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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baustelle FC Bayern München Es bröckelt
Robert Lewandowski will unbedingt weg, Sportboss Hasan Salihamidzic steht in der Kritik und wird von den eigenen Fans ausgepfiffen. Der FC Bayern wirkt wie eine riesige Baustelle. Wohin führt der eingeschlagene Weg?
David Alaba, Niklas Süle und Robert Lewandowski hatten in München etwas gemeinsam: Sie gingen alle drei zum selben Friseur im Glockenbachviertel. Er ist einer der besten Freunde Alabas. In dem unscheinbaren Hinterhof liegt nebenan ein Klamottenladen. Die Gründer sind Kumpels von Bastian Schweinsteiger. Der Weltmeister, der wenige Straßen weiter am Gärtnerplatz wohnte und gerne über den Viktualienmarkt flanierte, stellte ihnen Lewandowski vor. Hier kam der Bundesliga-Torschützenkönige gerne her auf einen kleinen Plausch, während Alaba beim Italiener schräg gegenüber einen Espresso trank.
Abseits aller Touristen. Doch: Oberbayer Schweinsteiger ist in Fußballer-Rente. Alaba ist nicht mehr da. Süle plant seinen Umzug nach Dortmund. Dort, wo Mats Hummels, der gebürtige Münchner, bereits spielt. Und auch Lewandowski will weg. Es ist eine bayerische Zeitenwende, die den deutschen Bundesliga-Rekordmeister vollumfänglich ergriffen hat. Wohin soll das führen?
Sätze wie ein Donnerhall brachten diese knifflige Frage an die meist glattgebügelte Oberfläche. "Meine Geschichte beim FC Bayern ist vorbei. Nach allem, was in den letzten Monaten passiert ist, kann ich mir keine Zusammenarbeit mehr vorstellen", sagte Lewandowski: "Ich habe gemerkt, dass ein Wechsel das Beste für beide Seiten ist. Bayern wird mich nicht davon abhalten." Wie schwer diese Worte am Selbstverständnis der Münchner rütteln müssen, verdeutliche der frühere Lewandowski-Berater.
Herzensangelegenheit?
"Diese Sätze sind heftig. Sein Herz ist längst nicht mehr bei Bayern", sagte Cezary Kucharski zu Sport1. Dabei soll der FC Bayern nach Gusto von Vereinspatron Uli Hoeneß immer eine Herzensangelegenheit sein. Doch: Von der Ära Hoeneß/Rummenigge ist nicht mehr viel übrig. Das hat mit den neuen Chefs zu tun, Vorstandsboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Was auffällt: Nicht mehr der FC Bayern bestimmt, welche Spieler bleiben. Sondern die Spieler entscheiden.
Gleichzeitig beklagt manch einer öffentlich mangelnde Wertschätzung. Wie im Fall Süle durch dessen Berater Volker Struth. Oder nun Lewandowski. "Der Grundstein für eine der erfolgreichsten Dekaden der Vereinsgeschichte wurde im Moment einer der bittersten Niederlagen gelegt. 2012, 19. Mai, das 'Finale dahoam' in der Champions League wurde für uns zum Drama", schreibt Ex-Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge zeitgleich in einem Gastbeitrag für die "Sport Bild". Es sollte eine unendliche Geschichte werden, geprägt durch neue Gesichter.
Keine Topstars
Aber: Endet sie bald abrupt? Weil in dieser Konstellation keine Titel mehr möglich sind? Nachdem die Bayern bereits wiederholt in DFB-Pokal und Champions League ihre Ziele krachend verfehlt hatten. Borussia Dortmund wähnt offensichtlich die einmalige Chance. So hat der BVB eine atemraubende Transferoffensive gestartet, während Salihamidzic bisher bis auf Noussair Mazraoui (Ajax Amsterdam) keinen Neuzugang präsentieren konnte. Um absolute Topstars, die der Klub für die internationale Vermarktung dringend benötigt, warb der FC Bayern zuletzt vergeblich.
Damit nicht genug: Dem Vernehmen nach hat die Verpflichtung von Lucas Hernández im Sommer 2019 das Gehaltsgefüge heftig durcheinandergewirbelt. Serge Gnabry pokert seit Wochen um einen neuen Vertrag. Selbst Abgang Corentin Tolisso soll laut "Bild" elf statt bisher sechs oder sieben Millionen Euro gefordert haben. Ein Spieler, der fast nur durch Verletzungen auffiel. Sein französischer Landsmann Hernández ist indes kein Leader, sondern immer wieder eine Schwachstelle in der Defensive. Trainer Julian Nagelsmann kritisierte wiederholte mangelhafte Kommunikation durch den vermeintlichen Abwehrchef. Vergeblich.
Kredit verspielt
Hat der FC Bayern etwa seine Kabine nicht mehr im Griff? Dortmund schaut aus der Ferne genau zu. "Wir hatten das Gefühl, dass wir wieder mehr deutsche Nationalspieler haben wollen. Ich hatte Bundestrainer Hansi Flick das angekündigt", erklärte Dortmund-Boss Hans-Joachim Watzke in bester Uli-Hoeneß-Manier. Jener Ex-Bayern-Coach Flick begründete seinen Abgang im Sommer 2021 nach dem Sextuple durch Differenzen mit dem Sportchef. Bei vielen Fans, die ihn früher als "Brazzo" so liebten, hat der 45-jährige Bosnier durch etliche Fehlentscheidungen Kredit verspielt. Sie wundern sich, dass der 20-jährige Karim Adeyemi aus Salzburg nach Dortmund wechselt. Und nicht in seine Heimatstadt, wo seine Eltern südlich in Unterhaching leben.
Der Mentor des Stürmers und Hachinger Vereinspräsident Manfred "Manni" Schwabl ist ein guter Freund von Hoeneß, zusammen spielen sie am Tegernsee regelmäßig das traditionelle Kartenspiel Schafkopf. Wie konnte Adeyemi also den Bayern nur entgehen? Genauso wie Deutschlands aktuell bester Abwehrspieler Nico Schlotterbeck, der sich ebenfalls dem BVB anschließt? Weil sie sich so wundern, pfiffen viele Fans Salihamidzic bei der Meisterfeier auf dem Marienplatz aus. Bei derselben, wenig euphorischen Veranstaltung ging Hoeneß in die Offensive.
"Er ist nicht alleine verantwortlich für die Transferpolitik", sagte der 70-Jährige über seinen Schützling, den er einst in der Geschäftsstelle installierte. Er forderte, "dass die Spieler mehr unter Druck gesetzt werden müssen". Stattdessen weigerte sich Süle am letzten Spieltag, mit nach Wolfsburg zu fahren. Hoeneß: "Ich fand diese Aktion katastrophal."
Lewandowski will unbedingt nach Spanien
Und Kahn? Der schwieg. Hinter vorgehaltener Hand wundern sich Klub-Mitarbeiter, warum der einstige "Titan" nicht durchgreift. Mittlerweile soll es laut "Sport Bild" stattdessen auch zwischen Salihamidzic und Trainer Nagelsmann inhaltlich krachen. Während Torgarant Lewandowski nach Informationen von t-online unbedingt nach Spanien möchte, droht der Coach zum Opfer der Großbaustellen zu werden.
Ausgerechnet der erste Trainer seit Franz Beckenbauer, der seine Wurzeln in Oberbayern hat. Nagelsmann, dessen Frau aus Grünwald stammt und der fußballerisch bei Wacker München groß wurde. Mehr Identität geht kaum. Er wollte eine Ära prägen. In diesen Tagen wirkt es aber, als liege es einzig am 34-Jährigen und den verbliebenen Identifikationsfiguren Manuel Neuer (36 Jahre) sowie Thomas Müller (32), die bayerische Zeitenwende noch abzuwenden. Irgendwie.