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EM 2024: Chaos bei Türkei-Niederlage gegen Portugal


Chaos, Panik und Slapstick bei Türkei-Niederlage
Dann schrie eine Frau vor Angst


Aktualisiert am 23.06.2024Lesedauer: 6 Min.
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Frust und Enttäuschung: Für die Fans der Türkei war es über weite Strecken kein schöner Tag in Dortmund. (Quelle: Socrates Tassos/imago)

Das Spiel gegen Portugal sollte für die Türkei ein Tag zum Feiern sein. Am Ende wurde es besonders für die Fans einer zum Vergessen – aus mehreren Gründen.

Aus Dortmund berichtet William Laing

Eigentlich war schon am Samstagnachmittag alles angerichtet für ein einzigartiges Fußballfest in Dortmund. Die Türkei sollte am Abend im zweiten EM-Gruppenspiel auf Portugal treffen. Die Euphorie der Anhänger der Mannschaft von Trainer Vincenzo Montella war nach dem Auftaktsieg gegen Georgien (3:1) groß. Das war bereits am Nachmittag rund um den Dortmunder Hauptbahnhof zu spüren, als mit jedem ankommenden Zug Scharen an türkischen Fans aus den Hallen in Richtung Stadion strömten.

Pl.MannschaftSp.SUNToreDiff.Pkt.Form
1
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Portugal
32015:3+26
2
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Türkei
32015:506
3
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Georgien
31114:404
4
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Tschechien
30123:5-21

"Das wird ein sehr, sehr emotional geladenes Spiel", sagte ein junger türkischer Anhänger t-online noch am Hauptbahnhof in Dortmund. "Das wird sehr, sehr spannend für uns Türken, aber wir machen das Ding locker, easy. 3:0, 4:0." Auch ein anderer Fan hatte den gleichen Tipp: "3:0 nehmen wir Portugal auseinander", gab er sich optimistisch.

Und tatsächlich: Die Partie in der Arena, in der normalerweise Borussia Dortmund seine Heimspiele austrägt, endete mit 3:0. Jedoch hieß der Sieger am Ende nicht Türkei, sondern Portugal. Die Niederlage in der EM-Gruppe F war aus türkischer Sicht das negative i-Tüpfelchen auf einem Tag in Dortmund, der wohl nicht so schnell vergessen wird, obwohl er einer zum Vergessen war.

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Ein bizarres Bild während der Alarmstufe Rot

Los ging das ganze Desaster schon um kurz vor 15 Uhr, also drei Stunden vor Anpfiff der Partie. Da riegelte die Polizei nämlich auf einmal Teile des Dortmunder Hauptbahnhofs ab. Per Lautsprecher wurde verkündet: "Der Bahnhof ist zurzeit geschlossen." Keiner durfte mehr in die Empfangshalle. Der Zugverkehr wurde dadurch erheblich beeinträchtigt. Nur ab Gleis 8 fuhren die Bahnen, was aber zu diesem Zeitpunkt nicht massenwirksam verkündet wurde.

t-online fragte vor Ort direkt bei der Polizei nach, was der Grund für die Sperrung sei. Die Antwort: Man habe einen "nicht zuzuordnenden Gegenstand" entdeckt. Wie sich herausstellte, handelte es sich um einen herrenlosen Koffer in einem Drogeriemarkt. Es herrschte offenbar die Angst vor einer möglichen Bombe.

Alarmstufe Rot also. Der Bahnhofsvorplatz wurde geräumt, ein Absperrband entrollt. Die Frage, wann es denn weitergehen könne, konnte zunächst nicht beantwortet werden. Vielen Fans, die sich zu diesem Zeitpunkt noch im Zug auf dem Weg nach Dortmund befanden, drohte deshalb das Horrorszenario, möglicherweise zu spät zum Spiel zu kommen oder es sogar komplett zu verpassen.

Frontal betrachtet gab der Dortmunder Hauptbahnhof in diesen Minuten ein bizarres Bild ab. Denn während die Polizei mit einer Vielzahl an Einsatzkräften wie eine undurchdringliche Mauer vor dem Bahnhofsgebäude postiert stand und immer wieder Durchsagen abwechselnd auf Deutsch und auf Türkisch über den Vorplatz in Richtung Stadt hallten, hatten die vorbeifahrenden Autofahrer auf der angrenzenden Straße wohl nichts von der potenziellen Gefahrenlage mitbekommen. So fuhren im Sekundentakt wild hupende Fahrzeuge mit wehenden Türkei-Flaggen und jubelnden Insassen am Bahnhof vorbei – ein durchaus skurriler Kontrast.

Einlassstopp in der Fan Zone

Etwas mehr als eine Stunde nach Beginn der Abriegelung gab die Polizei dann endlich Entwarnung und dürfte damit wohl vor allem bei den zu diesem Zeitpunkt noch anreisenden Fans für kollektives Aufatmen gesorgt haben. Eine Polizeisprecherin erklärte t-online, die Entschärfer hätten den Gegenstand geröntgt. "In dem Gepäckstück haben sich persönliche Gegenstände der Person befunden", gab sie zu Protokoll.

Der Fußballabend schien für die Türkei und ihre Fans wieder gerettet. Erneut marschierten etliche von ihnen in Richtung Stadion. Diejenigen, die keine Tickets hatten, versuchten es mit der Fan Zone am Friedensplatz in der Dortmunder Innenstadt. Doch hier wartete rund eine Stunde vor Anpfiff die nächste böse Überraschung auf die Anhänger.

Denn: Auch in die Fan Zone durfte plötzlich niemand mehr rein. Der Grund war dieses Mal aber kein Bombenalarm. Vielmehr war der Friedensplatz einfach aufgrund der Vielzahl der türkischen Fans, die ihre Mannschaft beim Public Viewing nach vorn schreien wollten, komplett überlastet. Kleine Menschenmassen bildeten sich an den Absperrungen, an denen Ordner mit erhobenen Megaphonen per einheitlicher Durchsage die Situation erklärten und dabei in viele enttäuschte Gesichter blicken mussten.

Zwischen Panik und La-Ola-Wellen

Die Stadt Dortmund, sie wirkte an diesem Tag überfordert mit den Anforderungen eines Fußballspiels der Türkei bei der EM. Das organisatorische Versagen spiegelte sich aber am meisten im Zugverkehr Richtung Arena wider.

An der Station Stadtgarten, direkt am Friedensplatz, kam es kurz nach Einlassstopp in die Fan Zone zu einer Form der Überfüllung auf den Bahnsteigen, die an die Szenen aus Gelsenkirchen vor wenigen Tagen erinnerte. Damals mussten englische und serbische Fans bei der Abreise vom Stadion teilweise stundenlang auf ihre Züge warten und sich dann in die brechend vollen Waggons quetschen.

In Dortmund lief es nicht viel besser. Denn auch an der Station Stadtgarten waren die Bahnsteige voll mit Menschen. Züge Richtung Stadion fuhren aber nur in unregelmäßigen Abständen – und das, obwohl der Anpfiff weniger als eine Stunde entfernt lag. Zwischenzeitlich musste die Polizei auch die Station Stadtgarten oberhalb der Treppen blockieren, weil sonst wohl zu viele Menschen zu den Gleisen gestürmt wären.

Doch auch so ergaben sich unschöne Szenen. Als mal wieder eine Bahn einfuhr, bekam t-online mit, wie sich die Massen türkischer Fans Richtung Türen drängten. Dann schrie eine junge Frau vor Angst. Sie war mitten im Pulk der Anhänger, hatte wohl Panik, weil im Zug im Grunde kein Platz mehr war, von hinten die Menschen aber weiter in Richtung Tür drückten. Einer derjenigen, die es in den Zug geschafft hatten, drehte sich zu den drängenden Personen um, verdeutlichte ihnen, dass sich auch Kinder in der Bahn befinden würden. Wohl ein Appell, um die Gefahr des Hereindrängens zu verdeutlichen. Er zeigte glücklicherweise in diesem Moment Wirkung.

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Die Zeitanzeige für Bahnen, die das Stadion anfuhren, wollte derweil nicht runterlaufen. Teilweise korrigierte sie sich sogar nach oben. Viele türkische Fans kamen nicht vom Fleck. Der Anpfiff rückte immer näher, von oben stürmten neue Menschen Richtung Bahnsteig, weil die Polizei diese wieder passieren ließ. Ein einziges Chaos, bei dem die türkischen Anhänger zumindest ihre grundsätzlich gute Laune aufrechterhielten. Immer, wenn ein Zug an der Station Stadtgarten einfuhr, wurde er in diesen Minuten mit einer La-Ola-Welle begrüßt – ob er nun im Anschluss zum Stadion weiterzog oder nicht.

Die Slapstick-Einlage wird zum Stimmungskiller

In der Arena selbst schien man sich auch nicht vom ganzen Hin und Her vor der Partie beeinflussen zu lassen. Die Fans feuerten ihre Mannschaft von Beginn an mit einer Lautstärke an, dass Ohrenstöpsel an diesem Tag ein durchaus nützliches Hilfsmittel für jeden Anwesenden gewesen wären. Die ohrenbetäubende Atmosphäre war zugegebenermaßen nachvollziehbar. Im anderen Gruppenspiel hatten sich Georgien und Tschechien mit 1:1 getrennt. Das hieß: Sollte die Türkei Portugal schlagen, würde sie nach gerade einmal zwei Spielen direkt als Gruppenerster ins Achtelfinale der EM einziehen.

Die gute Stimmung erhielt nach etwas mehr als 20 Minuten dann aber einen ersten herben Dämpfer, als Portugals Bernardo Silva das 1:0 für die Iberer erzielte. Zudem führten die Entscheidungen des deutschen Schiedsrichters Felix Zwayer vermehrt zu Unmut bei den türkischen Fans, die ihre Mannschaft offenbar vom Referee benachteiligt sahen. Unüberhörbare Pfeifkonzerte waren die Folge, auch, als Zwayer den ersten Durchgang beendete.

Da war die Laune bei den Türken aber schon im Keller. Denn der wahre Stimmungskiller hatte sich bereits sieben Zeigerumdrehungen nach der Führung durch Bernardo Silva ereignet. Mit einer Slapstick-Einlage war es der Türkei gelungen, sich ein zweites Gegentor selbst einzuschenken und die eigenen Fans in ungläubiges Staunen zu versetzen.

Verteidiger Samet Akaydin hatte nach einem fehlgeschlagenen Angriff der Portugiesen den Ball zurück zu Torwart Altay Bayindir spielen wollen. Das Problem: Der Abwehrmann legte die Kugel an seinem Keeper vorbei und beförderte sie in Richtung Tor. Bayindir konnte nur hinterher hechten, schaffte es aber nicht mehr, den Ball vor der Linie abzufangen. Der K.-o.-Schlag für die Türken nach weniger als einer halben Stunde Spielzeit. In Durchgang zwei legte Portugal dann noch einmal nach und machte mit dem 3:0 durch Bruno Fernandes den Deckel auf die Partie drauf. Die türkischen Fans waren damit an diesem denkwürdigen Tag in Dortmund endgültig bedient.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Gespräche von vor Ort
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