, Songwriter und Schriftsteller auch solo großen Erfolg. "Junkies und Scientologen ist sein drittes Album seit 2011. Uhlmann stammt aus dem nördlichen Niedersachsen und lebt derzeit als Vater einer Tochter in Berlin.