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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umbruch in Nationalelf Diese Spieler könnten das DFB-Team anführen
Jogi Löw hat den Umbruch in der deutschen Fußball-Nationalelf eingeleitet und drei Weltmeister aussortiert. Doch welcher der verbliebenen Spieler eignet sich perspektivisch als Anführer?
Mit seiner Kritik packte Matthias Sammer den deutschen Fußball bei der Ehre. Nach den Misserfolgen der deutschen Vereine und der Nationalmannschaft sagte er kürzlich "Eurosport": "Wir sollten einfach mal diskutieren: Was macht Gewinner aus und was macht aktuell den deutschen Fußball aus? Weil wir sind aktuell alles, aber keine Gewinner. (…) Ich glaube, dass uns andere Nationen in unserer Grundstärke überholt haben. Nicht nur fachlich-inhaltlich, sondern auch mit dem größeren Hunger und Willen."
Es ist ein harter Vorwurf: Den deutschen Spielern fehle die richtige Einstellung. Ausgerechnet in dieser Situation hat Bundestrainer Joachim Löw entschieden, in der Nationalmannschaft freiwillig auf Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller zu verzichten. Die drei zählen zu den erfolgreichsten deutschen Spielern der Geschichte.
Die große Frage lautet: Wer kann sie im DFB-Trikot ersetzen? Klar, vorübergehend geben Toni Kroos im Mittelfeld, Marco Reus im Angriff und Kapitän Manuel Neuer noch den Ton an. Doch in ihrem Schatten müssen die zukünftigen Anführer der Nationalmannschaft, die heute zwischen 23 und 26 Jahre alt sind, im Hinblick auf die WM 2022 schon jetzt Verantwortung übernehmen. Top-Kandidat dafür ist…
Joshua Kimmich (24).
"Mein Anspruch ist es, als Leistungsträger in die WM zu gehen": Diesen forschen Satz hatte Bayern Münchens Allrounder vor dem Turnier im letzten Jahr in Russland formuliert. Es folgten turbulente Monate für einen damals 23-Jährigen. WM-Aus in der Vorrunde, Wechsel ins Mittelfeld mit guten Leistungen, trotzdem Abstieg aus der höchsten Spielklasse der Nations League. Und im Klub erlebt Kimmich mit dem FC Bayern die schlechteste Saison seit Jahren.
Trotzdem ist der ständig stürmende Rechtsverteidiger (FC Bayern) beziehungsweise clevere Balleroberer (Nationalelf) unumstritten und wird nach wie vor als der zukünftige Kapitän der Nationalelf gesehen. Seinen Ehrgeiz zeigt er nicht nur auf dem Platz, sondern auch in den oft bissigen, aber auch humorvoll geführten Interviews nach dem Spiel. Kimmich will sich keine allzu kritischen Fragen gefallen lassen, stellt gern Gegenfragen und gibt den Reportern Kontra. In dieser Disziplin glänzte zuletzt auch…
Leon Goretzka (24).
"Wir sind in der Lage, in die Fußstapfen der Weltmeister zu treten", erklärte Goretzka selbstbewusst über sich und die Spieler seiner Altersklasse bei der Ankunft in Wolfsburg. Und weiter: "Die absolute Grundvoraussetzung, um Führungsspieler zu werden, ist auf dem Platz durch Leistung unantastbar zu werden. Dazu sehe ich mich in der Lage."
Schon als 17-Jähriger übernahm er im Abstiegskampf beim VfL Bochum Verantwortung, später dann auch im Schalker Vizemeister-Team der letzten Saison. Anders als viele seiner Nebenleute ist Goretzka ein geradliniger Spieler, der einfache Lösungen sucht und auch unter hohem gegnerischen Druck die Nerven bewahrt. Im Gegensatz zu beispielsweise Teamkollege Kimmich fehlt ihm noch die jahrelange Erfahrung auf höchstem Niveau. Doch seine Fähigkeiten prädestinieren ihn für eine künftige Führungsrolle.
Löw sagte über Goretzka und Kimmich: "Das sind klare Jungs mit klaren Vorstellungen, großem Ehrgeiz und eigenen Meinungen. Das sind gute Voraussetzungen, um Führungsspieler zu werden." Die hat auch…
Julian Draxler (25).
Seine bis heute besten Auftritte im Nationaltrikot absolvierte Draxler wohl 2017 im Rahmen des Confed Cups. Draxler, damals 23, wurde vom Bundestrainer zum Kapitän ernannt – und ging voran. Eine ähnliche Entwicklung ist in dieser Saison auch bei Paris Saint-Germain zu beobachten, wo sich Draxler unter Thomas Tuchel zum Stammspieler im zentralen Mittelfeld entwickelt hat. Die aktuellen Länderspiele verpasst er wegen eines Muskelfaserrisses.
Beide Beispiele zeigen: Draxler kann in verantwortungsvoller Position aufblühen und einem Team wichtige Impulse geben. Eine Qualität, die ihm hierzulande gerne abgesprochen wird, weil er an der großen Last in jungen Jahren bei Schalke und Wolfsburg scheiterte.
Im Interview mit t-online.de sagte er im vergangenen Oktober: "Ich übernehme gerne Verantwortung, wie ich es zum Beispiel als Kapitän beim Confed Cup getan habe. Aber Führungsspieler wirst du durch Leistung und den Respekt deiner Mitspieler – und nicht, weil du dich in diese Rolle reinredest." Löw schätzt den PSG-Star sehr, ob er aber mit seiner eher zurückhaltenden Art ein so dominanter Anführer werden kann wie beispielsweise der aussortierte Thomas Müller, bleibt offen. Ebenso wie die Frage nach dem neuen Abwehrchef:
Antonio Rüdiger (26), Matthias Ginter (25) – oder doch gleich Niklas Süle (23)?
Rüdiger und Ginter könnten unterschiedlicher nicht sein. Ohne Jérôme Boateng und Mats Hummels sind sie die beiden erfahrensten Verteidiger, Ginter stand 2014 sogar im WM-Kader und glänzt in dieser Saison als Abwehrchef und Aufbauspieler bei Borussia Mönchengladbach, Rüdiger hat sich zur Stammkraft beim FC Chelsea entwickelt und ist einer der besten Innenverteidiger der Premier League.
Neben dem Platz ist Rüdiger als Spaßvogel bei seinen Mitspielern sehr beliebt. Das gilt allerdings auch für den zuverlässigen und verantwortungsbewussten Ginter, der die ihm zugewiesenen Aufgaben auf dem Platz meist tadellos umsetzt.
Aber: Beide sind weder fußballerisch so dominante Aufbauspieler wie Hummels und Boateng, die das Spiel aus der Abwehr heraus ordnen können. Noch sind sie nach außen so lautstarke Anführer. Wenn das unterschiedliche Duo aber gut harmoniert, könnte genau darin zumindest kurzfristig ein Erfolgsrezept liegen.
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Eher in die Anführerrolle passt aber Bayerns Niklas Süle. Er ist zwar noch jünger und unerfahrener, sportlich aber schon jetzt der stärkste. Mittelfristig könnten Rüdiger und Ginter von Jonathan Tah, etatmäßiger Kapitän der U21-Nationalelf, oder auch Thilo Kehrer ohnehin wieder verdrängt werden. Möglicherweise steuert Bundestrainer Löw also auch auf eine Zeit ohne ganz klaren Abwehrchef, aber mit viel sportlichem Potenzial zu.
Der Bundestrainer sagte zur neuen Hierarchie in seinem Team: "Das wird sich entwickeln. Ich könnte einige Spieler aufzählen, die sich in die Rolle als Führungsspieler entwickeln können." Klar ist: Sportliche Ziele wie die EM-Quali darf dieser Entwicklungsprozess aber nicht gefährden.
- eigene Beobachtungen
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- mit Material der Nachrichtenagentur sid