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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gladbach-Sportdirektor "Ich weiß, dass Favre mit dem BVB Deutscher Meister werden kann"
Borussia Mönchengladbach steht an der Tabellenspitze der Bundesliga. Und das, obwohl die Fohlen in Dortmund mit 0:1 verloren. Die Bundesliga scheint so offen und spannend wie lange nicht mehr zu sein. Der Gladbacher Erfolg basiert in großen Teilen auf der Arbeit von Max Eberl.
Erfolg ist schwer nur an einer Person festzumachen – gerade im Fußball. Auch bei Borussia Mönchengladbach sind es viele Faktoren, die aktuell zusammenlaufen, sodass die "Fohlen" von der Tabellenspitze grüßen. Doch der Einfluss von Max Eberl ist nicht abzustreiten. Seitdem er das Zepter in Gladbach übernommen hat, ist der Verein nicht nur stabil geworden, sondern auch erfolgreich.
Seit vielen Jahren ist die Borussia jedes Jahr ein Kandidat für Europa, spielt auch in dieser Saison international. Im Interview mit t-online.de spricht Eberl über seine Anfänge bei der Borussia, die Zeit mit Lucien Favre und die Zukunft auf dem Transfermarkt.
t-online.de: Herr Eberl, was fällt Ihnen ein, wenn Sie dieses Bild sehen?
Max Eberl (46): An den Moment kann ich mich gut erinnern! Das war die Pressekonferenz, in der Hans Meyer als neuer Trainer und ich als neuer Sportdirektor vorgestellt wurden. Christian (Ziege, Anm. d. Red.) hatte kurz zuvor Jos Luhukay entlassen und für sich selbst entschieden, nicht mehr Sportdirektor sein zu wollen. Er wollte zurück an den Spielfeldrand und wurde deshalb Co-Trainer. Deshalb haben wir Hans Meyer geholt, was die erste gravierende Entscheidung war, mit mir im Amt.
Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie gefragt wurden, ob Sie Sportdirektor werden wollen?
Klar, das bleibt einem im Kopf. Ich war bereits Teil des "Kompetenzteams" 2007, als Christian Ziege Sportdirektor wurde. Als Christian dem Verein mitgeteilt hat, dass er wieder Trainer werden will, wurde ich dann gefragt. Ich weiß noch genau, wie ich im Präsidiumszimmer saß und mir die Stelle angeboten wurde. Das war eine große Ehre und eine große Verantwortung. Ich habe mir etwas Bedenkzeit erbeten, aber wusste schon kurz danach, dass ich das machen wollte.
Sie wurden im Oktober 2008 Sportdirektor. Kurz danach stand Ihre erste Transferperiode mit schweren Personalentscheidungen an. Völlig unerfahren waren Sie nicht.
Die beste und größte Lehrzeit war in der Jugend als Jugenddirektor, was zuvor meine Aufgabe war. Dort habe ich bereits Transfers getätigt und Spieler wie Marko Marin geholt oder mit dem Onkel von Miralem Pjanic über einen Wechsel gesprochen. In der Jugend wird genauso strategisch gearbeitet. Arbeit und Umfang sind praktisch identisch, nur die Öffentlichkeit ist eine andere.
Wie liefen Ihre Entscheidungen im Winter ab?
Zusammen mit Hans Meyer haben wir beschlossen, mit einigen Spielern wie Alex Voigt oder Sascha Rösler nicht mehr weiterzumachen, was keine einfache Entscheidung war. Gleichzeitig haben wir Paul Stalteri, Logan Bailly, Dante und Tomas Galasek geholt. Das war eine intensive Zeit.
Mit Ihnen und Hans Meyer kam Gladbach wieder etwas in die Spur, doch zwei Saisons später steckte man wieder im Abstiegskampf fest. Da kam Lucien Favre zur Borussia.
Ich habe mich im Sommer 2008, damals war ich noch Jugendkoordinator, mit Lucien getroffen, um zu erfahren, wie in der Schweiz die Jugendarbeit aussieht. Denn trotz der kleinen Größe des Landes haben sie viele Talente herausgebracht. Da wollte ich mehr über die Arbeitsweise erfahren. So haben wir uns kennengelernt. Dadurch, dass Lucien den selben Berater wie unser Spieler Raul Bobadilla hatte, gab es den Kontakt. Als wir uns im Februar 2011 entschieden, Michael Frontzeck zu entlassen, habe ich dann die Möglichkeit gesehen, Lucien die Stelle anzubieten. Wir hatten mit Typen wie Reus, Neustädter, Nordtveit und ter Stegen viele junge Spieler im Kader, die bei ihm gut aufgehoben waren.
Wo sehen Sie sonst noch die Stärken von Lucien Favre?
Lucien ist ein herausragender Trainer, der vermitteln kann und Technik sowie Taktik bis ins letzte Detail modifiziert und perfektioniert. Das hat in Gladbach perfekt zu unserem Klub gepasst. Er konnte viele junge Spieler besser machen und entwickeln. Das ist seine große Qualität, die wir auch heute noch zu schätzen wissen.
Was halten Sie von der aktuellen Kritik an ihm?
Die aktuelle Kritik an ihm ist definitiv überzogen. Klar, Dortmund hat eine herausragende letzte Saison gespielt, in der sie hätten Meister werden können. Dass sie es aber nicht wurden, lag schlichtweg daran, dass der FC Bayern am Ende konstanter war. Der Saisonstart in diesem Jahr verlief nicht herausragend, aber auch nicht schlecht. Lucien jetzt von außen so zu bewerten, wie es aktuell getan wird, ist überzogen. Ich weiß, dass er mit Borussia Dortmund deutscher Meister werden kann. Die Qualität besitzt er zu einhundert Prozent.
Zurück zu Borussia Mönchengladbach: Als die Zeit mit Lucien Favre zu Ende ging, hat Gladbach gleichzeitig in der Champions League gespielt. Neben der Ergebniskrise in der Bundesliga gab es international also eins der größten Highlights der Vereinsgeschichte.
Wir sind in der Vorsaison sensationell Dritter geworden, was auch völlig verdient war. Aber wir wussten, dass es schwer werden würde. Prominente Spieler haben uns verlassen, das bekommst du sehr schwer kompensiert. Diese großen Spiele am Mittwoch, gepaart mit der Bundesliga am Wochenende, das wurde problematisch für uns. Lucien hat dann leider entschieden, uns verlassen zu wollen. Wir haben dann Andre Schubert hochgezogen, der mit seiner Art und dem Vermitteln einer Leichtigkeit den Spielern Luft gegeben und so mit der Mannschaft den Turnaround geschafft hat. Am Ende wurden wir sogar Vierter in der Saison und haben eine gute Champions League gespielt, deshalb denke ich gerne an dieses Jahr zurück.
Ist die Champions League für Gladbach in den nächsten zwei, drei Jahren erneut möglich?
Wir sind seit acht Jahren neben Bayern und Dortmund die einzige Mannschaft in der Bundesliga, die immer einstellig war. In dieser Zeit haben es auch mal Köln, Freiburg oder Mainz nach Europa geschafft. Aber anhand dieser Klubs sieht man auch wie schwer es ist, sich da oben zu halten. Unser Credo ist daher: Wir wollen optimal arbeiten und die Schwächen von anderen Vereinen ausnutzen, die vom Potenzial und von der Kraft über uns stehen. Wenn diese Mannschaften ihr optimales Potenzial abrufen, dann werden wir eben Siebter. Wenn sie es nicht tun, dann werden wir mal Fünfter, Vierter oder sogar Dritter. Aber dafür muss alles bei uns passen.
Um das Optimale aus dem Verein herauszuholen, haben Sie im Sommer einen neuen Schritt gewagt und den Trainer ausgetauscht. Marco Rose ist nun der Cheftrainer, der einen anderen Spielstil pflegt. War das auch Ihr Gedanke, nochmal etwas völlig anderes auszuprobieren?
Ich wehre mich gegen die Formulierung "völlig anderes", aber ja, er bringt einen neuen Aspekt rein. Wir haben in den letzten sieben, acht Jahren viel Ballbesitzfußball gespielt und haben im letzten Jahr in Bezug auf Aktivität schon einen Schritt nach vorne gemacht. Aber wie ich eben sagte: Wir müssen kreativ sein und mal überraschen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ich hatte das Gefühl, wir müssen eine neue Facette hinzufügen. Marco bringt genau das mit. Deshalb haben wir diese Entscheidung gefällt.
Was macht ihn in seiner Arbeit aus?
Er hat eine unglaublich empathische Art und ist den Spielern nah. Er ist aber auch kompromisslos und sagt klar, wie er es haben möchte. Er gibt den Jungs eine klare Anleitung. Das wollen wir sehen.
Neben dem Trainerposten hat sich auch im Kader etwas getan. Der hat in den letzten Jahren vor allem einige neue Gesichter aus Frankreich und der Schweiz gesehen. Was macht diese Märkte aus Ihrer Sicht so interessant?
Wir haben den ganzen Markt im Auge, nicht nur Frankreich und die Schweiz. Aber natürlich sind Märkte wie diese oder Belgien und Portugal für uns finanziell eher machbar. Generell muss man aber auch sagen, dass die Ausbildung sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz tolle Top-Talente hervorbringt. In Frankreich gibt es ja fast schon eine Flut an herausragenden jungen Spielern. Aber die können nicht alle nach England wechseln oder in der Heimat spielen. Das gibt Vereinen wie uns oder Leipzig oder Mainz die Option, dort Spieler zu kaufen.
Die französische Liga wird finanziell immer stärker, erhielt letztes Jahr einen TV-Vertrag und will weiter Richtung USA expandieren. Inwieweit wird sich dieser Markt verändern?
Es ist gut möglich, dass Frankreich für uns bald nicht mehr so leicht ist. Aber dann werden sich auch andere Märkte eröffnen. Es ist heutzutage unglaublich schwierig, zu sagen, was in zwei bis drei Jahren interessant sein könnte. Österreich entwickelt sich aktuell mit Salzburg, Graz, Wolfsberg und dem LASK sehr rasant. Da gibt es auch viele talentierte Spieler. Aber auch die Europa Conference League kann da wichtig werden, weil die kleineren Länder TV-Gelder bekommen, die in den Fußball reinvestiert werden und mögliche Märkte eröffnen.
Wir merken aber dann auch, dass bei uns die jungen deutschen Talente zu kurz kommen. Das muss man so sagen. Unsere eigenen Talente müssen wieder mehr in den Fokus gerückt werden.
Wie sehen Sie denn die aktuelle Lage für den deutschen Nachwuchs?
Joachim Löw führt gerade viele talentierte an die A-Auswahl heran. Auch unsere U21 ist gut. Für das nächste Jahrzehnt der deutschen Nationalmannschaft mache ich mir keine Sorgen. Aber um das, was danach kommt, müssen wir uns alle Gedanken machen. Ansonsten verliert der deutsche Fußball international den Anschluss an die Weltspitze.
Es gibt für Kinder inzwischen immer mehr Alternativen zum Fußball, die Talente werden also weniger. Wir müssen deshalb schauen, dass wir diese weniger werdenden Talente besser und nachhaltiger nach oben bringen. Da sind wir alle gefordert. Ich spreche mich nicht frei davon. Auch wir machen hier nicht alles richtig.
Was denn zum Beispiel?
Wenn wir im Jugendfußball Talente aus Dänemark oder Portugal holen, nehmen wir immer einem Deutschen den Platz weg. Dem müssen wir uns bewusst sein. Bei allem Schauen auf den kurzfristigen Erfolg müssen wir das im Auge haben.
Was halten Sie denn von Änderungen in der Struktur der Ligen? Oliver Bierhoff hat zum Beispiel vorgeschlagen, die dritte Liga wieder mehrgleisig zu machen.
Der Vorschlag hat mich überrascht. Da könnten womöglich mehr Talente spielen, aber ich würde mir mehr Gedanken um das Generelle wünschen, als eine Summe einzelner Vorschläge zu diskutieren.
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Wie sind Ihre Gedanken zu einer eigenen Liga für die zweiten Mannschaften der Bundesligisten nach englischem Vorbild?
Für uns wäre das nicht gut. Wir haben hier in der Regionalliga West ideale Voraussetzungen für unsere zweite Mannschaft. Die Jungen können sich da gut weiterentwickeln, weil sie dort gegen Männer spielen. Die spielen ja schon in den Jugendligen immer gegen die gleichen Gegenspieler. Wenn sie die auch noch in der Reserveliga hätten, würde das der Entwicklung nicht so guttun, wie das aktuelle Modell. Davon haben ja Spieler wie Julian Korb, Marc-André ter Stegen oder Mo Dahoud profitiert. In Aachen, Essen oder Oberhausen spielen die gegen 10.000 Zuschauer. Das ist eine neue Drucksituation, was ein weiterer Mosaikstein für die Entwicklung ist.