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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-DFB-Star Gomez über Scholl: "Das war unter der Gürtellinie"
Über ein Jahr war Mario Gomez von der medialen Bildfläche verschwunden. Nun ist er zurück – in neuer Rolle. Was er sich vornimmt und wer ihm als Vorbild dient, darüber spricht er im Interview mit t-online.
Was macht eigentlich Mario Gomez? Diese Frage dürften sich in den vergangenen 13 Monaten nicht nur Anhänger des VfB Stuttgart gestellt haben. Nach dem 1:3 der Schwaben gegen Darmstadt 98 am 28. Juni 2020, bei dem sich Gomez ein letztes Mal in die Torschützenliste eintragen durfte, beendete er seine Profikarriere. Nun kehrt er zurück auf die Fußballbühne.
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Für Prime Video wird Mario Gomez als Experte zu sehen und zu hören sein. Der Streaminganbieter sicherte sich die Champions League-Rechte für das Topspiel am Dienstag. Wie er mit seinem Karriereende umgegangen ist, was er sich für seine neue Aufgabe vornimmt und wie er heute über die harsche Kritik von Mehmet Scholl aus dem Jahr 2012 denkt, hat er t-online verraten.
t-online: Herr Gomez, mehr als 13 Monate ist Ihr letztes Tor als Fußballprofi her, seit gut einem Jahr sind Sie im Fußball-Ruhestand. Waren die vergangenen zwölf Monate kurz oder lang für Sie?
Mario Gomez (36): Es war eigentlich ein sehr kurzes Jahr, da ich sehr viel Zeit mit meiner Familie verbracht und mich zurückgezogen habe. Drei Kinder fordern einen auch ganz schön. Die Zeit mit der Familie und meinen Freuden hat alles etwas entschleunigt. Trotz der Pandemie, die das geplante Reisen verhindert hat, bin ich sehr dankbar für dieses Jahr Auszeit.
Welche Rolle spielte der Fußball?
Eine untergeordnete, aber natürlich habe ich trotzdem viele Spiele angeschaut – um auch vorbereitet zu sein, auf das, was jetzt kommt.
Es klingt so, als hätten Sie das Karriereende ganz gut und schnell verarbeitet.
Ich war und bin realistisch, was mein Leistungsvermögen angeht. Mir wurde nichts genommen, weil ich den Zeitpunkt meines Abschieds bewusst gewählt habe und mich dementsprechend auf das Ende als Fußballer vorbereiten konnte. Ich hatte seitdem nicht eine Sekunde das Gefühl, ich muss wieder Fußball spielen.
War kein bisschen Wehmut dabei?
Klar, das Gefühl nach einer geilen Trainingseinheit, nach einem Sieg in der Kabine, das wird immer fehlen, weil es eben Teil meines Lebens war. Ich versuche das mit Freizeitsport auszugleichen. Mein Körper schreit danach, sich auszupowern. Aber ich hatte und habe nicht das Bedürfnis, wieder meine Fußballschuhe anzuziehen und vor Tausenden Zuschauern zu spielen.
Ihre Karriere endete mit dem Aufstieg in die Bundesliga, Sie trafen zudem in Ihrem letzten Heimspiel – allerdings vor leeren Zuschauerrängen.
Ich bin total im Reinen mit mir. Das war ein sehr schönes Ende für mich. Mein letzter Auftrag war erfüllt. Jetzt kann ich mich neuen Dingen, wie beispielsweise dem Expertenjob bei Amazon Prime Video widmen, worauf ich mich sehr freue.
Wie stark vermissen Sie den Videobeweis?
(Lacht) Mir ist schon zu Ohren gekommen, dass ich immer wieder Gegenstand der Diskussionen bei der DFL bin. Von wegen: “Wenn’s nach Mario Gomez ginge, wäre der längst abgeschafft”. Aber das stimmt so nicht.
Nein?
Die Ausführung ist nicht ideal. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass man seine Verwendung bei brenzligen Situationen mehr in die Hände der Mannschaften legen sollte, ähnlich wie bei einer Challenge im Hockey. Das wäre die bessere Variante. Nicht abschaffen, sondern modifizieren. Außerdem sollte man bei meinem Frust damals auch eine Sache nicht vergessen.
Und zwar?
Ich habe immer unmittelbar aus der Emotion geredet. Wenn du nach einem, möglicherweise verlorenen, Spiel vor der Kamera stehst, hast du keinen kühlen Kopf. Mit Abstand kann ich festhalten, dass der VAR in Summe eine Verbesserung darstellt, das Projekt aber noch in den Kinderschuhen steckt. Prinzipiell können wir also festhalten: Ich bin kein Gegner des Videobeweises.
Kommen wir zu Ihrer neuen Aufgabe. Sie werden bei Prime Video als Experte in der Champions League zu hören sein. Wann ist in Ihnen der Wunsch gereift, einen Job im TV anzunehmen? Wie genau liefen die Gespräche ab?
Die Gespräche liefen schon lange. Ich habe mir schon während meiner aktiven Karriere Gedanken über die Zeit danach gemacht. Die Kombination aus dem Team, das Amazon zusammengestellt hat, sowie dem Topspiel am Dienstag, die finde ich superspannend. Der Job ist kein komplettes Neuland für mich, weil ich Erfahrung vor der Kamera habe – nur stehe ich jetzt eben auf der anderen Seite.
2012 gab es einen Experten, Mehmet Scholl, der Sie im Rahmen der Europameisterschaft scharf kritisierte. Wie denken Sie heute über den Fall?
Mehmet Scholl ist ein Experte, der sehr unterhaltsam ist. Er hat immer einen lockeren Spruch auf Lager und viele Leute, die zu Hause sitzen, wollen genau das hören. So war das auch damals bei mir. Meine Arbeitsweise wird die sein, dass ich Dinge natürlich auch klar benennen werde, aber nie persönlich verletzend werden möchte.
Im Gegensatz zu Scholl?
Ich traue Mehmet Scholl die Intelligenz zu, dass er überreißen kann, was solch ein Spruch bewirkt. Vor allem bei einer EM. Einem TV-Event, bei dem 82 Millionen Bundestrainer auf den Sofas sitzen. Ihm war klar, dass das Riesenwellen schlagen würde. Das war damals in meinen Augen unter der Gürtellinie. Aber das ist längst vorbei und heute auch egal. Ich kann sagen: Von mir wird es solche Sprüche nicht geben.
Gibt es einen TV-Experten, der Ihnen besonders taugt?
Der Experte schlechthin war sicher Jürgen Klopp. Der ist aber auch als Trainer unschlagbar, wenn es darum geht, Menschen mitzureißen. Er ist auf diesem Gebiet der Beste. Ich schätze aber auch die Analysen von Lothar Matthäus sehr. Er ist auf den Punkt, offen, ehrlich. Oder Sandro Wagner: inhaltlich stark, aber trotzdem unterhaltsam. Das sind alles unterschiedliche Typen, aber ich höre allen sehr, sehr gerne zu.
Sie werden bei Prime Video nun Partien in der Champions League begleiten. Einem Wettbewerb, den Sie 2013 selbst gewinnen konnten – ein Jahr nach dem Drama im "Finale dahoam". Haben Sie diese Schmach jemals verkraften können?
Das ist, negativ gesehen, sicherlich das Ereignis, das am meisten nachwirkt. Es ist bis heute unbegreiflich, wie wir dieses Spiel nicht gewinnen konnten. München, 30 Grad, Sonnenschein. Die ganze Stadt stand hinter uns, die Fete war geplant. Da wird man wahrscheinlich nie darüber hinwegkommen.
Immerhin konnten Sie es ein Jahr später besser machen.
Nach der Niederlage 2012 herrschte fünf bis zehn Tage pure Enttäuschung. Danach hat sich im Team-Chat eine "Jetzt erst recht"-Atmosphäre eingestellt. Die Energie, die wir dann 2012/2013 hatten, die werde ich so nie wieder erleben. Wir waren eine geniale Einheit vom ersten bis zum letzten Mann. Eigentlich war uns drei Wochen nach dem "Finale dahoam" 2012 schon klar, dass wir 2013 den Pott holen. Und so ist es am Ende auch gekommen.
- Persönliches Zoom-Interview mit Mario Gomez