Fußball-Revolution in Dänemark FC Midtjylland steht dank Statistik vor Meisterschaft
In dem Fürther Tim Sparv einen der besten defensiven Mittelfeldspieler Europas zu sehen, darauf wäre nicht einmal Sparv selbst gekommen. "Ich war selbst überrascht, dass ich auf dem Papier so gut bin", sagt der finnische Nationalspieler. Nur der dänische Erstligist FC Midtjylland sah im Juli 2014 etwas Besonderes in Sparv - und verpflichtete ihn für vergleichsweise läppische 300.000 Euro. Inzwischen gehört Sparv zu den herausragenden Profis der Superligaen - und ist eines der besten Beispiele für den Erfolg der revolutionären Ideen seines Klubs.
Der Verein aus Herning in Mitteljütland hat sich ganz einer Philosophie verschrieben, die an das vielfach kopierte Konzept des Baseball-Klubs Oakland Athletics um Manager Billy Beane erinnert. Während Beane seine Ideen, die das Buch Moneyball und dessen Verfilmung mit Hollywood-Star Brad Pitt berühmt machten, seit Kurzem beim niederländischen Erstligisten AZ Alkmaar in den Fußball importiert, ist der FCM schon einen großen Schritt weiter.
Der Mix aus Statistik, Mathematik und einem innovativen Scoutingsystem führt geradewegs zum ersten Titel der 16-jährigen Klubgeschichte. Die "Ulvene" (Wölfe) führen die dänische Liga nach 23 von 33 Spielen mit elf Punkten Vorsprung auf Serienmeister FC Kopenhagen an.
Multimillionär rettete den Klub
Dabei stand Midtjylland vor acht Monaten noch vor dem Ruin. Erst der Einstieg des Multi-Millionärs Matthew Benham, der 2012 schon seinen Herzensklub FC Brentford in England übernommen hatte, rettete den Verein. Benham hat sein Vermögen mit Sportwetten gemacht, indem er mittels mathematisch-statistischer Analysen Lücken in Buchmacher-Offerten fand. Der Brite ließ sich von Rasmus Ankersen für eine rund acht Millionen Euro schwere Investition gewinnen.
Ankersen, ein 31-jähriger Däne mit jungenhaftem Charme, war beim FCM auf dem Weg zum Profi, als ein Foul seine Karriere gleich beim Debüt beendete. Fortan schrieb er Bücher - darunter das in 40 Ländern erschienene "Gold Mine Effect" über Auffinden und Entwicklung von Sporttalenten - und arbeitete als Coach beim FCM.
Klubführung mittels statistischer Analyse
Benham und Ankersen fanden schnell heraus, dass sie derselben Grundidee anhingen. Ihre radikale These: Es ist möglich, einen Fußballklub auf der Basis statistischer Analyse zu führen - und dabei irrationale, subjektive und emotionale Entscheidungen durch wissenschaftliche Methodik zu ersetzen. "Wir können unsere Gegner nicht mit finanziellen Mitteln schlagen, also müssen wir schlauer sein als sie", sagte Ankersen der niederländischen Internetseite "De Correspondent". Als er und Benham ihr Konzept dem Klub im Sommer 2014 vorstellten, habe diesen "ein kleiner Schock" erfasst, berichtet er.
Die unangenehme Überraschung ist längst dem Glauben an das Projekt gewichen. Dessen Grundfrage lautete gemäß Ankersen: "Wie würde ein Fußballklub aussehen, wenn er keine Augen und Ohren hätte?" Wenn er sich nicht vom dem leiten ließe, was Menschen zu sehen und hören glauben - sondern von objektiv Messbarem.
Großer Wert wird auf Standards gelegt
Im Scouting setzt Midtjylland auf "Schlüsselleistungsindikatoren", wie Trainer Glen Riddersholm verrät. Wie die aussehen, will er nicht preisgeben. Am Beispiel Sparv wird klar, dass keine der für einen Mittelfeldmann gängigen Kriterien (Anzahl Balleroberungen, Zweikampfwerte) zugrunde gelegt wurde. Wie Sparv hätten alle auf Grundlage des Modells erworbenen Spieler eingeschlagen, betont Riddersholm. Auch, weil Midtjylland "Verhaltensprofile" der Profis anfertige und so die Eingewöhnungszeit verkürze.
Komplettiert wird das Konzept durch eine Spielanalyse mit "forensischer Genauigkeit", wie das Magazin "FIFA Weekly" schreibt. In Zusammenarbeit mit Datensammlern wie Smartodds oder Eye4Talent werden "Gefahrenzonen" auf dem Spielfeld ausgemacht, in denen Torerfolge wahrscheinlicher sind. Zudem legt Midtjylland großen Wert auf Standards - mit überwältigendem Erfolg: In Europa ist nur Atlético Madrid mit ruhenden Bällen erfolgreicher.
Der Verein will sich mittelfristig in Dänemarks Spitze etablieren und bis 2020 drei Mal an der Gruppenphase eines europäischen Pokalwettbewerbs teilgenommen haben. "Wir arbeiten an etwas Großem - und haben gerade erst angefangen", sagt Ankersen.