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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Fall Mario Götze Auf einmal ist alles anders
Mario Götze zählt zu den bekanntesten deutschen Fußballern. Oft wurde er hart kritisiert. Dann verschwand er von der Bildfläche. Nun entpuppt sich genau dieser Schritt als weise Entscheidung.
Wie schnell sich das Blatt doch wenden kann.
"Der brutale Fall des Weltmeisters". "Götze passt nicht mehr". "Der BVB will Götze das Gehalt kürzen".
So lauteten die Schlagzeilen vor knapp einem Jahr.
Und jetzt?
"Die Götze-Show". "Gala von Götze". "Götze von Fans mit Sprechchören gefeiert". "Ma-ri-o Gööötze lalalala".
Alles ist anders.
Der Rückschritt entpuppt sich als weise Entscheidung
Denn was viele ihm zunächst als Rückschritt auslegten, entpuppte sich längst als weise Entscheidung. Mario Götze spielt seit Oktober 2020 für die PSV Eindhoven in den Niederlanden – und trumpft dort groß auf. Besonders in den vergangenen Wochen. Mit seiner Mannschaft kämpft er aktuell um die Qualifikation für die Champions League, erzielte in den drei bisherigen Partien drei Tore. Das letzte am vergangenen Dienstagabend gegen den FC Midtjylland (3:0; Anm. d. Red.).
"Ich fühle mich gerade sehr gut und fit", sagt Götze zu t-online. "Wir haben das Trainingslager erfolgreich abgeschlossen, und ich freue mich richtig auf die kommende Saison. Ich fühle mich privat und sportlich sehr wohl und bin glücklich und zufrieden. Ich lebe im Hier und Jetzt. Das ist wichtig."
Und tatsächlich: Der Familienvater wirkt so fit wie lange nicht mehr. Strahlt auf fast jedem Foto, welches er in den sozialen Medien teilt.
Rio de Janeiro, 13. Juli, 113. Minute
Zu oft hatte man in den vergangenen Jahren das Gefühl, dass ihn die größte Szene seiner fußballerischen Karriere belastete.
Worum es geht? Das dürfte fast allen Deutschen klar sein.
Rio de Janeiro. 13. Juli 2014. Götze läuft in der 113. Minute in den argentinischen Strafraum und versenkt die Flanke von André Schürrle ins gegnerische Tor. Deutschland gewinnt mit 1:0 und ist Weltmeister. Der damals 22-jährige Götze zählt auf einmal zu den bekanntesten Fußballern des Planeten.
Er wird in der Folge von vielen auf diesen einen Moment reduziert. Dabei ist Götze viel mehr als das.
In 231 Bundesliga-Partien erzielte der inzwischen 29-Jährige 57 Tore, legte 61 weitere Treffer auf. Er wechselte vom BVB zu den Bayern und wieder zurück. Er ist nicht nur Weltmeister, sondern auch fünffacher Deutscher Meister und vierfacher DFB-Pokalsieger. Götze ist verheiratet, hat einen Sohn, zwei Brüder.
Doch wenn der Edeltechniker und Offensivspieler nach 2014 in der Bundesliga nicht so spielte, wie man es von einem WM-Finalhelden erwartet, war die Kritik groß.
Und nicht nur das: 2017 machte er seine Stoffwechselerkrankung öffentlich, durch die er damals fast ein halbes Jahr ausfiel. Es folgten viele weitere kleinere und größere Verletzungen.
Dann folgte der Wechsel
In den Niederlanden hingegen lebt er sich sportlich aus. Für die PSV Eindhoven steuerte er bereits in der vergangenen Saison 11 Assists in 18 Partien bei. Eine Topquote.
Der Schritt raus aus dem deutschen Trubel war ganz offensichtlich der richtige. Er löste sich. Noch früher als das Kapitel Bundesliga ließ er die Nationalmannschaft hinter sich. Seine letzte DFB-Partie absolvierte er im November 2017 (gegen Frankreich).
Und trotzdem beobachtet er die Bundesliga und die sportlichen Leistungen seiner ehemaligen DFB-Kollegen noch ganz genau – wie beispielsweise die von Toni Kroos, mit dem er 2014 zusammen Weltmeister wurde. Kroos war auch 2021 Teil der Nationalmannschaft, die bei der EM im Achtelfinale an England scheiterte. Die Kritik an Kroos, der anschließend seine Karriere als Nationalspieler beendete, versteht Götze nicht. "Ich finde die Art und Weise ein bisschen übertrieben, wie mit Toni Kroos umgegangen wird."
Er erklärt: "Ich persönlich denke, dass Toni Kroos ein großer internationaler Fußballspieler ist, das hat er über Jahre gezeigt. Er hat bewiesen, dass er eine ungeheure Qualität auf den Platz bringt. Vergessen wir nicht all die Titel, die er im Laufe seiner Karriere gewonnen hat. Das sucht seinesgleichen, vor allem in Deutschland." Götze spielte mit Kroos ein Jahr beim FC Bayern und sieben Jahre in der Nationalmannschaft zusammen. Die beiden kennen sich gut.
- "Querpass-Toni": Die Kroos-Häme basiert auf Ahnungslosigkeit
Und auch zu einem weiteren Nationalmannschafts-Thema bezieht Götze, der die verkorkste EM natürlich verfolgt hat, klar Stellung: "Ich denke nicht, dass ein Mittelstürmerproblem das Problem des DFB-Teams ist."
"Ein Klose kann nichts schaden"
Gerade nach dem letzten Turnier wurde dieses Thema in Deutschland fleißig diskutiert. t-online-Kolumnist Stefan Effenberg resümierte: "In meinen Augen kann die Lehre aus diesem Turnier nur sein, dass wir im deutschen Fußball über Mittelstürmer reden müssen." Ex-DFB-Angreifer Mario Gomez pflichtete ihm bei: "Wir müssen im Sturm wieder einen Killer entwickeln." DFB-Direktor Oliver Bierhoff gab zu, dass in der Ausbildung in den letzten Jahren gerne Mario-Götze-Typen gefördert wurden. Also Spieler, die vor allem mit Technik und Raffinesse brillierten, aber nicht unbedingt für ihre Kaltschnäuzigkeit vor dem gegnerischen Tor bekannt sind.
Götze, der selbst unter Bundestrainer Joachim Löw häufig als Stürmer eingesetzt wurde, sieht es anders. "Wenn man sich Barcelona früher ansieht, für die Messi als falsche Neun gespielt hat, oder wenn man Liverpool sieht, die die Champions League mit Roberto Firmino gewonnen haben, der auch kein klassischer Mittelstürmer ist, zeigt das doch, dass es immer Mittel und Wege gibt, die Systeme auch anders zu bespielen und zu interpretieren."
Es gibt Wichtigeres im Leben
Auch wenn er zugibt: "Es kann natürlich nichts schaden, diese Position mit einem Miroslav Klose oder Mario Gomez oder einem anderen Mittelstürmer zu besetzen. Das war in der Vergangenheit ja auch schon so und hat funktioniert."
Doch das alles sind Themen, mit denen sich Götze zwar beschäftigt, die aber ganz sicher nicht mehr zu den wichtigsten in seinem Leben zählen.
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Er konzentriert sich aktuell auf seinen Verein und natürlich auf seine kleine Familie. Außerdem stellt er sich beruflich wohl auch schon für die Zeit nach seiner aktiven Karriere als Fußballer auf.
Götze investiert bereits in Unternehmen – unter anderem in die Med-Tech-Firma "PlusDental", die unsichtbare Zahnschienen auf dem europäischen Markt vertreibt. "Mir bereitet es große Freude, die Zukunftsvisionen der Start-ups zu teilen, zu hinterfragen und zu analysieren", verrät er. "Es gibt großartige Ideen da draußen. Mir macht der unternehmerische Austausch mit den Gründern einen Riesenspaß."
Spaß.
Das ist wohl das richtige Wort, um das aktuelle Leben von Mario Götze zu umschreiben. Es wirkt so, als hätte er endlich wieder richtig Spaß an dem, was er macht.
Und das ist das Wichtigste.