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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hoeneß gibt ihm recht Droht jetzt der Kimmich-Knall?
Die Debatte um die Zukunft von Joshua Kimmich beim FC Bayern spitzt sich nach dessen Klub-Kritik weiter zu. Uli Hoeneß gibt ihm recht.
Wie Joshua Kimmichs Zukunft beim FC Bayern aussehen wird, ist ungewiss. Wer Kimmich kennt, der weiß aber: Die Gedanken und der Fokus des Nationalspielers richten sich aktuell ausschließlich auf eine Sache – den erst am Dienstagabend feststehenden Gegner, auf den er mit der deutschen Nationalelf im Achtelfinale der Heim-EM treffen wird. Die möglichen Optionen dafür sind England, Dänemark, Serbien und Slowenien. Alles andere dürfte für ihn momentan keine Rolle spielen.
Nach dem emotionalen 1:1 gegen die Schweiz und dem mit dem Ausgleichstor in letzter Sekunde doch noch gesicherten Gruppensieg wurde Kimmich freilich trotzdem von Zukunftsfragen eingeholt, die weit über die Europameisterschaft im eigenen Land hinausgehen.
Befeuert hatte er diese in der vergangenen Woche selbst – mit brisanten Aussagen und Vorwürfen gegen die Verantwortlichen des FC Bayern. Die wurden in der ZDF-Doku "sportstudio reportage: Joshua Kimmich – Anführer und Antreiber" vergangene Woche veröffentlicht. Kimmich hatte darin in einem vor zwei Jahren geführten Interview beklagt, wie sein Klub damit umgegangen war, als er sich in der Corona-Pandemie einer Impfung verweigerte.
Kimmich-Kritik an Bayern: "Vertrauen kaputtgegangen"
Er habe sich "zu lange alleingelassen gefühlt", sei "enttäuscht und getroffen" davon, "wie der Verein reagiert hat", sagte der 29-Jährige damals. Und erzählte emotional, wie schwer die Zeit für ihn war, als er sich während der Corona-Pandemie nicht impfen lassen wollte und deshalb eine Debatte um seine Person entbrannte. Kimmich musste als ungeimpfte Person in Quarantäne und bekam deshalb zwischenzeitlich sogar sein Gehalt von den Bayern gestrichen. Schließlich ließ er sich dann doch impfen. Kimmich sprach von einem "kaputtgegangenem Vertrauensgefühl" zum Verein, das nicht "über ein, zwei Gespräche wieder aufgebaut werden" könne.
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Wie das wohl beim FC Bayern ankam? "Das weiß ich nicht", sagte Kimmich am Sonntagabend darauf angesprochen in der Mixed Zone der Frankfurter Arena. Er habe "noch kein Feedback" von den Bayern bekommen. Kimmich war darum bemüht, seine scharfe Kritik einzuordnen: "Generell ist es zwei, drei Jahre her, zu einer Zeit, wo natürlich auch andere Leute da die Verantwortung hatten." Er verwies darauf, dass es ja "das Besondere der Doku" sei, "dass es jetzt nicht gemacht wurde mit Aussagen, wie sie heute sind, sondern über die letzten Jahre".
Diese Kimmich-Sätze hallen bis heute nach
Auch wenn er dies vor zwei Jahren sagte, wirft das die Frage auf: Wie wirkt sich das zerstörte Vertrauensverhältnis auf Kimmichs Vertrag aus, der im Sommer 2025 ausläuft. Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte Kimmich in der vergangenen Woche: "Wir sind alle erwachsen. Es gibt jetzt neue Verantwortliche und eventuelle Missverständnisse können immer in einem persönlichen Gespräch geklärt werden. Deshalb bin ich in dieser Hinsicht auch relativ offen." Er denke nicht, dass er seine Identifikation mit dem Verein symbolisch zeigen müsse, so Kimmich. "Das sehen die Leute und die Funktionäre des Vereins jeden Tag. Und nur darauf komme es an."
Mit Ex-Vorstandschef Oliver Kahn und Ex-Sportvorstand Hasan Salihamidžić mussten die damaligen Hauptverantwortlichen den deutschen Rekordmeister am Ende der Saison 2022/23 wieder verlassen.
Auch Klubpatron Uli Hoeneß kam in der ZDF-Doku zu Wort. Das Erstaunliche: Hoeneß gab Kimmich mit seiner Kritik sogar recht. "Die Koordinaten des Vereins haben sich nicht gerade zum Vorteil entwickelt. Wir alle, die Spieler, die Führung, die Trainer müssen hart daran arbeiten, den FC Bayern wieder zu dem zu machen, was er mal war", sagte Hoeneß. Bis vor zwei, drei Jahren sei man "unangreifbar, eine Wagenburg" gewesen, mahnte der Ehrenpräsident. Damals sei nicht alles über die Medien verbreitet, sondern die Probleme seien am Tisch diskutiert worden. "Da hat man sich gefetzt und dann ging es wieder weiter. Das muss der FC Bayern wieder hinkriegen."
Auch im Verhältnis mit Eberl gibt es erste Risse
Kahn wurde durch Jan-Christian Dreesen, Salihamidžić durch Max Eberl ersetzt, mit Christoph Freund ein zusätzlicher Sportdirektor installiert. Also alles bereit für einen von allen Seiten unbelasteten Neuanfang? Nicht ganz. Denn auch im Verhältnis zwischen Kimmich und der neuen Führung gab es zuletzt Risse. Warum? Weil Eberl angesprochen auf Kimmichs vermeintliches Zögern in der Frage der Vertragsverlängerung Mitte April sagte: "Man könnte sich auch für den Verein committen (bekennen, Anm. d. Red.), für den man lange spielt." (Mehr dazu lesen Sie hier)
Zur Erinnerung: Ausgerechnet Eberls vermeintlich "fehlendes Commitment" hatte RB Leipzig Ende September als Grund für dessen Entlassung angegeben. Eberl sollte sich der Brisanz seiner Wortwahl eigentlich bewusst sein. Nach t-online-Informationen kamen seine Äußerungen alles andere als gut bei Kimmich an. Gleichzeitig hatte Eberl damals öffentlich ausgeplaudert, dass Kimmich zuerst wissen wollte, wer neuer Cheftrainer werde.
Der wurde mit Vincent Kompany mittlerweile gefunden – allerdings erst, nachdem sich Kimmich mit der Nationalelf bereits in der EM-Vorbereitung befunden hatte. Beim Poker um seine Vertragsverlängerung herrscht nach wie vor Stillstand. Für Kimmich, dessen nächster Vertrag der vielleicht wichtigste seiner Karriere sein wird, ist es entscheidend, in welcher Rolle ihn sein Trainer in der kommenden Saison sieht.
Opfert Bayern ihn jetzt?
Mit João Palhinha bemühen sich die Bayern dem Vernehmen nach allerdings ausgerechnet auf Kimmichs erklärter Wunschposition im zentralen Mittelfeld erneut um Verstärkung. (Mehr zu Bayerns 300-Millionen-Plan im Schatten der EM lesen Sie hier.)
Auch deshalb gibt es immer wieder Spekulationen, dass Kimmich ein Wechselkandidat und damit ein erstes prominentes Opfer des geplanten Umbruchs sein könnte. Mit geschätzt 20 Millionen Euro pro Jahr gehört Kimmich in München zu den absoluten Topverdienern. Nur noch in diesem Jahr könnte Bayern eine Ablösesumme für ihn erzielen. Im Sommer 2025 könnte Kimmich den Verein ablösefrei verlassen. Eine Vertragsverlängerung gilt momentan als das unwahrscheinlichste der möglichen Szenarien.
"Die Frage hängt nicht nur von mir ab", hatte Kimmich vor dem EM-Start zu seiner Zukunft gesagt. "Wie denkt der Verein? Was möchte der Verein?" Das seien zentrale Fragen für ihn. Generell sei die Situation für ihn aber auch nicht ungewiss, weil er noch einen laufenden Vertrag habe.
Kimmich kündigt Gespräche mit Bayern an
Darin ist das zehnte Vertragsjahr, in das er mit der nächsten Saison in München gehen würde, schon fixiert. Sofern Bayern auf eine schnelle Entscheidung hinwirken möchte, und möglicherweise sogar einen Verkauf des Nationalspielers erwägen sollte, liegt der Ball beim Verein – und nicht beim Spieler.
Kimmich fühlt sich mit seiner Frau und seinen vier Kindern, die alle in München geboren wurden, wohl. Die Familie hat gerade erst eine neue Villa in Grünwald bezogen. Mit einem möglichen Wechsel befasst sich Kimmich nach t-online-Informationen momentan nicht. Als mögliche Ziele kämen mit Manchester City, dem FC Liverpool, Real Madrid oder dem FC Barcelona ohnehin wohl nur wenige europäische Topklubs infrage.
Kimmich richtet seinen kompletten Fokus nun aber zunächst auf den größtmöglichen Erfolg bei der Heim-EM. "Danach wird bestimmt ein Gespräch stattfinden", sagte Kimmich: "Und da ist der FC Bayern bestimmt mein erster Ansprechpartner." In den Gesprächen steht auf vielen Ebenen viel auf dem Spiel. Im Kern aber vor allem eins: gegenseitiges Vertrauen. Ausgang offen.
- Eigene Recherche und Hintergrundgespräche
- Aussagen von Joshua Kimmich und Uli Hoeneß aus der ZDF-Doku: "sportstudio reportage: Joshua Kimmich – Anführer und Antreiber"
- Aussagen von Joshua Kimmich aus der Mixed Zone in Frankfurt am 23. Juni
- Aussagen von Max Eberl bei Sky am 11. April