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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Patrik Berger Mentalitätsproblem? "Dortmund ist zu gut dafür"
Der frühere Star von Borussia Dortmund und des FC Liverpool über die Stärken des BVB, einen Vergleich von Lucien Favre und Jürgen Klopp – und das ganz große Ziel der "Reds".
Uefa-Cup-Sieger, deutscher Meister, englischer Pokalsieger, Vize-Europameister 1996 – Patrik Berger zählte Ende der 90er Jahre zu den besten Fußballern der Welt. Der tschechische Mittelfeldspieler reifte bei Slavia Prag zum Top-Talent, war Teil der legendären Dortmunder Meistermannschaft der Saison 1995/96, traf im EM-Finale gegen Deutschland, wurde später beim FC Liverpool zur Klublegende (195 Spiele, 35 Tore von 1996-2003).
Wenn heute Abend seine beiden Ex-Klubs Slavia und Dortmund in Prag aufeinandertreffen (ab 18.55 Uhr im Live-Ticker bei t-online.de), dann wird Berger mit im Stadion unter den knapp 20.000 Zuschauern in der Sinobo Arena sein. "Ich werde mir das Spiel vor Ort anschauen," sagte Berger im Interview zu t-online.de. "Ich gehe nicht oft in Stadien, aber das Spiel muss ich sehen."
Hier spricht der frühere Weltklasse-Spieler über die Chancen des BVB in Prag, Parallen zwischen Lucien Favre und Jürgen Klopp, die Titelchancen der Dortmunder – und die neuen Ziele des FC Liverpool.
t-online.de: Mit Slavia Prag und Borussia Dortmund treffen heute gleich zwei Ihrer Ex-Teams aufeinander. Was erwarten Sie von der Partie?
Patrik Berger (45): Ich fange mal so an: In Slavias erstem Champions-League-Spiel…
… gab es ein starkes 1:1 bei Inter Mailand.
Genau. Wer hätte das denn erwartet? Und dann sind sie nur knapp am Sieg vorbeigeschrammt. Letztes Jahr ist Slavia fast bis ins Finale der Europa League gekommen (0:1, 3:4 im Viertelfinale gegen den späteren Sieger Chelsea, Anm. d. Red.), das Selbstvertrauen ist also da. Sie glauben fest daran, dass sie es mit jedem aufnehmen können. Ich erwarte, dass sie ein schwerer Gegner für Dortmund sein werden. Kurz nach der Auslosung waren sich ja alle sicher: Die Gruppe spielen Barcelona, Inter und Dortmund unter sich aus. Keiner hat etwas auf Slavia gegeben. Aber das kann ja auch anstacheln. Ich traue ihnen eine Überraschung in der Gruppe zu. Sie haben nichts zu verlieren.
Auch den BVB verfolgen Sie noch immer?
Natürlich. Ich habe zwar nur ein Jahr lang in Dortmund gespielt – aber das mit großartigen Teamkollegen, mit denen wir 1996 die Meisterschaft gewonnen haben. Ich fühle mich dem Verein noch verbunden und schaue ihnen gerne zu, besonders seit ein paar Jahren mit ihrem attraktiven Spielstil. Natürlich spielt auch Trainer Lucien Favre eine große Rolle dabei. Ich vergleiche das gerne mit Jürgen Klopp und Liverpool. Schon als Klopp noch bei Dortmund war, hat man ja seine Handschrift erkannt, diesen mitreißenden Fußball, der Spaß macht. Und genau das setzt er jetzt ja auch bei den "Reds" um, die sich jedes Jahr weiter verbessern.
Wie schätzen Sie die Dortmunder ein?
Sie hatten eine fantastische letzte Saison, waren lange an der Spitze. Am Ende hat es leider doch nicht gereicht, aber manchmal passiert das nun mal. Aber wissen Sie was? Dortmund ist zu gut, um nicht ständig um Titel mitzuspielen. Sie sind auch in diesem Jahr ganz klar Konkurrent Nummer eins für den FC Bayern.
Es war zuletzt viel von einem "Mentalitätsproblem" der Dortmunder die Rede…
Manchmal braucht es ja einfach auch nur dieses Quäntchen Glück, um am Ende zu gewinnen. Mal gibt es strittige Entscheidungen für dich, mal gibt es strittige Entscheidungen gegen dich. Es ist nur wichtig, sich davon nicht zu sehr beeinflussen zu lassen und wieder zurückzukommen. Dortmund weiß genau, dass sie nur so wenige Punkte wie möglich abgeben dürfen, denn mit jedem Punktverlust wird der Abstand zu den Bayern größer werden. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass Dortmund die Fähigkeit hat, Rückschläge wegzustecken und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Noch mal: Sie sind zu gut dafür.
Das ist durchaus eine Drucksituation.
Natürlich ist das auch ein echter Charaktertest. Oft wird erst in schwierigen Phasen deutlich, wer die Führungsspieler sind, wer Verantwortung übernimmt – und welchen Charakter die Mannschaft hat. Dann kann sie zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt ist.
Im Sommer sprachen die Dortmunder offen vom Ziel Meisterschaft.
Aber wenn man für Borussia Dortmund spielt, sollte man sich doch nicht mit Platz zwei zufriedengeben. Mir gefällt es, dass sie in diesem Jahr offener damit umgegangen sind und sich nicht so zurückgehalten haben. Vielleicht gibt es ja Vereine in der Bundesliga, die mit einem durchschnittlichen Ergebnis schon zufrieden wären, aber für einen BVB, der schon die Champions League und viele Meistertitel gewonnen hat, sollte doch immer die Spitze das Ziel sein. Es wird nicht leicht für den BVB. Aber Konkurrenz kann doch auch Positives bewirken. Konkurrenz macht dich stärker, weil sie dich zu neuen Höchstleistungen pusht.
Welcher BVB-Spieler bereitet Ihnen denn aktuell die größte Freude?
Natürlich ist Marco Reus ein hervorragender Spieler, seit vielen Jahren schon. Und das englische Wunderkind…
... Jadon Sancho.
Genau. Wie gut er schon ist und wieviel Potenzial noch in ihm steckt, das ist beeindruckend.
1995/96 kamen Sie in eine Mannschaft mit Spielern wie Andreas Möller, Matthias Sammer, Jürgen Kohler oder Stefan Reuter – wie vergleichen Sie den Kader von damals mit dem heutigen?
Ich bin ja kein Freund solcher Vergleiche. Das ist immer schwer.
Wo sehen Sie denn den größten Unterschied?
Nun, als ich damals zum BVB kam, war ich zusammen mit Lars Ricken einer der jüngsten Spieler, die meisten anderen waren schon um die 30 – und Weltmeister, Europameister, hatten in den großen Ligen gespielt. Das kann man ja bis auf wenige Ausnahmen nicht mit der heutigen Mannschaft vergleichen. Für mich war das in dem Alter natürlich eine Riesenerfahrung, tagtäglich mit solchen Größen zusammenzuspielen. Aber eine Parallele gibt es doch…
Ja?
Der aktuelle Kader ist ebenfalls unglaublich talentiert. Sie sind drauf und dran, den Meistertitel zu holen. Und vor allem: Es imponiert mir so sehr, was das Dortmunder Management leistet.
Inwiefern?
Sie gehen die ganz großen Ablösesummen nicht mit. Sie geben jungen Spielern eine Chance. So abgenutzt es auch klingt, aber: Es geht ja nicht nur ums Geld. Und Michael Zorc und sein Scouting-Team machen eine großartige Arbeit, was das Erspähen von Talenten angeht, die nicht jeder auf dem Schirm hat. Das ist ihre Philosophie.
Dafür ist Sancho ja das beste Beispiel.
Ja, und sie haben ja noch nicht mal viel Geld für ihn bezahlt. Brilliant. Sie wussten, dass er in der Premier League wohl kaum zu vielen Einsatzmöglichkeiten gekommen wäre, aber unbedingt spielen wollte. Diese Möglichkeit haben sie ihm gegeben, und er zahlt es ihnen zurück. Er ist die Zukunft des BVB. Und wenn er nun irgendwann einmal doch nach England zurückkehrt, dann wird er viel, viel Geld in Dortmunds Kassen spielen.
Die Bundesliga ist eine Option für Talente aus der Premier League?
Oh ja. Es gibt viele junge, hungrige Spieler in England, die in einer ähnlichen Situation sind wie Sancho damals, und deren Berater schauen sich natürlich um. Denn die Premier League bietet jungen Spielern kaum Chancen – bei den Unsummen, die in die Stars investiert werden, die dann natürlich auch immer spielen müssen. Also findet da natürlich ein Umdenken statt, wenn sie wissen, dass es woanders genau diese Möglichkeiten zur Entwicklung gibt.
Im Gegensatz zum BVB hat Ihr anderer Ex-Klub FC Liverpool im Moment so gar keine Probleme.
Was soll ich da schon sagen? (lacht) Sie haben aktuell einen Lauf, alle sieben Ligaspiele gewonnen, und sie haben im Juni die Champions League gewonnen. Es ist aktuell einfach eine perfekte Symbiose zwischen der Mannschaft und Trainer Jürgen Klopp, und für jeden Liverpool-Fan ist es eine großartige Zeit. Und besonders eine Veränderung macht die Mannschaft noch stärker.
Ja?
Vor zwei Jahren noch mussten sie – grob gesagt – in jeder Partie drei Tore schießen, um zu gewinnen, weil es in der Abwehr immer wieder mal hakte. Jetzt aber haben sie Alisson im Tor und van Dijk in der Verteidigung und wissen: Ein 1:0 ist auch mal möglich. Und genau dieses Wissen gibt ihnen ja noch mehr Sicherheit und Selbstvertrauen. Die Mannschaft ist viel besser ausbalanciert zwischen Defensive und Offensive.
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Nach dem Champions-League-Sieg in der letzten Saison – wie will die Mannschaft das toppen?
Ganz einfach: Mit der Meisterschaft (lacht). Das ist jetzt ihr großes Ziel. Letzte Saison war einmalig – mit ihrer Punkteausbeute (97, Anm. d. Red.) wären sie in fast jedem anderen Jahr Meister geworden. Aber ManCity hatte tatsächlich noch einen Zähler mehr. Das war unglaublich. Das wollen sie ausbügeln – und dazu kommt: Liverpool ist seit 30 Jahren nicht mehr Meister geworden, diese Durststrecke wollen sie endlich beenden.
Parallel zur Titelverteidigung in der Königsklasse?
Ja. Sie können dazu auch erneut die Champions League gewinnen. Denn sie haben ja schon im letzten Jahr bewiesen, dass sie die Doppelbelastung meistern können – und nun ist die Mannschaft auch noch um die Erfahrung eines Champions-League-Sieges reicher. Wenn alle Spieler fit bleiben, sie von Verletzungspech verschont bleiben und hin und wieder eben auch mal dieses bisschen Glück haben, dann ist alles möglich.