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Andrea Petkovic im Interview: "Tennisspieler sind leider Egoisten"


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Andrea Petković
"Da hat sich eine Riesendebatte entwickelt"


Aktualisiert am 30.04.2024Lesedauer: 6 Min.
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Andrea Petković: Sie beendete im September 2022 ihre Tennis-Karriere. (Quelle: IMAGO/Julia Rahn/imago)
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Der Druck im Leistungssport Tennis ist hoch. Zu hoch? Ex-Spielerin Andrea Petković über Tarnung und Täuschung.

Ihre Tenniskarriere hat Andrea Petković vor fast zwei Jahren beendet. Von der Bildfläche verschwunden ist sie allerdings nicht. Ob in Spielerboxen, als On-Court-Interviewerin bei Turnieren oder als Expertin, neuerdings auch für den Pay-TV-Sender Sky, im Fernsehen: Die Darmstädterin ist ihrer großen sportlichen Leidenschaft treu geblieben.

Im Interview mit t-online spricht die 36-Jährige über die Krise im deutschen Damentennis, mentale Gesundheit und das Potenzial der Nummer eins.

Frau Petković, Sie sagten kürzlich: "Im Leistungssport geht es oft darum, Fassaden aufrechtzuerhalten". Wie viel im Tennis ist Fassade?

Andrea Petković: Tennis ist eine psychologische Sportart, bei der es dazugehört, eine gewisse Ausstrahlung mit auf den Platz zu nehmen, und zumindest so zu tun, als wüsste man, was passiert. Und als wäre man stark.

Warum diese Tarnung?

Im Leistungssport ist es total wichtig, eine Fassade der Stärke aufrechtzuerhalten. Und das geht mal besser, mal schlechter. Viel von dem Selbstbewusstsein, das man hat, hat damit zu tun, dass man sich wirklich stark fühlt. Aber dann gibt es auch Schwächephasen, in denen man sich nicht so gut fühlt, nicht so gut gespielt hat, nicht so viele Matches gewonnen hat.

Was zum Sport dazugehört …

Absolut, aber da wird es dann natürlich ein bisschen schwieriger, vor allem im Tennis. Ich glaube aber, dass Tennisspieler und Tennisspielerinnen ganz gut darin sind, eine Fassade aufrechtzuerhalten, sodass selbst die Kollegen und Kolleginnen in der Umkleide nichts mitbekommen.

Haben Sie auch mal vermutet: Da tut jemand nur so, als sei alles in Ordnung?

Es gab natürlich ein paar Situationen, bei denen man sich gedacht hat: Da ist vielleicht nicht alles in Ordnung.

Wie geht man mit so einer Situation um?

Deine Aufgabe auf dem Platz ist es, dich da irgendwie durchzubrechen und einen Fuß in die Tür zu bekommen. Ich merke aber auch, dass jetzt, da ich aufgehört habe, mir Spielerinnen und Spieler mal eher etwas anvertrauen, weil ich keine direkte Konkurrentin mehr bin. Und da merke ich dann, dass unter der Oberfläche mehr vor sich geht, als man wirklich mitbekommt – weil wir uns alle viel mehr um uns selbst drehen und nicht so sehr ein Auge auf die anderen werfen. Tennisspieler sind leider Egoisten.

Apropos Ego: Über Social Media können sich die Profis auch selbst inszenieren. Ist das von Vorteil?

Die sozialen Medien geben den Spielerinnen und Spielern die Möglichkeit, Narrative auch mal geradezurücken oder zu erklären, warum etwas nicht funktioniert hat, oder auch mal hinter die Fassade blicken zu lassen. Ich glaube, dass das sogar eher Positives bewirkt hat.

Zusätzlich gehören auch Mentaltrainer heute bei vielen Spielerinnen und Spielern zum Team, es wird offener über psychische Probleme und den Druck gesprochen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Eher positiv. Bei uns im Tennis ist das spätestens der Fall, seit Naomi Osaka nicht zu einer Pressekonferenz bei den French Open gekommen ist. Da hat sich eine Riesendebatte um mentale Gesundheit entwickelt.

Hat das etwas bewirkt?

Inzwischen ist es so, dass in den Umkleideräumen nicht nur Physiotherapeuten den Spielerinnen zur Verfügung stehen, sondern auch jemand, der im Bereich mentale Gesundheit arbeitet. Bei jedem Turnier kann man sich da an jemanden wenden. Es ist wichtig, auch mentale Gesundheit als Grund anführen zu können, warum man mal eine Auszeit nimmt.

Man hat es zuletzt bei Amanda Anisimova gesehen, ein junges Talent und eine super Spielerin. Die hat sich drei bis vier Monate Auszeit genommen, kam zurück und zog direkt in die vierte Runde bei den Australian Open ein.

Einer, der sich selbst unter Druck setzt, ist Alexander Zverev, der in seinem Drang, als erster Deutscher seit Boris Becker ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, manchmal etwas zu verkrampfen scheint. Macht er es sich selbst zu schwer?

Das glaube ich nicht. Es ist seine Stärke, dass er so ehrgeizig ist. Und genau deswegen hat er bereits so große Erfolge gefeiert. Genau deswegen ist er in der Top-5 der ATP-Weltrangliste in einer Zeit, wo es viele unglaublich gute Spieler gibt. Das ist eine unheimliche Leistung, und ich wiederhole es immer wieder: Er hat Diabetes eins. Gerade bei Best-of-Five Matches ist das ein unheimliches Hindernis, das er überwinden muss. Er geht damit sehr gut um. Aber es ist eine körperliche Herausforderung, die zusätzlich belastet.

Zverev spielt in der Weltspitze mit, bei den Frauen ist dort keine Deutsche in Sicht. Nicht erst seit Ihrem Rücktritt klafft im deutschen Frauentennis eine Qualitätslücke. Wem trauen Sie am ehesten zu, in die Top 20 der Welt vorstoßen zu können?

Angie Kerber ist zurück – und ihr traue ich immer alles zu. Einfach, weil ich weiß, was für eine gute Spielerin sie ist. Sie ist für mich eine der besten der letzten 15-16 Jahre, mit unglaublichen Erfolgen. Was man nie vergessen darf …

Ja?

Jemand wie Angie weiß, wie man große Matches gewinnt und wie man bei Grand Slams spielt. Und ich glaube, dass wir ein Auge auf sie haben müssen, vor allem in der Rasensaison. Das ist der Belag, auf dem sie am liebsten spielt. Wimbledon ist ihr Lieblingsturnier. Sie wird natürlich auch älter, wird sich immer weniger Turniere zumuten und punktuell auf Turniere setzen. Aber wie wir gesehen haben, kann das durchaus funktionieren. Vierte Runde in Indian Wells, einem der größten Turniere auf der Tour: Das war ein Riesenerfolg für sie.

Und ansonsten? Kann es deutsche Überraschungen geben?

Wir haben sehr viele Talente, die sehr gut spielen können, wie beispielsweise Jule Niemeier und Eva Lys. Jule musste sich nach einem tollen Jahr aktuell erst mal stabilisieren, aber ich glaube, dass sie wieder angreifen wird. Eva hat leider eine Autoimmunerkrankung, die das regelmäßige Trainieren und Turniere-spielen unheimlich erschwert. Sie hat gezeigt, dass es geht und dass man damit leben und auch Leistungssport machen kann. Vom Talent her und vom Können sehe ich beide Spielerinnen in naher Zukunft und mittelfristig die Top 20 anstreben.

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Wer kommt danach?

Mir fallen da Nastasja Schunk, Ella Seidel und Noma Noha Akugue ein, die alle drei schon ihre Erfolge gefeiert haben. Nastasja hat schon an den Top 100 gekratzt, kurz bevor sie sich an der Schulter verletzt hat und operiert werden musste. Ella hat zuletzt sehr gut gespielt, sich in die Top 160 der Welt gespielt. Und Noma hat sich bei ihrem allerersten WTA-Turnier direkt ins Finale gespielt. Man sieht immer wieder das Aufblitzen des großen Talents, aber sie brauchen noch ein bisschen. Alle drei sind normal zur Schule gegangen, nicht wie andere, die früh mit der Schule aufhörten und sich nur auf Tennis konzentrieren konnten.

Im Februar ist Barbara Rittner als Bundestrainerin zurückgetreten. Wie sehen Sie die Auswirkungen für den Deutschen Tennis Bund?

Mit ihrem Abgang ist eine sehr große kulturelle Wissenslücke entstanden. Barbara ist die einzige Frau, die ich kenne, die jedes einzelne Talent oder jedes einzelne junge Mädchen in Deutschland kennt und weiß, wer Potenzial hat. Sie kennt nicht nur den Namen, sondern auch die Eltern und die Coaches sowie die Trainingsumstände, also ob jemand noch zur Schule geht oder nicht. Das alles ist Wissen, das dem Verband verloren gegangen ist. Es heißt zwar nicht, dass es nicht ersetzt werden kann, aber es wird lange Zeit dauern. Das ist für den DTB sehr schade.

Ganz weit oben im Damentennis ist indes die Polin Iga Świątek aktuell das Maß aller Dinge im Frauentennis, insbesondere auf Sand. Trauen Sie ihr zu, den Heldinnen-Status einer Serena Williams oder Steffi Graf zu erreichen?

Es ist kein Geheimnis, dass ich sehr viel von Iga Świątek halte.

Was macht sie so stark?

Sie ist für mich eine der Spielerinnen, die den Willen und den Ehrgeiz haben, sich ständig zu verbessern, obwohl sie bereits die Nummer eins der Welt ist, obwohl sie bereits viele Grand Slams gewonnen hat. Viele würden sich darauf ausruhen, und bei ihr sieht man jede Woche wieder etwas Neues und ein neues Detail, das sie eingebracht hat. Momentan arbeitet sie an ihrem Aufschlag und versucht, da noch mehr rauszuholen. Aber es kommen immer mehr Spielerinnen, die nachrücken und versuchen, die Lücke kleiner zu machen.

Jelena Rybakina beendete jüngst Swiateks Siegesserie in Stuttgart …

Sie, aber auch Aryna Sabalenka oder Coco Gauff, sind nah dran. Iga ist auf die ganze Saison gesehen aber schon eine der konstantesten Spielerinnen. Natürlich verliert sie mal, aber bei ihren Niederlagen musste die Gegnerin vom ersten bis zum letzten Punkt ein perfektes Match spielen. Das ist ein unheimlicher mentaler Druck, wenn man gegen Iga auf den Platz kommt.

Klingt so, als würden Sie ihr noch viel mehr zutrauen.

Wenn Iga Świątek gesund bleibt, ist sie für mich das Nonplusultra im Damentennis in den nächsten zehn Jahren. An ihr werden sich alle messen und orientieren.

Pay-TV-Sender Sky berichtet im Mai vom kombinierten ATP- und WTA-Turnier täglich live aus Madrid auf Sky Sport Tennis, WOW und auf Sky Q.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Andrea Petkovic
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