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DFB-Pokal: Julian Nagelsmann im Portrait – "Hacki" und der Traum vom Pokal


Leid, Erfolg und ein alter Spitzname
Das Trainerleben von Julian Nagelsmann

  • Noah Platschko
Von Noah Platschko

Aktualisiert am 13.05.2021Lesedauer: 6 Min.
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Julian Nagelsmann: Der baldige Bayern-Coach steht vor seinem ersten großen Titel.Vergrößern des Bildes
Julian Nagelsmann: Der baldige Bayern-Coach steht vor seinem ersten großen Titel. (Quelle: Fotostand/imago-images-bilder)

Julian Nagelsmann wird mit seinen 33 Jahren einer der jüngsten Bayern-Trainer aller Zeiten. Doch zuvor steht sein erstes großes Finale an. Es wäre sein erster Titel in einer schon jetzt beeindruckenden Karriere.

Wir schreiben das Jahr 2034. Deutschland hat soeben das WM-Finale gegen England mit 2:1 für sich entschieden, Doppeltorschütze Youssoufa Moukoko rennt freudestrahlend über den Rasen des Stadio Olimpico in Rom – direkt in die Arme von Bundestrainer Julian Nagelsmann.

"Das war's", sagt ein überwältigter, erleichterter Nagelsmann im proppenvollen Pressekonferenzraum eine gute Stunde nach Abpfiff, die goldene Siegermedaille um den Hals. "Meine Mission ist erfüllt. Dieses Spiel soll mein letztes als DFB-Trainer gewesen sein – und mein letztes als Trainer überhaupt." Nach drei Champions League-Titeln mit Real Madrid und dem FC Bayern, diversen nationalen Meisterschaften und Pokalen sowie dem Gewinn des WM-Titels mit der Nationalmannschaft beendet Julian Nagelsmann seine Trainerkarriere, wenige Tage vor seinem 47. Geburtstag.

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Ja, so könnte sie enden. Die Karriere des jüngsten Bundesliga-Trainers aller Zeiten, der an diesem Donnerstag mit Leipzig gegen Dortmund um den Gewinn des DFB-Pokals kämpft. Es wäre ein Abgang auf dem Gipfel des Erfolgs. Der märchenhafte Schlussakkord einer steilen Karriere, die viele Jahre zuvor in Hoffenheim ihren Anfang nahm.

Im Frühjahr 2018 sitzt Julian Nagelsmann, zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre Trainer der TSG Hoffenheim, zum Interview in seinem Büro am Trainingsgelände von Zuzenhausen. "Ich habe in meinem Kopf, mit 45 oder 50 aufzuhören", erzählt er im Podcast "Phrasenmäher". "Ich habe die feste Überzeugung, das machen zu wollen und meiner Leidenschaft, den Bergen, dann auch beruflich näher zu kommen", so der Hobby-Mountainbiker, der seit März 2018 mit seiner Frau Verena verheiratet ist.

Nagelsmann hat einen klaren Plan. Sowohl von seiner Zeit nach, als auch seiner aktuellen Karriere, die ihn ab der kommenden Saison zu seinem Herzensklub Bayern München verschlägt. Bereits im Jahr 2017 hatte er von seinem Traum gesprochen, eines Tages den Rekordmeister zu trainieren. "Der FC Bayern würde mich vielleicht noch ein Stück glücklicher machen", hatte er damals im Interview mit "Eurosport" gesagt.

Schicksalsschlag macht Nagelsmann abrupt zum Bundesliga-Trainer

Vermutlich hätte es sich der Familienvater vor knapp fünf Jahren, als er im Februar 2016 sein Debüt als Bundesliga-Trainer gab, selbst nicht erträumt, bereits im Jahr 2021 das Zepter beim Rekordmeister übernehmen zu dürfen.

Dabei war es der Schicksalsschlag seines Vorgängers, der Nagelsmann (Trainervorbild Pep Guardiola) abrupt in das Haifischbecken Bundesliga katapultierte. Die mit 14 Punkten abgeschlagene TSG Hoffenheim hatte im Februar 2016 zuhause mit 0:2 gegen Darmstadt 98 verloren, der Abstand auf den ersten Nichtabstiegsplatz betrug nach dem 20. Spieltag satte sieben Zähler. Drei Tage später verkündete der damalige TSG-Coach Huub Stevens seinen Rücktritt. Herzrhythmusstörungen zwingen den "Knurrer von Kerkrade" dazu. Nagelsmann, der seit Oktober 2015 als Trainer für die neue Saison feststand, übernimmt vorzeitig – und führt sein Team am 33. Spieltag zum Klassenerhalt.

Es war der erste große Erfolg im Profifußball für den damals 28-Jährigen aus Landsberg am Lech (Bayern), dessen Profikarriere mit 20 Jahren ein jähes Ende fand. Eine Sprunggelenks-OP nach einem Meniskus- und Knorpelschaden kostete Nagelsmann nach eigenen Angaben zehn Monate seiner Karriere. "Einer meiner größten Fehler, die ich gemacht habe", sagt Nagelsmann später über den operativen Eingriff.

So endet sein Spielerdasein bereits im Jahr 2007 bei der zweiten Mannschaft des FC Augsburg. Nagelsmann, der zu diesem Zeitpunkt nichts mehr mit dem Fußball zu tun haben möchte, übernimmt die Rolle des Scouts und sichtet für den damaligen Chefcoach Thomas Tuchel die Gegner. "Ich hatte in Augsburg noch einen gültigen Vertrag. Auch deshalb kam Tuchel auf mich zu. Er meinte nicht: Du wirst jetzt Trainer. Es war vielmehr eine pragmatische Entscheidung."

Abbruch des BWL-Studiums und Bundesligaluft

In Nagelsmann, der zu dieser Zeit nicht nur seine C-Lizenz als Trainer in Oberhaching absolviert, sondern mit dem Suizid seines Vaters zudem einen privaten Schicksalsschlag verkraften muss, reift der Entschluss, Trainer zu werden. Über eine weitere Station beim TSV 1860 München landet der Bayern-Fan (langjähriger Lieblingsspieler Mehmet Scholl) als Co-Trainer bei der U17 der TSG Hoffenheim. Sein BWL-Studium hat er mittlerweile abgebrochen.

Nagelsmanns Talent ist sofort erkennbar. Als Co-Trainer unter Frank Kramer, Marco Kurz und Markus Gisdol schnuppert "Hacki", wie sein späteres Trainerteam in Hoffenheim ihn aufgrund seiner Vorliebe für Hackbraten nannte, bereits Bundesligaluft.

"Als ich nach Hoffenheim kam (Januar 2013, Anm. d. Red.) saß ich mit dem damaligen Manager Andreas Müller zusammen und habe die Zusammensetzung des Trainerteams diskutiert", erzählt Kurz, unter dem Nagelsmann bereits in der U23 bei 1860 als Spieler aktiv war, t-online. "Andreas hat mir Julian empfohlen. Meine Türen waren offen, da wir uns erstens schon kannten und er zweitens bereits da eine enorme fachliche Qualität besaß."

Nagelsmann schreibt mehrfach Geschichte

Im Sommer 2013 übernimmt Nagelsmann die U19 der TSG – und führt sie als jüngster Trainer der Geschichte mit 26 Jahren zur ersten A-Junioren-Meisterschaft überhaupt, ehe er keine zwei Jahre später die Verantwortung bei den Profis übernimmt.

Nach dem Kraftakt Klassenerhalt folgen die beiden erfolgreichsten Jahre in der Geschichte der TSG. Nagelsmann schafft es, die "Graue Maus" der Liga (zwischen 2010 und 2012 dreimal Platz 11) zu einem Spitzenteam zu formen.

"Ich bin stolz darauf, wie wir spielen: Dass wir nicht nur wie das Mäuschen vor der Schlange rumtänzeln, sondern auch selber mal die Schlange sein wollen", sagt er im Frühjahr 2017. Die TSG, die die komplette Hinserie ungeschlagen bleibt, überzeugt nicht nur mit ihren Ergebnissen, sondern auch fußballerisch.

Wagner: "Fußball wie ein Baukastensystem"

Nagelsmann avanciert zu einem der angesagtesten und spannendsten Trainer der Liga. Sein Spielstil besticht durch sich immer wieder verändernde taktische Formationen und Systeme während einer Partie.

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"Neu für mich war, dass er Fußball wie ein Baukastensystem anlegt. Er nimmt das an sich komplizierte Spiel, zerlegt es in unterschiedliche Passagen, übt sie und setzt sie nach und nach zusammen", erzählte Nagelsmanns damaliger Spieler und heutiger TV-Experte Sandro Wagner einst dem Magazin "11Freunde".

Mit berauschendem Spielstil führt Nagelsmann, dem die besten taktischen Ideen nach eigenen Angaben auf der Toilette kommen, Hoffenheim in der Saison 2016/2017 auf Platz vier, scheitert in der Champions-League-Qualifikation erst am späteren Finalisten FC Liverpool. Ein Jahr später kommt es am letzten Spieltag zum Showdown mit dem BVB. Durch den 3:1-Sieg im direkten Duell ziehen die Kraichgauer an der Borussia vorbei und beenden die Spielzeit auf einem sensationellen dritten Platz.

Vielleicht spürt Nagelsmann schon zu diesem Zeitpunkt, dass es Zeit wird, zu gehen. Noch vor Saisonbeginn gibt der Hopp-Klub Nagelsmanns Abschied zum Ende der Spielzeit 18/19 und den Wechsel nach Leipzig bekannt. Der Transfer zum von Red Bull finanzierten Reißbrettklub passt zum passionierten "Naturliebhaber und Actionsportfreak", wie er sich selbst bezeichnet. Es ist der nächste logische Karriereschritt.

Nach Platz drei in der Liga sowie dem Erreichen des Halbfinals in der Champions League im vergangenen Jahr, schnuppert Leipzig bis zum vergangenen Spieltag der aktuellen Saison am Gewinn der Meisterschaft. Diese will er nach zwei Jahren in Leipzig nun fortan regelmäßig mit dem FC Bayern feiern – am besten mit dem DFB-Pokal im Gepäck.

"Julian lebt im Hier und Jetzt. Gegen Dortmund wartet auf ihn eine Riesenaufgabe. Der Pokalgewinn wäre das i-Tüpfelchen auf einer sehr erfolgreichen Zeit in Leipzig. Als DFB-Pokalsieger würde er vom ersten Tag an in München nochmal anders begutachtet werden", befindet Kurz.

Einer, der Julian Nagelsmann seit Kindertagen kennt, ist Sebastian Schwenk. Der Kassierer und langjährige Trainer beim FC Issing, Nagelsmanns Heimatklub, ist sich sicher, dass "Julian mit seiner Spielidee und seinem offensiven Denken das in München hinbekommen wird. Hundertprozentig". Bis zur E-Jugend spielte Nagelsmann beim heutigen Kreisligisten, schaute immer mal wieder im Ort zu Spielen vorbei, erzählt Schwenk am Telefon.

Auch Trainer Kurz rechnet mit einer erfolgreichen Zeit in München: "Ich traue es ihm zu, weil er nachweislich ein Fachmann ist. Der langfristige Vertrag belegt ja das Vertrauen des Klubs in ihn. Der Druck ist enorm und der ein oder andere Spieler wird ihn sicher nochmal anders prüfen. Aber ich denke, dass er sich dessen Bewusst ist. Jule ist sehr reif und klar in seinen Ansichten. Ich drücke ihm die Daumen für den maximalen Erfolg."

Für den Naturmenschen Nagelsmann ist der Wechsel nach München auch eine Rückkehr in die Heimat. Eine Autostunde von München entfernt wohnt die Mutter in Nagelsmanns Geburtsstadt Landsberg am Lech, wo sie nach dem Tod des Vaters hinzog. "Landsberg ist ja nur 12 Kilometer von Issing entfernt, vielleicht kommt er uns das ein oder andere Mal besuchen", mutmaßt Schwenk. Nagelsmanns Vater liegt in Issing begraben. "Er schaut immer wieder, wenn es ihm erlaubt ist, vorbei und besucht mit seiner Mutter das Grab des Vaters. Da treffen wir uns ab und zu", erzählt Schwenk.

"Es gibt schon einige Momente in denen ich sehr traurig darüber bin, dass er nicht weiß, dass ich Fußballtrainer bin", spricht Nagelsmann über das Ableben seines Vaters. "Manchmal habe ich die Fantasie, dass er von oben ein hell erleuchtetes Stadion sieht und mitbekommt, wie ich mich über einen Sieg freue." Vielleicht bereits am Donnerstag im DFB-Pokal-Endspiel gegen Dortmund. Und vielleicht eines Tages auch beim WM-Finale.

Verwendete Quellen
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