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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bielefelds Sensationsaufstieg "Sie haben es verdient, in der Bundesliga zu spielen"
Arminia Bielefeld ist zum achten Mal in die Bundesliga aufgestiegen. Viele Beobachter überrascht dieser Erfolg. Dabei hat er sich lange angedeutet, erklären zwei Arminia-Legenden im t-online.de-Gespräch.
Ungeschlagen im Kalenderjahr 2020, nur zwei Niederlagen in der gesamten Spielzeit, 13 Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz drei: Arminia Bielefeld steigt als Meister der Zweitliga-Saison 2019/2020 völlig verdient in die Bundesliga auf. Dennoch reiben sich nicht wenige Fußballexperten und -fans die Augen angesichts des offensiv- und erfolgsfokussierten Fußballs, den die Ostwestfalen präsentieren und mit dem sie die finanzstarke Konkurrenz aus Hamburg und Stuttgart düpiert haben. Dabei wurde bereits seit Dezember 2018 am letzten Kapitel von Arminias Erfolgsgeschichte geschrieben. Sein Autor: Uwe Neuhaus.
"Arminias Entwicklung ging mit der Verpflichtung von Trainer Uwe Neuhaus los", erklärt Jörg Böhme, der zwischen 1998 und 2000 und noch einmal von 2006 bis 2008 für den DSC auflief. Der Ex-Nationalspieler lobt Neuhaus weiter: "Er hat eine klare Handschrift in den Verein gebracht, die die Jungs verinnerlicht haben." Mit dieser Handschrift ging eine Siegesmentalität einher, die unverzüglich Früchte zu tragen begann. "Arminia war schon in der vergangenen Saison das beste Rückrundenteam", erinnert sich mit Ansgar Brinkmann eine weitere Bielefelder Vereinsikone im Gespräch mit t-online.de, "da hat es sich schon angedeutet, dass da etwas entsteht".
Trainer Uwe Neuhaus als Autor der Bielefelder Erfolgsgeschichte
Während Bielefeld mit seiner achten Bundesliga-Rückkehr Nürnbergs Rekord egalisiert, ist es ausgerechnet für Neuhaus der erste Aufstieg seiner langen Trainerkarriere. Keine 150 Kilometer nordöstlich seines Geburtsortes Hattingen hat der 60-Jährige nun endlich die Beletage des deutschen Fußballs erreicht – ein Meilenstein, den er in seinen sieben Jahren bei Union Berlin stets haarscharf verpasste. Dabei galt Bielefeld – trotz der herausragenden Rückrunde 2019 – höchstens als Geheimfavorit auf den Aufstieg.
"Hamburg und Stuttgart hatten den besten Kader der Zweitliga-Saison", ordnet Brinkmann die Kräfteverhältnisse in der 2. Liga ein. Doch während der HSV und der VfB mit aufgeblähten Etats und großen Namen den Aufstieg erzwingen wollten, setzte Bielefelds Geschäftsführer Sport Samir Arabi auch für die nun am Sonntag beendete Saison auf die weitsichtige Kaderplanung, mit der er die zum Fahrstuhlklub zwischen 2. und 3. Liga zu verkommen drohenden Bielefelder seit seinem Amtsantritt 2016 stabilisierte. Der eingespielten, konstanten Achse langjähriger Arminen um Torwart Stefan Ortega Moreno, Mittelfeldstrategen Manuel Prietl und Kapitän und Goalgetter Fabian Klos fügte er in den vergangenen zwei Jahren mit schmalem Taler junge Wilde wie Abwehrass Amos Pieper (22, ausgebildet beim BVB) und erfahrene Recken wie Cebio Soukou (27, Nationalspieler Benins) hinzu.
Arabis Königstransfer war jedoch ein Spieler, der sich sportlich bereits vergangene Saison für die Bundesliga qualifiziert hatte: Marcel Hartel war einer von 15 Spielern, von denen sich Union Berlin vor der Saison trennte – und das, obwohl er mit 26 Einsätzen und fünf Torbeteiligungen zu den Leistungsträgern zählte, die die Eisernen überhaupt erst ins Oberhaus geführt hatten. Vielleicht hatte verletzter Stolz den entscheidenden Anteil daran, dass Hartel in seiner ersten Saison mit der Arminia gleich mehrere Gänge höher schaltete und mit überragenden 13 direkten Torvorlagen das Torjäger-Duo Klos/Voglsammer fütterte.
Dass trotz der klugen Transferpolitik Bielefeld tatsächlich am Ende der Saison als souveräner Aufsteiger und Zweitliga-Meister feststeht, ist nicht selbstverständlich. Brinkmann verweist noch einmal auf Coach Neuhaus: "Es müssen nicht nur individuelle Spieler brillieren, sondern die einzelnen Mannschaftsteile geschlossen agieren. Das ist der große Verdienst von Trainer Uwe Neuhaus und seinem Team. Es zeugt von ihrer starken Empathie, dass sie den Bedürfnissen der einzelnen Spieler nachkommen und dabei nicht das Kollektiv aus den Augen verlieren." Diesen Blick für die Gesamtsituation nicht zu verlieren, so der frühere Bundesliga-Profi, "ist wahnsinnig komplex – umso mehr Respekt habe ich für ihre Leistung".
Der Arminia mangelt es an Erstliga-Erfahrung
Die Kehrseite der Bielefelder Kaderstrategie ist jedoch, dass der Klub nun mit kaum Erstliga-Erfahrung aufsteigt. Natürlich stehen Spieler wie Reinhold Yabo, der mit RB Salzburg zweimal österreichischer Meister geworden ist, zur Verfügung. Aber gerade die Lebensversicherung der Ostwestfalen, Ur-Bielefelder Ortega Moreno und der 33-Tore-Sturm Voglsammer/Klos, wird in ihrer fortgeschrittenen Karriere einen entscheidenden Entwicklungsschritt machen müssen, wenn sie mit der Arminia die Klasse halten will. "In der Bundesliga werden Fehler schneller und drastischer bestraft, als es die Spieler bisher gewohnt sind", erklärt Brinkmann, schiebt jedoch auch ein: "Dem Bielefelder Kader mag es zwar an Bundesliga-Erfahrung mangeln, aber sie haben diese Saison an sich geglaubt und sich den Traum vom Aufstieg erfüllt. Sie haben es sich alle verdient, in der Bundesliga zu spielen."
Will Bielefeld nicht nur in der Bundesliga mit-, sondern auch erfolgreich spielen, wird sich die Mannschaft verstärken müssen. Das ist auch Brinkmann klar: "Arminia wird sich zur kommenden Saison nicht nur ergänzen, sondern auf fünf, sechs Positionen ernsthaft verstärken müssen." Erst dann habe der Klub "eine realistische Chance", die Klasse zu halten. Vereinsikone Brinkmann hofft bei den Personalentscheidungen auch auf das Fingerspitzengefühl der sportlichen Leitung um Arabi und Neuhaus. "Jeder von ihnen kann es auch in der Bundesliga zum Stammspieler packen, wenn er die Tugenden aus den vergangenen zwei Jahren in die nächste Spielzeit mitnimmt", betont er. Konkret, welcher Spieler denn nun um seinen Stammplatz fürchten sollte, will Brinkmann jedoch nicht werden: "Ich werde jetzt den Teufel tun und sagen: 'Also, Junge, danke bis hierhin, aber mit dir kann es auf deiner Position in der Bundesliga nichts werden.' Dafür liebe ich jeden der Jungs zu sehr für das, was er mit der Arminia diese Saison erreicht hat." In ein ähnliches Horn bläst auch Böhme, der unter Neuhaus bei Union Berlin als Trainer hospitierte: "Uwe wird durch seine jahrelange Erfahrung ganz genau wissen, wie er Arminia zur kommenden Saison punktuell verstärken muss – und welche Spieler sich in dieser Saison in Trainingseinheiten und den vergangenen Spielen für eine Führungsrolle empfohlen haben."
Ein Spieler, dessen Führungsrolle glasklar ist, ist Kapitän Klos: Seit 2011 im Verein stieg er mit der Arminia zweimal in die 3. Liga ab und wieder in die 2. Liga auf. Mit nun bereits 32 Jahren krönt er, der nie dachte, dass er überhaupt Fußballprofi werden würde, seine bemerkenswerte Karriere mit dem ersten Bielefelder Bundesliga-Aufstieg seit 2004 – und als Zweitliga-Torschützenkönig (21 Treffer). Die Chancen, dass Klos auf seine alten Karrieretage noch das deutsche Pendant zu Jamie Vardy oder Aritz Aduriz wird, stehen nicht schlecht. Kaum ein Spieler hat sich über die Jahre so herausragend an neue Gegebenheiten gewöhnt wie die Nummer neun des DSC.
Benedikt Höwedes wäre die perfekte Verstärkung für den Aufsteiger
Die Offensive um Klos, seinem kongenialen Sturmpartner Andreas Voglsammer und Passgeber Hartel wird der Arminia kaum Kopfschmerzen bereiten. Die größte Baustelle vor der Rückkehr ins Oberhaus wird die Innenverteidigung sein. Zwar haben Pieper und der aktuell verletzte Schwede Joakim Nilsson den Laden gut dicht gehalten, doch hinter ihnen wird es licht auf der Bielefelder Bank. Ein Spieler, der dem DSC Stabilität und Qualität einbringen würde, wäre Benedikt Höwedes. Der langjährige Schalker Kapitän hat seinen Vertrag beim russischen Topklub Lokomotive Moskau aufgelöst, um wieder bei seiner Familie in Haltern am See sein zu können. Höwedes’ Heimatstadt und Bielefeld trennen gerade einmal eineinhalb Stunden Autofahrt. Zudem wäre der Weltmeister von 2014 bei den Ostwestfalen mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Fleck weg Führungs- und Stammspieler, ein Profi, der mit seiner Erfahrung in hitzigen Phasen des Abstiegskampfs kühlen Kopf behält und als Mentor für Pieper und Co. dienen könnte.
Wie auch immer sich das Gesicht Arminia Bielefelds bis zum Saisonbeginn im Herbst verändern mag: Die Bundesliga kann sich auf die Rückkehr eines echten Traditionsklubs freuen. Auf ein Team, das für Offensivfußball steht und auch bei einer 1:0- oder 2:0-Führung nach vorn stürmt. Auf Typen wie Fabian Klos, die ihr Herz auf der Zunge tragen und die ihren Klub über die 90 Minuten auf dem Platz hinaus als Identifikationsstifter dienen. Oder um es so kurz und bündig wie Jörg Böhme zu fassen: "Die Arminia ist einfach geil! Geiles Stadion, geile Fans! Da brennt bei jeder Partie der Baum." Gerade deshalb werde es "wahnsinnig schwer sein, Punkte aus Bielefeld zu entführen", ist sich der zweifache DFB-Pokalsieger sicher: "Die Fans und die Mannschaft sind hier eine echte Einheit – und das wird den ein oder anderen Gegner überraschen."
- "Transfermarkt": Vereinsprofil Arminia Bielefeld
- Eigene Recherche