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Zum journalistischen Leitbild von t-online.DFB-Star Draxler "Unter Tuchel ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen"
Nationalspieler Julian Draxler
Julian Draxler erlebte nach seiner Einwechslung beim 0:3 gegen die Niederlande einen rabenschwarzen Tag im Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Sowohl das 0:2 als auch das 0:3 seien seine Fehler gewesen, gestand der Mittelfeldspieler von Paris St. Germain. Die Pfiffe der Fans konnte er nachvollziehen: "Wenn du den Fans den Sommer versaust und jetzt das Wochenende in Holland, ist klar, dass irgendwann mal Unmut kommt."
Doch Draxler übte als einer der wenigen Spieler auch Kritik am Stil der Nationalelf, sagte: "Mir persönlich geht das zu langsam und ist zu berechenbar. So können wir nicht weitermachen." Zumindest neben dem Platz untermauerte er seinen Anspruch, in der Nationalelf vorangehen zu wollen und redete Klartext – so wie er es im Interview mit t-online.de und dem Sportbuzzer angekündigt hatte, das am Donnerstag vor dem Holland-Debakel in Berlin geführt worden ist.
t-online.de: Herr Draxler, die Nationalelf befindet sich gerade in einem kleinen Umbruch. Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle im Hinblick aufs nächste große Turnier, die EM 2020?
Julian Draxler (25): Ich bin dann fast 27 Jahre alt, ein gutes Fußballer-Alter, und will mit meiner Erfahrung wieder eine wichtige Rolle spielen.
Sie haben zuletzt häufiger betont, dass Sie eine wichtige Rolle spielen wollen, Verantwortung übernehmen. In den ersten beiden Pflichtspielen nach der WM standen Sie dennoch nicht in der Startelf. Wie ungeduldig sind Sie?
Ich bin schon realistisch: Meine Leistung bei der WM war nicht so, dass jetzt kein Weg an mir vorbeiführt. Aber ich bin mir meiner Qualitäten bewusst und will mich weiter empfehlen. Mein Ziel ist es, ein fester Bestandteil der ersten Elf zu werden.
Also keine Ungeduld?
Ich bin kein Lautsprecher, der so etwas nach außen herausposaunt und Forderungen stellt. Ich übernehme gerne Verantwortung, wie ich es zum Beispiel als Kapitän beim Confed Cup getan habe. Aber Führungsspieler wirst du durch Leistung und den Respekt deiner Mitspieler – und nicht, weil du dich in diese Rolle reinredest.
Nach der WM ist auf die einzelnen Spieler viel Kritik eingeprasselt. Wie fair fühlen Sie sich bewertet?
Ich behaupte, ich kann meine Leistung gemeinsam mit meinen Trainern realistisch einschätzen. Mal deckt sich das stärker mit der öffentlichen Meinung, mal weniger. Aber so ist das beim Fußball, es gibt ja auch unter Profis und Trainern viele verschiedene Sichtweisen auf diesen Sport, genauso bei Fans und Journalisten. Bei einem anderen Thema bin ich dagegen schon manchmal etwas überrascht.
Was meinen Sie?
Die Wahrnehmung meiner Einsatzzeiten in Paris. Wenn ich drei Spiele hintereinander in der Startelf stehe, vielleicht ein Tor schieße und wir gewinnen, wird das mitunter nicht so sehr aufgegriffen, wie wenn ich mal 90 Minuten auf der Bank sitze. Das beschäftigt mich schon etwas. Ich versuche, kontinuierlich mein Bestes zu geben und so häufig wie möglich in der Startelf zu stehen.
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Ihre Schilderung erinnert an Marc-André ter Stegen, der in seiner Anfangszeit beim FC Barcelona Ähnliches berichtet hat.
Ja, das war in gewisser Weise ähnlich. Er hat sich die Nummer eins mit Claudio Bravo geteilt und etwa die Hälfte der Spiele absolviert. Aber jedes Mal, wenn er zur Nationalelf kam, ging es um seine angeblich mangelnde Spielpraxis und, ob er nicht wechseln will. Mit Emre Can, der jetzt bei Juventus ist, habe ich mich auch neulich über dieses Phänomen unterhalten. Wir wissen nicht genau, woran es liegt.
Der Mannschaftsrat der Nationalelf ist noch nicht neu bestimmt worden, er soll aber wohl im Hinblick aufs nächste Turnier verjüngt werden. Wurden Sie als erfahrenster der jüngeren Spieler schon gefragt?
Nein, das haben wir noch gar nicht besprochen, aber ich würde mich nicht dagegen wehren. Wenn der Bundestrainer fünf oder sechs Leute beruft, ist es ja auch in den Klubs nicht mehr so, dass automatisch die Ältesten drinsitzen. Sondern es wird aus jedem Mannschaftsteil und jeder Altersgruppe einer dazugeholt, um alle Interessen zu repräsentieren.
Sie kämpfen um mehr Verantwortung, einen Stammplatz: Ist die aktuelle Saison mit jetzt 25 Jahren vielleicht die wichtigste Ihrer Karriere?
Ich bin auf jeden Fall nicht mehr der junge Spieler oder das Talent, sondern es geht ohne Ausreden um Leistung. Dessen bin ich mir bewusst. Aber ich glaube nicht, dass es das eine wichtigste Jahr in einer Fußballer-Karriere gibt, sondern dass es immer wieder Auf und Abs gibt, mit denen man umgehen muss.
Schauen wir auf das Spiel am Dienstag gegen Frankreich: Normalerweise ist Kylian Mbappé ihr Mitspieler bei Paris, nun ihr Gegner. Zuletzt erzielte er vier Tore in 13 Minuten. Wie kann man ihn stoppen?
Wenn er – wie in diesem spektakulären Spiel gegen Lyon (5:0) – den Platz zum Durchstarten hat, ist es nahezu unmöglich, ihn mit seinen gefühlt 300 PS wieder einzufangen. Zumal wir mit Neymar ja auch einen Spieler haben, der ihn überragend bedienen kann. Kylians größte Waffen sind die Geschwindigkeit und der Abschluss. Beide darf man ihn nicht nutzen lassen, indem man sehr kompakt verteidigt.
Im Hinspiel sind Sie gegen den amtierenden Weltmeister enorm defensiv aufgetreten und haben lange Zeit ein 0:0 gesichert. Wird das noch mal funktionieren?
Bei der WM wollten wir alles spielerisch lösen und mussten schmerzlich feststellen, dass es nicht so einfach ist, diesen komplett dominanten Fußball zu spielen. Gegen Frankreich kommt es auf den Mittelweg an: Man muss manchmal kompakter stehen, so wie Frankreich es bei der WM gemacht hat, aber gleichzeitig attraktiven Fußball nach vorne spielen, zum Beispiel über schnelle Konter.
Ein Geheimnis müssen Sie noch lüften: Warum lieben die Franzosen Ihren neuen Vereinstrainer bei Paris, Thomas Tuchel, derzeit so?
Das liegt sicher auch an den Ergebnissen und unserem historischen Startrekord mit neun Siegen in der Ligue 1. Zudem verbreitet er nach innen und außen eine gute Stimmung, lässt einen attraktiven Fußball spielen. Er hat klare Vorstellungen und vermittelt uns diese intern sehr genau. Nach der Niederlage gegen Liverpool (2:3) hat er uns sehr deutlich gesagt, woran es hapert. Auf dem Weg zum Erfolg ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen gewesen – aber auch deshalb macht er es sehr gut und hat das Team auf seiner Seite.