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Trainer-Ikone Christoph Daum: "Ich war 'wie eine Flasche leer'"


Interview
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"Heilvolle Erfahrung"
Daum: "80 Prozent meiner Bekannten kehrten mir den Rücken"

  • Dominik Sliskovic
InterviewVon Dominik Sliskovic

Aktualisiert am 14.11.2020Lesedauer: 6 Min.
Christoph Daum: Nach der Entlassung bei Bayer Leverkusen im Zuge der Kokain-Affäre fiel der Erfolgstrainer in eine mentale Krise.Vergrößern des Bildes
Christoph Daum: Nach der Entlassung bei Bayer Leverkusen im Zuge der Kokain-Affäre fiel der Erfolgstrainer in eine mentale Krise. (Quelle: Sportfoto Rudel/imago-images-bilder)

Christoph Daum zählt zu den streitbarsten Trainern des deutschen Fußballs. Im Interview mit t-online blickt er auf die dunkelste Phase seiner Karriere – und wie er gestärkt aus ihr herauskam.

Es ist 20 Jahre her, seit ein Haar Christoph Daum die Erfüllung seines größten beruflichen Traumes kostete. Damals, im Oktober 2000, wurde dem designierten Bundestrainer Kokainkonsum nachgewiesen. Sein Verein Bayer Leverkusen trennte sich fristlos von ihm, der DFB löste den ab Sommer 2001 gültigen Vertrag auf.

Der so streitbare wie erfolgreiche Fußballtrainer Daum stand vor den Scherben seiner akribisch und hart erarbeiteten Karriere. Doch er kam zurück, gewann in Österreich und der Türkei Meister- und Pokaltitel, führte den 1. FC Köln zurück in die Bundesliga. Seit 2017 ist der Stuttgarter Meistermacher von 1992 ohne Anstellung. Die Zeit nach seinem Aus als rumänischer Nationaltrainer nutzte Daum für ein neues Projekt. Gemeinsam mit dem Journalisten Nils Bastek schrieb er seine Autobiographie "Immer am Limit: Mein Aufstieg, mein Fall – die ganze Geschichte meines Lebens".

Der 67-Jährige empfängt t-online in seinem Kölner Büro, um über die Fragen zu sprechen, die das Buch nicht abschließend beantwortet.

t-online: Herr Daum, wie geht es Ihnen heute?

Christoph Daum (67): Mir geht es sehr gut. Ich bin zufrieden und dankbar für das, was ich habe und wer ich bin. Natürlich gibt es die ein oder andere biologische Verschleißerscheinung, die sich mit dem Alter einstellt, das ist ja klar. Aber alles in allem bin ich sehr glücklich mit dem Leben, dass ich mit meiner Familie führe. Was mich nachdenklich stimmt ist, dass enge Wegbegleiter versterben, teils völlig unerwartet. Aber auch mit diesen Einschlägen muss ich mit zunehmendem Alter zu leben lernen.

Sind Sie sich dadurch Ihrer eigenen Sterblichkeit bewusster geworden?

Es sind Momente, in denen ich innehalte. Als ich die Nachricht über den Tod meines engen Freundes Dr. Bernd Steegmann (ehemaliger Spieler, Trainer und Vize-Präsident des 1. FC Köln, Anm. d. Red.) erhalten habe, habe ich zwei Tage geweint. Es tut uns allen gut, mit größerer Achtsamkeit auf unser Leben zu blicken.

Was haben Sie konkret für Ihr Leben getan?

Ich reise in den vergangenen Jahren regelmäßig nach Indien und habe mich dort intensiv mit Meditation und Atemtechniken auseinandergesetzt. Dieses neue Gesundheitsbewusstsein hat mir sehr gut getan.

Sie haben in den vergangenen Wochen zahlreiche Interviews gegeben, um Ihre Autobiographie "Immer am Limit" vorzustellen. In vielen dieser Gespräche ging es ganz zentral um Ihre Kokain-Affäre im Jahr 2000.

Diese Reduktion des Lebens und Schaffens Christoph Daums auf diesen kurzen Abschnitt wird der Person Christoph Daum nicht gerecht. Viele Journalisten haben diesen Abschnitt meines Lebens jedoch dennoch in den Mittelpunkt der Interviews gestellt.

Haben Sie damit gerechnet, dass Sie noch so ausgiebig darüber sprechen müssen?

Mich hat überrascht, dass andere wichtige Bereiche meines Lebens überhaupt keine Beachtung gefunden haben. Dass über die 2000er-Sache gesprochen wird, darauf war ich vorbereitet. Mein Leben ist nicht mit Bleistift geschrieben, ich kann nicht ausradieren, was mir nicht passt – es ist in Stein gemeißelt. Deshalb wird diese Affäre immer ein Teil meines Lebens bleiben. Diese Verletzung, die ich mir damals zugefügt habe, ist verheilt, aber die Narbe bleibt.

Wie blicken Sie auf das Bild, das die Öffentlichkeit heute von Ihnen hat?

Überwiegend positiv. Die Resonanz auf das Buch hat noch einmal dazu beigetragen. Es wurde von vielen Lesern gelobt, wie spannend und ehrlich, aber auch informativ es geschrieben sei. Das war mir auch wichtig; dass ich die Leute mit in die Gefühlswelt eines Trainers mitnehme, Hintergründe erkläre und Einblicke gewähre.


Welche Leistung in Ihrer Trainerkarriere kommt Ihnen in der öffentlichen Wahrnehmung zu kurz?

Ich darf glücklicherweise behaupten, dass ich viele tolle Momente erlebt habe – und da sprechen wir insbesondere vom Privatmenschen Christoph Daum. Wenn ich mir meine vier Kinder anschaue, wie eigenverantwortlich sie ihren Weg gehen – das stellt jeden sportlichen Erfolg in den Schatten. Diese Reflexion hat mir dabei geholfen, meine öffentliche Wahrnehmung zu akzeptieren. Ja, ich habe Fehler gemacht, aber ich habe auch immer gesagt: Wenn ich scheitere, dann werde ich nur gescheiter.

Haben Sie das Gefühl, die Öffentlichkeit hat Ihnen Ihre Fehler verziehen?

Ich glaube schon, dass die Bevölkerung mir abgenommen hat, als ich gesagt habe, dass ich aus meinen Fehlern lernen und sie nicht wiederholen will. Dieses Gefühl, nicht stigmatisiert in eine Ecke gestellt zu werden, hat mir sehr geholfen.

Sind Sie trotz allem der Duisburger Arbeitersohn geblieben, als der Sie aufgewachsen sind?

Ich habe noch Kontakt zu meinen alten Spielkameraden aus Duisburg. Aber ob ich noch der bin, der ich damals war? Das bezweifle ich. Ich bin mir zwar in einigen Grundwerten treu geblieben, aber ich muss auch ehrlich mit mir sein und sagen, dass ich mich seit meiner Jugend stark verändert habe.

Wie fanden Sie aus Ihrer Krise – und damit zurück in den Fußball?

Ein solcher Prozess spielt sich über viele Tage und Wochen ab. Meine Familie war mir am hilfreichsten bei dieser Fehleranalyse. Denn: Ich stand mit dem Rücken zur Wand – und diese Wand war meine Familie. Sie gab mir Rückhalt in dieser schwierigen Zeit. Sie war es, die mich am stärksten unterstützte und motivierte. Sie war es, die mir sagte, „die verschüttete Milch kriegst du nicht mehr in die Tüte, du musst nach vorne blicken.“ Sie gab mir den Glauben, dass meine Zukunft in dem Bereich lag, in dem ich die größte Expertise und meine größten Erfolge gefeiert habe: als Fußballtrainer.

Wie ist es Ihnen gelungen, nur wenige Monate nach Ihrer öffentlichen Demontierung im Jahr 2000 beim türkischen Spitzenklub Besiktas Istanbul wieder an Ihre Top-Leistung als Trainer anzuknüpfen?

Ich wollte an die Leistungen anknüpfen – aber ich konnte nicht. Ich brauchte eine Pause. Ich war "wie eine Flasche leer", wie es Giovanni Trapattoni einst so schön sagte. Dieses andauernde Pendeln zwischen Koblenz, wo mir damals der Prozess gemacht wurde, und Istanbul, wo ich unter schwierigen Bedingungen als Trainer arbeitete – das ging nicht gut. Heute würde man mir wohl ein Burnout attestieren. Besiktas zeigte volles Verständnis für meine Situation, bat mir an, zwei Monate Pause zu machen und erst zum Beginn der neuen Saison wieder in die Arbeit einzusteigen. Aber ich sagte, "Nein, danke. Wo Christoph Daum draufsteht, muss auch Christoph Daum drinstecken."

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Kehrten Ihnen in dieser schwierigen Zeit viele vermeintliche Freunde den Rücken?

Ich betrachte Beziehungen als eine Art Bankkonto: Du kannst nicht immer nur abheben, du musst auch regelmäßig einzahlen. Und das habe ich getan. Ich war für viele Menschen da, als sie Unterstützung brauchten, und war dann umso erleichterter, als ich sah, dass sie auch in meiner schweren Zeit an meiner Seite standen. Aber natürlich haben sich auch viele Personen von mir abgewandt. Ich würde mal schätzen, dass 80 Prozent der Personen, die ich zu meinem Bekanntenkreis zählte, mir den Rücken zukehrten. Das war eine wunderbare, heilvolle Erfahrung. Das versuche ich auch meinen Kindern bewusst zu machen. Wenn sie sagen, sie seien enttäuscht, wenn sich vermeintliche Freunde von ihnen abwenden, antworte ich: "Ihr könnt glücklich sein, dass ihr enttäuscht wurdet, denn das bedeutet, ihr werdet nicht mehr getäuscht. Ihr seid eine Täuschung los."

Sie haben vor 2000 ein enormes Arbeitspensum hingelegt und große Erfolge gefeiert. Haben Sie danach in Ihrem Exil in Florida dennoch über Entschleunigung nachgedacht?

Nein, ich habe es für gerechtfertigt gehalten, dass ich den Erfolg und Status damals hatte. Ich hatte so hart dafür gearbeitet. Der Fußball war meine Erstfamilie, mein Leben. Der Erfolg war nur die Folge dessen, was ich investiert habe. Wenn jemand acht Stunden gearbeitet hat, war ich bereit für den Erfolg 16 Stunden zu arbeiten.

Das ist doch auf Dauer nicht gesund.

Das ist sehr gesund. Denn zu meiner Arbeit gehört auch gesunde Ernährung, vernünftiger Schlaf, ausreichend Fitness. Das ist für mich auch Arbeitszeit. Ich habe mir diese Punkte, die meine Leistungsfähigkeit gewährleisten sollten, als Termine in meine Tagesordnung eingetragen.

Diese Struktur war also Ihr Erfolgsrezept?

Das ist das A und O. Das ist das erste, was ich Trainern in Fortbildungen mit auf den Weg gebe: Planung.

Christoph Daum steht auf, geht zu seinem Rechner und wirft eine Präsentation auf einen Bildschirm in seinem Büro. Zu sehen bekommt man seine Tagesordnung in seiner Amtszeit beim belgischen Spitzenverein Club Brügge. Tatsächlich ist sein Tag von 8 Uhr morgens bis 18 Uhr akribisch durchstrukturiert. Auszeiten, so erklärt Daum, erlaube er sich erst abends, wenn die Arbeit erledigt sei.

Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich für Ihre persönliche Zukunft?

In der heutigen Zeit wünsche ich mir nur eines: Gesundheit. Dazu gehört auch, dass wir achtsamer mit unserem Planeten umgehen. Das bedeutet auch, dass wir kompromissbereiter werden müssen. Wir müssen aufhören, einen Kompromiss als eine Niederlage anzusehen.

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