Teamcheck Hamburger SV So wie der HSV polarisiert nur der FC Bayern
Von Jan Vogel
Ach, HSV. Wenn wir dich nicht hätten. Als der Hamburger Sportverein in der letzten Saison erneut dem ersten Abstieg aus der Bundesliga entgegen taumelte, als die Chaos-Hamburger mal wieder als Drama-Queen monatelang die Schlagzeilen beherrschten, als in der allerletzten Minute des Relegations-Rückspiels Marcelo Diaz alle Karlsruher und etliche Fußballfans mitten ins Herz traf, da wurde es wieder ganz deutlich: Zum Hamburger SV hat, so scheint es, jeder eine Meinung - ob positiv oder negativ. So polarisiert in Deutschland sonst nur der FC Bayern München. Doch was passiert nun, nach der Rettung? Es wird wieder gehofft im Volkspark. Und zwar zurecht.
1. Personelle Situation
Der HSV unterzieht sich in diesem Sommer personell einer radikalen Kur: Valon Behrami, Rafael van der Vaart, Slobodan Rajkovic, Marcell Jansen und sogar Kapitän Heiko Westermann sind weg. Knapp 13 Millionen Euro kamen an Ablösesummen zusammen, gut fünf Millionen Euro an Gehalt werden künftig eingespart. Abwehrtalent Jonathan Tah musste man zwar zähneknirschend gehen lassen, immerhin wurden aber aus Leverkusen bis zu zehn Millionen Euro überwiesen. Lasse Sobiech (FC St. Pauli) und Maximilian Beister (FSV Mainz 05) hingegen wurden verschenkt.
Mit Emir Spahic, zuletzt in Leverkusen wegen einer Schlägerei gefeuert, hat man einen nicht mehr ganz frischen Innenverteidiger geholt, der aber trotz seiner 34 Jahre neben enormer Erfahrung auch noch viel Qualität einbringen kann. Dazu kommen Außenverteidiger Gotoku Sakai (VfB Stuttgart), Mittelfeldmann Albin Ekdal (Cagliari Calcio), Stürmer Batuhan Altintas (Bursaspor) sowie der 21-jährige Rückkehrer Kerem Demirbay (Mittelfeld, 1. FC Kaiserslautern). Es ist also mal wieder ein personeller Umbruch an der Elbe im Gange. Die Vorbereitung lief allerdings nicht optimal. Etliche Spieler haben mit kleineren Blessuren zu kämpfen, Transfers zogen sich wie bei Ekdal oder aktuell Michael Gregoritsch (VfL Bochum) ewig hin. Labbadia fordert zudem schon länger einen Zehner.
2. Stärken und Schwächen
Die eigenen Stärken konnten die Hamburger in der letzten Saison, sagen wir mal, über weite Strecken gut kaschieren. Die Defensive agierte zu hölzern, die Offensive völlig ohne Torgefahr. Vorne schwach und hinten noch schwächer also. Das muss sich ändern. Im Tor ist René Adler immerhin wieder ein starker Rückhalt. Zentral in der Viererkette dürften Spahic und Johan Djourou gesetzt sein. Auch wenn es beiden etwas an Schnelligkeit fehlt, dürfte die Verteidigung in der neuen Saison sicherer stehen. Das hängt auch damit zusammen, dass mit Van der Vaart ein Spieler ging, der es mit der Defensivarbeit nie so genau nahm und seine Hinterleute so in stete Bedrängnis brachte. Mit Ekdal und Gojko Kacar, eigentlich schon aussortiert gewesen aber im Endspurt mit guten Leistungen, wird sich das verbessern.
Ganz vorn hofft der HSV, dass Pierre-Michel Lasogga nicht nochmal eine Seuchensaison (katastrophale vier Tore) wie die letzte erlebt. Sollten Gregoritsch und Berggreen noch kommen, besitzt Labbadia zudem mehr Möglichkeiten abseits der bereits vorhandenen Alternativen Artjoms Rudnevs und Ivica Olic. Allerdings fehlt dem Team ein Kreativspieler.
3. Der Trainer
Die zunächst von manchen belächelte Verpflichtung Labbadias entpuppte sich bislang als guter Griff. Boss Dietmar Beiersdorfer und sein Wunschtrainer sind alte Kumpels, Disharmonien sind vorerst nicht zu erwarten. Der Rückhalt für Labbadia ist gerade nach der gelungenen Rettung groß, viel größer als bei seinen Vorgängern Mirko Slomka und Joe Zinnbauer.
Ein Vorteil ist auch, dass der Coach den Klub spätestens seit seines ersten Engagements 2009/10 mit all seinen Macken und Eigenheiten kennt. Angst vor großen Namen - auch wenn davon nicht mehr viele übrig sind - hat Labbadia nicht. Der 49-Jährige wirkt entschlossen und gereift. Und zu verlieren hat er angesichts der Reihe von HSV-Tiefpunkten der letzten Jahre ohnehin nichts.
4. Die Prognose
Schlechter als im letzten und vorletzten Jahr kann es doch eigentlich nicht laufen. Eigentlich. Aber das dachten die Hamburger im letzten Jahr schließlich auch schon, und es kam noch schlimmer. Aber: Es gibt immerhin Grund, vorsichtig optimistisch zu sein. Die Abgänge sind sportlich praktisch kein Verlust, der gezwungenermaßen verschlankte Kader wirkt homogener. Durch den Titelgewinn beim Telekom Cup holte man sich vor Saisonbeginn Selbstvertrauen.
Aktuell ist der HSV aber mitnichten bereit für die neue Saison: "Wir sind noch lange, lange, lange, lange, lange, lange nicht so weit", wurde Labbadia gegenüber dem "Abendblatt" deutlich. Das dürfte sich aber legen. Sind alle an Bord, kann der Bundesliga-Dino eine bessere Rolle spielen als in den letzten beiden Jahren. Es reicht für das gesicherte Mittelfeld, mit der Abstiegszone wird der HSV - ausnahmsweise - nichts zu tun haben.