Sport Der Fan-Europameister steht schon fest

Aus Danzig berichtet Sebastian Schlichting
85 Minuten lang waren die Spanier Chef im Stadion von Danzig. Sie machten, was sie wollten mit dem hoffnungslos unterlegenen Gegner und führten 4:0. Doch der fabulöse Schlussakt gehörte den irischen Fans. Wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte, in diesen Gänsehaut-Minuten wurde er erbracht: Irland hat die besten Fans des Turniers.
Erst waren es einige wenige, die die in Irland oft bei großen Sportereignissen gesungene Ballade "The Fields of Athenry" anstimmten. Doch es dauerte nur Sekunden, bis der Chor aus 20.000 Kehlen inbrünstig mitschmetterte. Wohl gemerkt, es stand 0:4, Irlands EM-Aus war besiegelt.
Einsam auf den Feldern von Athenry aber vereint im Stadion
Sie sangen von den Feldern der kleinen Stadt Athenry, die Mitte des 19. Jahrhunderts von einer Hungersnot heimgesucht wurde. Sie sangen von Michael, der anfing zu stehlen, um seine Familie zu retten und dafür in ein Gefängnis in Australien kam. Wehmut, Stolz, Sehnsucht, Heimat – all das findet sich in den bewegenden Zeilen des Liedes von Pete St. John, übersetzt etwa: "Tief liegen die Felder von Athenry…es ist so einsam auf den Feldern von Athenry".
Die meisten spanischen Fans und neutralen Zuschauer dürften den Text nicht genau verstanden haben. Doch sie beobachteten wie auch mehrere Fernseh-Kommentatoren den magischen EM-Moment andächtig schweigend. Wenn die Spieler vorzeitig gegangen wären, hätte es wohl kaum jemand bemerkt.
Spaniens Trainer lobt irische Fans
Die Minuten gehörten den Fans, Michael und Athenry. "Die irischen Fans waren großartig", sagt Spaniens Trainer Vincente del Bosque später. Die spanischen Anhänger verabschiedeten sich klatschend und mit erhobenem Daumen vom Chor in grün, weiß und orange.
Irlands Fans feiern zwar feucht-fröhlich aber friedlich
Wer am Ende Europameister wird, muss sich zeigen. Auf jeden Fall zu den Siegern zählen schon jetzt Posen und Danzig, vor allem deren Gastwirte. Denn die Iren können nicht nur singen, sie sind auch an den Zapfhähnen stets vorn und ausdauernd dabei. Die Gastronomen werden einen hübschen Anteil des Umsatzes eines normalen Sommers bereits im Kasten haben. Und dabei müssen sie sich keine größeren Sorgen um ihre Einrichtung machen. Anders als die englischen Fans haben die Iren den Ruf, in der Fremde zwar auch feucht-fröhlich, aber immer friedlich zu gastieren. Wer ausschert, wird von der Gruppe schnell wieder zur Räson gebracht.
Einige von ihnen haben es in den letzten Tagen sogar zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Eine kleine Gruppe von Fans ließ sich vor dem Abflug in Irland mit einem großen Banner fotografieren: "Angela Merkel thinks, we`re at work" (Angela Merkel denkt, wir sind bei der Arbeit). Eine als kleiner Gag gedachte Anspielung auf die Wirtschaftskrise im Land, die sich in Windeseile im Internet verbreitete und es in mehrere Zeitungen schaffte.
Tanzen, singen und auf Laternen klettern
In Posen und Danzig ist die spezielle Feier-Kolonie – die tanzt, singt, trinkt und gern auf Laternen klettert – auch für Menschen, die an sich nichts mit Fußball zu tun haben, eine Attraktion. Als zum Kroatien-Spiel eine 50-köpfige Gruppe am Hauptbahnhof in Posen ankam, blieben sofort Passanten stehen, zückten ihre Mobiltelefone und filmten amüsiert das Geschehen. Männer zwischen 20 und 40, mit gut geölten Stimmbändern, machten die Haupthalle zu ihrer Bühne, gaben "Come on you Boys in Green" zum Besten und feuerten einen der ihren an, der sich seiner Kleider für einen kurz Strip komplett entledigte.
Ein Mal noch laufen die Boys in Green bei dieser EM auf, am Montag in Posen zur Abschiedsvorstellung gegen Italien. Danach beginnt die heiße Phase des Turniers. Mit den besten Mannschaften, aber ohne die besten Fans. Doch eines wird bleiben: Die Erinnerung an den großartigen Schlussakt von Danzig. An Michael und die einsamen Felder von Athenry.